Oberhausen. Früher Kinderzimmer-Schreck, heute selbst Mutter: Lafee hat in der ausverkauften Turbinenhalle mit Teenie-Hits gepunktet. Was hat sich verändert?
„Sie lacht viel zu laut / Sie hat komische Zähne / Ist zu kräftig gebaut / Und guckt ziemlich dämlich / Sie ist overdressed / Ich hasse sie wie die Pest!“ Was soll man auch großartig sagen, wenn der Schwarm einen abblitzen lässt und seinen Gummibärensaft lieber Arm in Arm mit einer anderen schlürft.
Mit 16 Jahren startete Christina Klein als Lafee einen mit ungeschminkten und derben Songzeilen garnierten Großangriff auf das Gefühlsleben in Kinder- und Jugendzimmern. Knapp 20 Jahre später haben sich Sängerin und 1800 Fans als Erwachsene wieder getroffen. Die kleinere „Turbinenhalle 2“ ist ausverkauft.
„Wollt ihr einen Abend voller Nostalgie verbringen?“, fragt die Sängerin im engen schwarzen Lederanzug. Im weiblich dominerten Publikum stecken sie die Fotohandys ein und recken zustimmend die Arme nach oben. An einigen Fan-Schläfen klebt das Abzieh-Tattoo mit dem verschnörkelten Namenslogo der Sängerin, das früher in CD-Alben beilag.
Genervte Mütter und Väter müssen die Fans von heute nicht zum Konzert mitschleifen. Früher war die Jubelschar noch deutlich jünger als die Sängerin selbst. Das Lafee-Alter reichte bis in die Grundschule. Für viele war sie eine rotzige große Schwester, die man holt, wenn die Nachbarskinder stressen.
Lafee in Oberhausen: In Kinderzimmern schallten Songs über „ausverbrauchte Bratzen“
Größeren Schreck dürfte Lafee allerdings bei den Eltern hinterlassen haben, wenn statt „Hoppelhase Hans“ von Kinderliederstar Volker Rosin plötzlich Schimpftiraden über „dumme arrogante ausverbrauchte Bratzen“ aus dem CD-Wechsler im Kinderzimmer schallten. Viele Fans in der Turbinenhalle sind heute Mitte bis Ende 20, Anfang 30.
„Ja, Prinzesschen, du hast‘s leicht / deine Eltern sind stinkreich / du bist ach so wunderschön / willst jedem Typ den Kopf verdreh‘n!“
15 Jahre ist Lafee nicht mehr auf Tour gegangen. Jetzt ist plötzlich alles wieder da. Das Konzert fühlt sich nach Winterjacken mit Kunstpelzkragen an der Kapuze an. Nach vergessenen Turnbeuteln. Und Borat im knappen grünen Herrenschwimmanzug.
In den frühen Songs geht es um die erste Liebe, um Eifersucht, Neid, Mobbing und das wütende Gefühl, abgehängt zu sein. Bei ihrem Chartstürmer „Prinzesschen“ (2006) giftet sie Richtung arrogante Oberklasse. „Ja, Prinzesschen, du hast‘s leicht, deine Eltern sind stinkreich / Du bist ach so wunderschön / Willst jedem Typ den Kopf verdreh‘n / Jeder liebt zwar dein Gesicht / Doch tief in dir, da ist nichts!“
Und beim ebenso erfolgreichen Nachfolge-Hit „Heul doch“ (2007) wird das schmerzhafte Beziehungsende in ein trotziges Wohlfühlerlebnis verwandelt. „Heul doch / Wenn das nicht reicht, fall auf die Knie und fleh noch!“ Rock, Pop, Gothic, Metal? Lafee sollte alles sein.
Die junge Sängerin räumt ab, was geht. Die ersten Alben „Lafee“ und „Jetzt erst recht“ erobern die Hitparaden-Spitze. Es hagelt Echos, Bravo-Ottos und Goldene Stimmgabeln. Doch auch Kritik wegen immer mehr ordinärer Texte verstummt nicht. Als bereits im ersten Karrierejahr ganze Bücher über die Sängerin erscheinen, wirkt es so, als würde man Rodeo-Gutscheine in der Hüftklinik verteilen: Gut gemeint, aber weh tut es trotzdem.
Lafee in Oberhausen: Comeback als Mutter und mit Pfeilspitzen für Gleichberechtigung
Heute bemängelt die 34-Jährige die Oberflächlichkeiten des Musikgeschäfts. In einer stillen Passage des zweistündigen Auftritts sagt sie: „Wenn abends nach den Konzerten im Hotel die Tür zuging, habe ich mich einsam gefühlt.“
Noch bevor der Musik-Hype abebbt, spielt sie in RTL-Serien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ mit und mimt später den Engel beim Essener Gastspiel des Musicals „Der Geist der Weihnacht“.
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Nach ihrem jüngsten Comeback machen sich „Internet-Rambos“, wie sie die Online-Kommentaren in den sozialen Netzwerken nennt, über knappe Bühnen-Outfits lustig und moppern über ihr „kleines Bäuchlein“. Die Sängerin schüttelt den Kopf. „Ich habe ein dickes Fell. Aber andere vielleicht nicht.“ Den gesungenen Stinkefinger aus der Jugendzeit hält sie heute digitalen Mobbern entgegen.
Nach dem vor drei Jahren veröffentlichten Album „Zurück in die Zukunft“ bringt Lafee nun den Song „Kriegerin“ heraus. Die Sängerin sieht ihn als ausformulierte Pfeilspitze für Gleichberechtigung der Geschlechter: „Sie ackert hart, genau wie‘n Mann / Aber hat nie denselben Kontostand.“ Als der Song in der Turbinenhalle angespielt wird, erscheinen plötzlich Menschen mit laufenden Kameras. Lafee dreht ihr Musikvideo.
Der Kinderzimmer-Schreck von damals ist mittlerweile selbst Mutter. Vor anderthalb Jahren wird ihr Sohn geboren. Er heißt: Lysias. Die Haare ihrer Bandmitglieder sind länger geworden und nicht mehr zurückgegelt. Die finster wie albern wirkenden Sonnenbrillen haben die Gitarristen abgenommen. Die Sängerin spricht häufiger über die schönen Seiten der Liebe. So ein bisschen Erwachsenwerden, es kann manchmal nicht schaden.