Hünxe. Mit elf Jahren kämpft Noah aus Hünxe-Drevenack täglich mit seiner Krankheit. Bald könnte eine essenzielle Unterstützung dabei wegfallen.
- Noah Hennen ist erst elf Jahre alt und wird palliativ betreut.
- Zu seinem zwölften Geburtstag will die Krankenkasse ihm nun den Intensivpflegedienst streichen.
- Seine Mutter, der Pflegedienst und die Schule beanstanden das Gutachten durch den medizinischen Dienst.
„Alles okay“. Das ist Noah Hennens Lieblingslied von Johannes Oerding, den er im vergangenen Jahr persönlich treffen konnte. Und das ist auch das Lied, dessen Text er leise singt, während seine Mutter Nadine Hennen im heimischen Wohnzimmer stolz ein Video von diesem schönen Tag im Leben des bald 12-Jährigen zeigt. Solche Momente sind für Noah und seine Familie besonders kostbar, denn der Junge ist aus Drevenack ist schwer krank.
Noah wurde zu früh geboren, kam vier Monate vor dem errechneten Termin, in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt. Damals wog er nur 600 Gramm und war 25 Zentimeter groß. Seit seiner Geburt leidet er an CIPO (Chronische intestinale Pseudoobstruktion), einer unheilbaren Darm-Verschluss-Erkrankung. Außerdem ist er unter anderem an einer Leberinsuffizienz erkrankt, hat in seinem kurzen Leben schon eine Vielzahl von Operationen an seinem Bauch durchleben müssen, er wird künstlich ernährt und Medikamente fließen durch Schläuche in seinen Körper. „Seine Gallenblase ist voller Steine, aber kein Krankenhaus traut sich noch, ihn zu operieren“, berichtet seine Mutter.
Intensivpflegedienst gestrichen
All das bestimmt den Alltag von Noah und seiner Familie. Er benötigt rund um die Uhr Betreuung und Nadine Hennen, die gelernte Krankenschwester ist, tut ihr Möglichstes, um ihn im Alltag zu versorgen – gemeinsam mit der Unterstützung des Pflegedienstes. Und dass dieser sich in Zukunft nicht mehr um Noah kümmern soll, ist der Grund, warum im Hause Hennen aktuell gar nichts okay ist. Die Krankenversicherung AOK hatte Nadine Hennen nach einer ärztlichen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst Nordrhein (MD) schriftlich darüber informiert, dass die Leistung des Außerklinischen Intensivpflegedienstes für ihren Sohn ab dem 24. Dezember eingestellt wird. Und das, obwohl es eine noch bis zum Ende des Jahres laufende und bewilligte Verordnung für die aktuellen Pflegemaßnahmen gibt.
Gegen den Entschluss der Krankenversicherung hat Nadine Hennen sofort Widerspruch eingelegt. Und auch der Pflegedienst und die Schule haben ein Schreiben aufgesetzt, denn: „Wenn ab Januar keine Krankenschwester mehr mit ihm in die Schule geht, ist für Noah die Schule zu Ende.“ In einem Schreiben der Gesamtschule Hünxe an den Medizinischen Dienst heißt es: „Sollte Noah die Pflegekraft entzogen werden, sehen wir uns nicht mehr imstande zu gewährleisten, dass er bei uns oder an einer anderen öffentlichen Schule beschult werden kann.“ Auch der Besuch einer Förderschule sei ohne Pflegepersonal fraglich. Dabei ist die Schule für Noah besonders wichtig, um sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen, als nur mit seiner Krankheit.
Im Oktober letzten Jahres ist Noahs Pflegegrad von vier auf fünf erhöht worden. Das bedeutet: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung. Laut der AOK ergibt sich ein Bedarf an Außerklinischer Intensivpflege vor allem im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Atemfunktion und einem kontinuierlichen Monitoring der Vitalparameter. Das sei jedoch aus Krankenkassensicht nach der Einschätzung des MD in Noahs Fall nicht notwendig.
Mutter beanstandet Begutachtung
Seine Versorgung liegt nach Sicht der AOK hauptsächlich im Aufgabenbereich der Pflegeversicherung und statt der Begleitung durch den Pflegedienst, solle Noah beispielsweise eine Integrationshilfe bei seinen Schulbesuchen zur Seite gestellt werden. Dabei sei erwähnt, dass es keine Ausbildung zum Integrationshelfer gibt. Um in diesem Bereich tätig zu werden, reicht eine im Durchschnitt zehn Wochen andauernden Fortbildung und Umschulung bei Bildungszentren oder Vereinen. Es gibt keine festgelegten Qualifikationen und es handelt sich in der Regel nicht um medizinische Fachkräfte.
