Mülheim. Vallourec ist Geschichte. Der Abriss von Mülheims Mega-Industriehalle, so groß wie 29 Fußballfelder, ist gestartet. Wir waren noch mal drin.
Das Wirtschaftskapitel Vallourec, vormals Mannesmann, berührt viele Mülheimer Familien-Biografien. Manch einer der ehemaligen Beschäftigten macht dieser Tage lieber einen großen Bogen um Mannesmannallee und Fritz-Thyssen-Brücke oder würde beim Umfahren seiner alten Arbeitsstätte gerne die Augen verschließen: Der Abriss der größten Mülheimer Industriehalle ist gestartet. Ein Unterfangen gigantischen Ausmaßes, das wohl ein Jahr lang andauern wird. Ein letzter Besuch am Ort, wo schon längst kein Stahlrohr mehr vom Band geht.
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Mit dem Auto entlang der Mannesmannallee zur 33 Hektar großen Industriebrache: Beim Blick rechts aufs alte Vallourec-Areal zeigt sich der langgezogene Hallen-Gigant bereits durchlüftet vom „Wind of change“: Glasfenster für Glasfenster stürzt dieser Tage aus der stählernen Umrahmung der Industriehalle. Über Fritz-Thyssen- und Schützenstraße geht's zum ehemaligen Werkstor. Der Parkplatz: komplett verwaist. Hinter dem Werkstor wartet Timo Hielscher, Regionalmanager vom niederländischen Projektentwickler CTP, der an Ort und Stelle in einen neuen, modernen Gewerbe- und Industriepark investieren will.
Mülheims Vallourec-Familie: Im Sommer 2023 kam das bittere Ende
Hielscher führt heute exklusiv über das Gelände, wo 2022 – als die Konzernchefs das Vallourec-Aus in Mülheim und Düsseldorf zum unumstößlichen Faktum erklärten – noch rund 750 Beschäftigte im Geschäft mit Rohren insbesondere für Öl- und Gaspipelines waren. Im Sommer 2023 lief das letzte Rohr vom Band, die Vallourec-Familie, als die sich Generationen von Beschäftigten sahen: auseinandergetrieben. Seither war nur noch eine Restmannschaft von Vallourec damit beschäftigt, Anlagen zu demontieren. Für den Weiterverkauf oder zur Verschrottung.
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Die Aufräumarbeiten dauerten bis Ende 2024 an, zum Jahreswechsel übernahm Investor CTP das Areal. „Besenrein“, wie es im Vertrag gestanden habe, sagt CTP-Manager Hielscher und schmunzelt ob der Tatsache, dass bei der Übergabe alter Industriehallen „besenrein“ selbstredend nicht wörtlich zu nehmen ist. Jedenfalls habe Vallourec Grundstück und Hallen „sehr sauber“ übergeben.
Dachpappe verstaut in Transportsäcken, Aufschrift: „Asbest“
Alte Schwerlastkräne unter dem Hallendach sind doch verblieben, weil der Stahlrohrproduzent, der jetzt nur noch in Brasilien fertigt, für sie keine Abnehmer gefunden habe, erzählt Hielscher. Das sei aber kein Problem: Ohnehin ist schweres Abbruchgerät bestellt und teils schon vor Ort. Riesiger Kneifer, die den Widerstand selbst schwerster Stahlträger nicht fürchten müssen.
Bis das schwere Gerät zum Einsatz kommt, sei „Feintuning“ angesagt, so Hielscher. „Der Abrissbagger fegt hier nicht einfach durch“, erläutert er die Notwendigkeit zur Materialien-Trennung. So fliegt mit lautem Scheppern aktuell Glas für Glas aus der Hallenfassade. Mehr als 20.000 Quadratmeter Glas an Fassaden und Dächern sind zu entfernen. Eine Abbruchfirma separiert auch Dachpappen und trägt sie zusammen. Zum Verstauen in Transportsäcken, Aufschrift „Asbest“, Zielort: Deponien für Sondermüll. Am Ende wolle man durch die Materialtrennung erreichen, „so viel Recyclingmaterial wie möglich auf dem Gelände zu halten“, so Hielscher.
