Mülheim. Kirchenaustritte und ein riesiges Finanzloch belasten Mülheims Evangelische Kirche. Lösungen müssen her. Die Spardebatte startet am Freitag.
Zum ersten Mal muss Michael Manz bei der am Freitag im Altenhof beginnenden Kreissynode des Kirchenkreises „An der Ruhr“ als Superintendent der Evangelischen Kirche einen Rechenschaftsbericht abgeben. Er hat sofort schlechte Nachrichten zu verkünden.
Der Kirchenkreis muss bei der Aufstellung seines Haushaltsplans ein Defizit von 850.000 Euro einkalkulieren. Zum Vergleich: Das netto zur Verfügung stehende Kirchensteueraufkommen der aktuell 38.000 evangelischen Kirchenmitglieder liegt bei 8,87 Millionen Euro.
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Evangelische Kirche in Mülheim hat in fünf Jahren 4000 Mitglieder verloren
Nach Angaben des Kirchenkreises ist die Zahl der Kirchenmitglieder seit 2019 um 4000 auf aktuell rund 38.000 zurückgegangen. Zu diesem Rückgang haben (neben Todesfällen und anderem) 2838 evangelische Christen durch ihren Kirchenaustritt beigetragen. „Viel stärker schlägt der demografische Wandel, also das Versterben von Kirchenmitgliedern durch“, erklärte Manz nun im Gespräch mit dieser Redaktion.
Das sind keine erfreulichen Zahlen, mit denen der Superintendent, der auch Pfarrer in der Lukaskirchengemeinde ist, den rund 50 Synodalen des Kirchenkreises vortragen muss. Hinzu kommt die Tatsache, dass den genannten Zahlen im gleichen Zeitraum nur 249 Kircheneintritte und 1314 Taufen gegenüberstehen. Und dennoch will Manz den Kirchenparlamentariern „Mut machen und Hoffnung vermitteln“. Denn er ist sicher: „Es nützt uns nichts, wenn wir uns deprimiert in die Ecke setzen und uns sagen: Das hat alles keinen Sinn mehr!“
„Es nützt uns nichts, wenn wir uns deprimiert in die Ecke setzen und uns sagen: Das hat alles keinen Sinn mehr!“
Mülheims Superintendent: „Wir müssen mit den Talenten, die wir haben, wuchern“
Stattdessen empfiehlt er den evangelischen Christinnen und Christen im Kirchenkreis: „Wir müssen uns verändern und Prioritäten setzen. Wir müssen mit den Talenten, die wir haben, wuchern und den Menschen zeigen, dass es für ihr Leben gut ist, in der Kirche zu sein.“ Individuelle und niederschwellige Seelsorge-Angebote für alle Lebenslagen, Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit würden sicherlich weiter eine wichtige Rolle spielen.
„Wir müssen als Kirche weniger formal agieren und auch auf Menschen zugehen, die kirchliche Angebote einfach nur mal ausprobieren wollen, um dann zu erleben, dass ihnen das guttut, und dass es deshalb auch für sie gut ist, als Kirchenmitglied mit ihren Kirchensteuern dazu beizutragen, dass es diese kirchlichen Angebote der praktischen Lebenshilfe auch in Zukunft noch geben wird. Weil sie erkennen, dass niemand nur von Facebook und Instagram leben kann.“
Manz: Mut zur Veränderung in Mülheim auch wegen akutem Nachwuchsmangel nötig
Den Mut zur Veränderung sieht Manz auch angesichts des akuten Nachwuchsmangels bei den evangelischen Theologinnen als notwendig an. Als konzeptionelle Größe gilt, dass auf 3000 Gemeindeglieder eine Pfarrperson kommt.
Der 62-Jährige Theologe, der seit 1993 als Pfarrer in Mülheim arbeitet, hat in seiner Ausbildung noch gelernt: „Als Pfarrer lebst du für deine Gemeinde. Und dann kommt erst mal lange nichts.“ Auch wenn er heute sagt, dass ihm seine Arbeit als Pfarrer „immer noch Spaß“ bereite, so macht er sich doch keine Illusionen darüber, dass der heutige Pfarrnachwuchs, wenn er denn überhaupt da ist, kein 24/7-Berufsleben führen will, das morgens mit einer Beerdigung beginnt, dann mit Hausbesuchen weitergeht und abends mit einer Presbyteriums-Sitzung endet.
Mülheims Superintendent will kirchliches Leben neu definiert sehen
Beim Thema Fachkräftemangel sieht Manz den Kirchenkreis mit Blick auf qualifizierte ehrenamtliche Seelsorge, Prädikanten und Diakone auf dem richtigen Weg, kirchliches Leben, mit einer „gesünderen“ Arbeitsteilung „und niederschwelligen Angeboten, auch in der Gottesdienstlandschaft“ in Zeiten kleinerer Kirchengemeinden und Kirchensteuertöpfen neu zu denken und zu gestalten. Das allgemein gut angekommene Tauffest im Raffelbergpark, das 2026 eine Neuauflage erleben soll, sieht er da schon als zukunftsweisendes Beispiel für die Kirche von morgen.
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Konkret wird die Kreissynode ab Freitagabend zu diskutieren haben, wie sich die Evangelische Kirche angesichts des riesigen Haushaltsloches für die Zukunft aufstellt. Sie tagt öffentlich am Freitag, 15. November, und Samstag, 16. November, im Haus der Evangelischen Kirche (Altenhof). Die Tagung beginnt am Freitag um 18 Uhr mit einem Gottesdienst in der Petrikirche, in dem auch die neuen Mitarbeitenden des Kirchenkreises und aus Einrichtungen in ihren Dienst eingeführt werden. Die Konstituierung der Kreissynode erfolgt ab circa 19.45 Uhr im Altenhof und wird am Samstag, 16. November, ab 9 Uhr fortgesetzt.
Spardebatte in Mülheim steht unter dem Motto „Altes hinterfragen, Neues wagen“
Unter anderem steht die Entscheidung an, ob es eine Umlage-Erhöhung an den Kirchenkreis geben soll, das ginge zulasten der einzelnen Kirchengemeinden. „Um die eigene Arbeit zukunftssicher aufzustellen“, heißt es seitens des Kirchenkreises, werde vorgeschlagen, in einen Prozess „Altes hinterfragen, Neues wagen“ einzusteigen. Was wohl nicht anderes bedeutet als eine neuerliche Sparrunde, mehr Zentralität als breite Angebote in einzelnen Gemeinden. (mit sto)
Die Kreissynode tagt mindestens einmal im Jahr und ist das höchste Entscheidungsgremium des Kirchenkreises. Zu den Synodalen zählen alle Pfarrerinnen und Pfarrer sowie weitere gewählte Mitglieder aus den Gemeindepresbyterien (von den Gemeindegliedern gewählte Leitungsgremien). Die Synodalen entscheiden unter anderem über Finanzen des Kirchenkreises, erarbeiten gemeinsame theologische und sozialethische Stellungnahmen und können Anträge an die Landessynode stellen.
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