„Wir haben schon viele Begutachtungen erlebt und diese war unterirdisch“, sagt Nadine Hennen. „Der Arzt kam rein und hat kaum mit mir oder der Pflegekraft gesprochen, sich nur die Dokumentation vom Pflegedienst durchgeguckt und sich Notizen gemacht. Noah wird palliativ versorgt und durch das Kinder-Palliativ-Team Düsseldorf betreut. Das hat er infrage gestellt. Dann mussten wir ihm erklären, warum Noah Betäubungsmittel (BTM) bekommt“, erinnert sie sich. Die Schmerzen ihres Sohnes werden mit zahlreichen Mitteln behandelt. Auch Bilder von Noahs Bauch, der durch die Operationen arg in Mitleidenschaft gezogen ist, hat sie dem begutachtenden Arzt gezeigt. „Er hat keine drei Worte mit uns gesprochen“, lautet der Vorwurf von Nadine Hennen.
Das Ganze fand statt, nachdem Noah frisch aus dem Krankenhaus gekommen war. Dort wurde ihm ein neuer Broviac-Katheter gesetzt. „Da haben wir die neue Diagnose bekommen, dass Noah eine Blutgerinnungsstörung hat“, sagt seine Mutter. „Er hat vier Tage lang nach geblutet und lag auf der Intensivstation, weil seine Thrombozyten so niedrig sind.“ Es bestehe deshalb eine sehr große Gefahr, wenn Noah mit dem Katheter über den 24-Stunden-Infusionen laufen, irgendwo hängenbliebe. „Ich kann da keinen Integrationshelfer hinsetzten, falls er sich den Broviac herausreißt“, sagt Hennen deutlich.
„Wir sollen uns eine Krankenschwester suchen, die die Integrationshilfe macht. Aber welche Krankenschwester sollte das machen, wenn sie beim Pflegedienst viel mehr verdient?“
Das bekräftigt auch Krankenpflegerin Vanadis Sepetauc, die Noah schon seit einem Jahr an den Vormittagen und in der Schule betreut. „Ein Integrationshelfer darf zum Beispiel keine BTM verabreichen und teilweise zieht die Pumpe, die Noah ständig in seinem Rucksack trägt, Luft.“ Auch eine solche Situation könnten Integrationshelfer nicht händeln. „Noah hat Erschöpfungszustände, kann sich nicht lange schnell bewegen, möchte in der Pause mit den anderen Kindern mithalten, aber kommt dabei schnell an seine Grenze“, sagt die Krankenpflegerin. „Man muss bei ihm bleiben, falls er kollabiert, ihm schwindelig wird oder er sich erbricht. Ihn nur von einer Integrationshilfe begleiten zu lassen, ist bei seinen Diagnosen unverantwortlich.“
„Wir sollen uns eine Krankenschwester suchen, die die Integrationshilfe macht. Aber welche Krankenschwester sollte das machen, wenn sie beim Pflegedienst viel mehr verdient“, sagt Nadine Hennen. Aktuell hat sie donnerstagnachmittags noch die Unterstützung einer weiteren Kraft, die Noah für einige Stunden versorgt. Noah weiß, wie es um seine Gesundheit steht – hat Zukunftsängste und ist psychisch sehr angeschlagen. Mit seiner Krankenpflegerin unterhält er sich über seinen Tod – keine üblichen Gesprächsthemen für einen elfjährigen Jungen. „Ich schlafe nachts nur zwei Stunden. Immer kommt etwas Neues dazu“, sagt Nadine Hennen. „Ich kann nicht mehr.“
Stellungnahme der AOK
„Wir kennen die schwierige Situation der Familie Hennen und stehen seit Jahren – unter anderem durch unsere Mitarbeiterinnen im Kompetenzteam Intensivmedizinische Versorgung – in engem Kontakt und fortlaufendem Austausch mit Noahs Mutter, Nadine Hennen“, teilt eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg nach NRZ-Anfrage schriftlich mit. „Noah hat aufgrund seiner Erkrankung und seiner Pflegebedürftigkeit Anspruch auf vielfältige Leistungen. Sehr umfänglich und ohne Einschränkung aus der Pflegeversicherung und ergänzend auch aus der Krankenversicherung, welche wir gerade überprüfen. Gegebenenfalls können auch Leistungen infrage kommen, welche in der Verantwortung der Kommune/des Kreises Wesel liegen.“
Die AOK werde ihren Beitrag dazu leisten, dass die Versorgung von Noah lückenlos sichergestellt wird und arbeite intensiv daran, mit allen Beteiligten zeitnah eine gute Lösung im Sinne der Familie Hennen zu finden. Konkretere Auskünfte könne man zum aktuellen Zeitpunkt nicht geben, aber man werde alles tun, damit Noah und seine Familie die bestmögliche Unterstützung erhalten, heißt es weiter.