Dinslaken. . Frühchen Noah lag fünf Monate lang im Hospital. Danach hatte seine Mutter Nadine Hennen Probleme mit der Krankenkasse. Die wollte die Fahrtkosten nicht erstatten.

Als Noah zur Welt kam, wog er soviel wie zwei Gläser Wasser. Oder sechs Tafeln Schokolade. 600 Gramm, 25 Zentimeter, geboren am 23. Dezember 2012, in der 24. Schwangerschaftswoche. Also vier Monate zu früh. Da geht es nicht um Komplikationen. Es geht ums Überleben. Die Grenze der Lebensfähigkeit liegt etwa in der 23. Woche. Noah kämpfte - gemeinsam mit seiner Mutter, Nadine Hennen: alleinerziehend, fünf Kinder. Künstliches Koma, künstlicher Darmausgang, 21 Wochen in Kliniken in Dinslaken, Duisburg, Köln haben die beiden gemeistert. Um anschließend an der AOK zu scheitern. An 1400 Euro Fahrtkosten.

„Heute ist es selbstverständlich, dass Eltern während eines Krankenhausaufenthaltes in der Nähe ihres Kindes bleiben können“, so wirbt die AOK, die die Kosten „für die Mitaufnahme der Mutter“ übernimmt, wenn die medizinische Notwendigkeit bescheinigt wird. Nadine Hennen konnte sich aber nicht mit einweisen lassen. „Ich habe hier ja noch vier Kinder zu versorgen“, sagt sie und deutet auf ein Foto an der Wand. Ihr Ältester ist sieben Jahre alt. Zudem bot die Intensivstation der Klinik in Duisburg keine räumlichen Möglichkeiten für übernachtende Angehörige.

Loch im Darm

Also ist die 32-jährige Mutter gefahren - zuerst zur Klinik nach Duisburg, dann, als Noah nach einer Woche ein Loch im Darm hatte, zum Krankenhaus nach Köln. Der Darmausgang wurde zweimal verlegt, Noah lag zweieinhalb Wochen im künstlichen Koma, die Leberwerte waren schlecht. Es gab Tage, an denen man ihr wenig Hoffnung machte. Nadine Hennen hatte Angst.

Täglich fuhr sie zu ihrem Kind - um es mit Muttermilch zu versorgen. Und ihm - sobald das möglich war - über die Känguru-Methode Nähe zu geben. „Känguruen“ gehört zum Standard bei der Versorgung Frühgeborener. Und Muttermilch? „Ist die von der Natur vorgesehene und ausgewogenste Ernährungsform, die ein Säugling in den ersten Lebensmonaten erhalten kann“. Schreibt die AOK auf ihrer Homepage.

Dennoch lehnte die Kasse die Beteiligung an den Fahrtkosten zu den Kliniken ab. 20 Cent pro Kilometer werde für den Transport der Muttermilch erstattet, habe man ihr in der Dinslakener Geschäftsstelle gesagt, und ihr drei Formulare - für jede Klinik eins - ausgehändigt. Die habe sie in den Kliniken ausfüllen lassen, um dann bei einer anderen Sachbearbeiterin der AOK zu erfahren, dass dies die falschen Formulare seien. Welche Nachweise sie denn erbringen müsse, habe man ihr nicht verraten wollen. Begründung: Sie sei ja nur auf Erstattung aus.

Nadine Hennen wandte sich an die nächste AOK-Vorgesetzte. Nach deren Auskunft müssten die Kliniken ihr bescheinigen, dass die Besuche „anstelle der stationären Aufnahme medizinisch erforderlich“ waren. Das, sagt Nadine Hennen, sei geschehen. Das Klinikum Wedau habe zudem ergänzt, dass eine stationäre Aufnahme der Mutter eben wegen der räumlichen Voraussetzungen nicht möglich sei.

Trotzdem wurde der Antrag auf Kostenerstattung abgelehnt - auch wegen des Zusatzes der Duisburger Klinik. „Die Kosten der täglichen Besuchsfahrten können nur übernommen werden, wenn die täglichen Besuche anstelle der stationären Mitaufnahme zwingend erforderlich sind. Organisatorische Probleme des Krankenhauses stellen hierbei keine hinreichenden Gründe dar.“ Außerdem sei eine „Übernahme der Fahrtkosten auch dann nicht möglich, wenn die Besuche wegen ihres positiven Einflusses auf den Krankheitsverlauf wünschenswert sind.“ Auch der „Transport von Muttermilch ist aus medizinischer Sicht nicht erforderlich, da der industriell gefertigte Muttermilchersatz ebenbürtig ist“, heißt es in dem Schreiben der AOK.

Einspruch eingelegt

„Hätte ich mich mit einweisen lassen oder eine Haushaltshilfe für die Zeit beantragt, wäre das viel teurer gewesen,“ meint Nadine Hennen. Sie legte Einspruch ein und informierte die NRZ. Wenige Stunden nach der Presseanfrage meldete sich Dietmar Frings, Leiter der AOK-Regionaldirektion im Kreis Wesel in der Redaktion. Man müsse die Vorgaben einhalten. Die AOK habe von sich aus die Kliniken kontaktiert, um ihnen die richtige Formulierung zu übermitteln. Man werde dem Widerspruch Nadine Hennens statt geben, signalisierte er. Sie müsse lediglich eine Aufstellung einreichen, wann Noah in welchem Krankenhaus war. Diese Daten, seufzt Nadine Hennen, lägen der Kasse längst vor. Sie hat sie dennoch noch einmal zusammengesucht. „Frau Hennen bekommt die Kosten zu allen genannten Terminen erstattet“, hieß es nun von der AOK.

Noah ist jetzt ein halbes Jahr alt, 51 Zentimeter groß und wiegt 3700 Gramm. Soviel wie ein Neugeborenes.