Schoorl. Der Nordseeküsten-Radweg von Rotterdam bis Leer ist knapp 530 Kilometer lang. In Nordholland hat er ganz andere Reize als in Friesland.
Mitten im nordholländischen Dünenreservat, an einer Kreuzung im Wald mit Blick auf das Café „De Berenkuil“, ist er plötzlich da, dieser Gedanke: Das hier ist mit ziemlicher Sicherheit der schönste Teil des niederländischen Küstenradwegs. Ein kurviger, leicht hügeliger, gut asphaltierter Pfad, gesäumt von Eichen- und Kiefernwäldern, mal hat sich etwas Dünensand auf die Pflastersteine verirrt, mal öffnet sich der Blick auf die Ebene, auf der schottische Hochlandrinder grasen. Eine abwechslungsreiche Fahrt mitten in der Natur, die Vögel zwitschern unaufhörlich. Die Nordsee ist ganz nah, aber das Rauschen der Brandung ist hier nicht zu hören.
Radfernweg durch sechs Länder
Auf den verschlungenen Wegen zwischen Egmond aan Zee, Bergen aan Zee und Schoorl kann man sich ohne Karte leicht verirren, doch mit dem Knotenpunkt-System und dem Radführer „Nordseeküsten-Radweg 1“ ist die Route eindeutig, es geht nach Norden. Gestartet sind wir in Rotterdam am Bahnhof, so sieht es das blaue Tourenbuch vor. Bis ins nordfriesische Leer, unserem Ziel, sind es 527 Kilometer. Die Strecke ist ein Teilstück der North Sea Cycle Route, einem europäischen Radfernweg, der durch sechs Länder rund um die Nordsee führt. In den Niederlanden ist er als „Kustroute“ ausgeschildert.
Rotterdam empfängt uns laut und hektisch, es dauert, bis wir zum ersten Mal Wasser sehen. Es ist die Nieuwe Maas, die später zum Nieuwe Waterweg wird. Diese künstliche Wasserstraße hin zum offenen Meer ist das Rückgrat des Rotterdamer Hafens. Ein Stück hinter einem gigantischen Sturmflutwehr taucht Hoek van Holland auf, hier knickt der Radweg nach Norden ab. Der Blick fällt auf eine Bronzeskulptur, die an die Überfahrt Tausender jüdischer Kinder erinnert, die 1938 von hier aus nach England in Sicherheit gebracht wurden.
Vor uns liegt nun die „gläserne Stadt“, ein Meer von Gewächshäusern, das fast die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche im Viereck zwischen Den Haag, Delft, Vlaardingen und Hoek van Holland bedeckt. Die Dünen sind hier schmal, es ist einer der unsichersten Küstenabschnitte des Landes. In Kijkduin wachsen neue Luxus-Wohntürme am Meer in die Höhe, ein Penthouse im 19. Stock kostet 1,9 Millionen Euro. Auch in Scheveningen baut man intensiv, hier wird der beliebte Strandboulevard erneuert.
Tipps zur Tourenplanung und Anreise
Die Grundlage für die Radtour an der niederländischen Nordseeküste war das „bikeline“-Tourenbuch „Nordseeküsten-Radweg 1“ (Esterbauer, 14,90 €) mit ausführlicher Streckenbeschreibung, Kilometerangaben, detaillierten Karten, GPS-Tracks, Alternativrouten, Stadtplänen und Tipps zu Unterkünften und Sehenswürdigkeiten.
Die Anreise nach Rotterdam ist per Zug über Utrecht möglich, zurück fährt von Leer eine Regionalbahn mit Umstieg in Münster.
Abseits vom Touristentrubel tauchen wir kurz danach wieder in die Natur ein, in die Landschaftsschutzgebiete Meijendel und Berkheide. Eine Mischung aus offener Dünenlandschaft, kleinen Seen und Wäldchen, die erst wieder in Katwijk endet. Der Ort ist weniger touristisch als das benachbarte Noordwijk, dessen weißer Leuchtturm schon von weitem zu sehen ist. Über Zandvoort führt die Strecke in den Nationalpark Zuid-Kennemerland, in dem der Radweg manchmal durch üppigen Regen überflutet ist. „Durchfahrt nicht möglich!“, warnen Schilder. Einmal müssen wir in der Tat umkehren und uns eine neue Strecke suchen.
Nach einer kostenlosen Fährüberfahrt über den Noordzeekanal bei Ijmuiden wird es hinter den geschäftigen Gewerbegebieten von Wijk aan Zee ruhiger. Die Atmosphäre in den Dünen wirkt inzwischen vertraut, sie lädt ein zum Picknick an verwitterten Holztischen oder zu einer Pause, um Vögel zu beobachten. Das nordholländische Dünenreservat, das hier beginnt und bis in die Dünen von Schoorl reicht, ist mit rund 5200 Hektar eins der größten Naturschutzgebiete in den Niederlanden.
Vorbei an den vor einigen Jahren neu angelegten Dünen bei Camperduin, die die Niederlande um eine Fläche von 400 Fußballfeldern größer gemacht haben – immer wieder faszinierend, was sich die Menschen hier im Kampf gegen die See einfallen lassen! – führt uns unser Weg bis an die Spitze Nordhollands, wo wir gleichzeitig mit der Fähre am Hafen von Den Helder eintreffen.
Das blaue Tourenbuch schickt Radelnde nun über den Abschlussdeich nach Friesland. Für alle, die sich die gut 30 Kilometer lange und windige Asphalt-Strecke sparen wollen, gibt es aber auch eine „Sommervariante“ mit Inselhopping über Texel und Vlieland. Ihr folgen wir und setzen mit der Fähre nach ‘t Horntje auf Texel über. Zwei Übernachtungen später stehen wir in De Cocksdorp an einem hölzernen Anleger, um mit einem umgebauten Muschelkutter zur Nachbarinsel zu schippern. Ein Abenteuer mit „De Vriendschap“ und dem „Vliehors Express“!
Brutzeit auf Schiermonnikoog
Das autofreie Vlieland überrascht uns mit netten, inhabergeführten Geschäften in der Dorpsstraat und herrlichen Stränden, doch nach anderthalb Tagen rollen wir schon wieder auf die Fähre nach Harlingen, wo wir erstmals friesischen Boden unter den Reifen haben.
Hier weichen wir von der Original-Route ab, um einen Abstecher nach Leeuwarden zu machen. Wir lernen die sympathische Fokelien kennen, die für die Stadt schwärmt, die 2018 Kulturhauptstadt Europas war. Die Grachten, der schiefe Turm Oldehove, die alten Bürgerhäuser – typisch niederländisch!
Der letzte Höhepunkt der zwölftägigen Radtour ist ein Ausflug auf die Insel Schiermonnikoog, deren Flora und Fauna besonders sehenswert ist. Fasane, Austernfischer, Gänse und Möwen nutzen die einsame Dünenlandschaft als Brutgebiet, in dem sie sich sichtlich wohlfühlen. Vom Hafen in Lauwersoog geht es schließlich weiter nach Osten, vorbei an vielen Bauernhöfen und großen Feldern. An einer kleinen Brücke bei Bad Nieuweschans hat uns Deutschland wieder.