400.000 Kubikmeter Beton und 30.000 Tonnen Stahl sollen recycelt werden
Wofür das Ganze nützlich sein könnte, zeigt sich beim Gang übers Gelände und insbesondere durch die im geräumten Zustand noch mal gigantischer wirkende Halle: Sie ist wie ein Labyrinth durchzogen mit Schächten und Gruben, mit Treppenabgängen, die mitunter bis fünf Meter tief in den Untergrund hineinreichen. In der Summe 20.000 Quadratmeter Kellergeschoss gibt es. Hier war einst die Betriebstechnik von Walzwerk und Co. verortet. Heute wirkt alles wie ein Römermuseum, in dem Fundamente freigelegt sind.
Reichlich Füllmaterial muss her, um alles wieder ebenerdig zu gestalten. Geschredderte und gemahlene Ziegel, wenn unbelastet, seien dafür eine geeignete Masse, sagt Hielscher. Ziel ist es laut CTP-Projektleitung, nahezu 100 Prozent des anfallenden Materials zu recyclen. Und auch das nimmt gigantische Ausmaße an, sind darunter etwa rund 400.000 Kubikmeter Beton und circa 30.000 Tonnen Stahl.
Alte Vallourec-Halle in Mülheim so groß wie 29 Fußballplätze zusammen
Der Abriss, ein Giga-Projekt. In der größten Industriehalle Mülheims zog sich die gesamte Fertigungslinie, vom Rohstahl-Lager bis zum Prüfstand für die fertigen Rohre und die Verladung, auf 633 Metern Länge. Die Halle ist 326 Meter breit, es würden umgerechnet fast 29 Fußballplätze dort hineinpassen. Wer einmal um die Halle geht, hat einen ordentlichen Spaziergang von nahezu zwei Kilometern in den Knochen. Würde man die zwölf Meter hohe Halle mit Trinkwasser füllen, könnte damit eine Kleinstadt mit einigen zehntausend Einwohnern rund ein Jahr lang versorgt werden.
Hielscher blickt in die Weite der riesenhaften Halle: „Ich bin mal gespannt, wie groß die Fläche wirkt, wenn die Halle nicht mehr steht. Dann wird man die Fläche ganz anders begreifen“, sagt er. Ein Jahr werden die Abrissarbeiten dauern. Allein zehn Großbagger mit einem Einsatzgewicht von mehr als 80 Tonnen sind geordert, zwölf kleinere Bagger, mehrere Radlader, drei 26 Tonnen schwere Planierraupen. Die Großkopferten sind die zwei Brechanlagen. Selbst 90 Tonnen schwer, sollen sie 3000 Tonnen Abbruchmaterial am Tag zerlegen.
„Ich bin mal gespannt, wie groß die Fläche wirkt, wenn die Halle nicht mehr steht. Dann wird man die Fläche ganz anders begreifen.“
Vallourec verschwindet: „Das ist hoch emotional, da muss man sensibel mit umgehen“
Mit jedem Abbruchstück verschwindet ein Stück Vallourec aus Mülheim. Hielscher weiß: „Das ist hochemotional, da muss man sensibel mit umgehen. Es ist nicht nur ein Stück Stahl mit Dach und Betonfußboden.“ Hier verschwinde „ein Stück Stadtgeschichte“, es gebe viele Menschen mit einem persönlichen Bezug zum aufgegebenen Werkstandort. Man wolle damit würdig umgehen, stellt er in Aussicht, den Fortgang auf der Baustelle für Bürgerinnen und Bürger erlebbar zu machen, vielleicht mit einem Modell im Projektbüro zu dem, was werden soll, mit Webcam oder gar Veranstaltungen.
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