Mülheim. Er flüchtete vor Bedrohung und Korruption aus seiner Heimat, schlug sich bislang als Aushilfe durch. Für seinen Traumjob nimmt er viel in Kauf.

Er lächelt viel - ein Lächeln, das von Herzen kommt, das merkt man schnell bei dem jungen Mann. 25 Jahre alt ist er. Manchmal aber, wenn er von seiner Vergangenheit erzählt, wirkt Mohamed Tounkara deutlich älter. Wenn er von seiner Flucht aus Westafrika berichtet, ist es, als lege sich ein Schatten über sein Gesicht.

Seine Heimat Guinea hat er als Jugendlicher verlassen und versucht nun, sich in Deutschland, in Mülheim, ein neues Leben aufzubauen. Was Mohamed Tounkaradabei grundlegend wichtig ist: Eine Ausbildung zu machen, um mit einem sicheren Job auf eigenen Füßen stehen zu können - und sich nicht länger als Hilfsarbeiter verdingen zu müssen. Der Weg bis zu seinem Traumjob als Lokführer erscheint allerdings mehr als kurvig.

Kaum volljährig, floh Guineer nach Europa und landete in Mülheim

„Ich war 20 Jahre alt, als ich in Deutschland ankam“, erzählt Mohamed Tounkara und lässt durchblicken, warum er in seiner Heimat keinerlei Zukunft für sich sah. Dort, im westafrikanischen Guinea, herrschten zu viel Unsicherheit und Unwägbarkeiten wie Korruption, schildert der junge Mann. „Leute verschwinden da einfach.“ Zu aussichtslos erschien ihm das Leben dort, zu gefährlich und ohne Perspektive. Seine Eltern waren gestorben, nur seine Schwester lebt noch dort. Also beschloss er mit knapp 18 Jahren seine Heimat zu verlassen, sich alleine auf den Weg Richtung Europa zu machen - nicht wissend, wo er landen und wie sein neues Leben aussehen wird. Seine Flucht ist ein Thema, das Mohamed Tounkara eigentlich unangetastet lassen will. Sein strahlendes Lächeln verschwindet abrupt aus seinem Gesicht, als er an die harte Zeit zurückdenkt.

Über Land führte ihn die gefährliche Reise mit Kleinbussen durch Mali und Niger bis nach Libyen in Nordafrika - die Distanz liegt alleine bei der Luftlinie über 3500 Kilometern. Gerade die Sicherheitslage in Guineas Nachbarland Mali stuft das Auswärtige Amt wegen der Bedrohung durch islamistische Terrorgruppen als prekär ein, auch vor Reisen nach Niger und Libyen wird aufgrund von Terrorismus gewarnt. Doch darauf konnte und wollte Mohamed Tounkara keine Rücksicht nehmen, als er beschloss, zu fliehen.

Über die klassische Fluchtroute mit einem kleinen Boot über die offene See

Viel mehr mag er von der Tortur der langen Fahrt nicht berichten, nur so viel: Irgendwann kam er an der Küste an, in Libyen. Von dort will er nach Italien - eine der klassischen Fluchtroute über Mittelmeer mit einem kleinen Boot über die offene See, schildert der junge Mann kurz. Bei ihm sei alles gut gegangen - zum Glück. Doch: „Ich hatte Kollegen, die auf dem Weg gestorben sind.“ Zunächst lebt er in Italien. „Da war das Leben ganz anders. Selbst im Winter waren wir draußen, mussten im Zelt leben, es war sehr kalt und die Verpflegung war schlecht.“ Also macht er sich weiter auf den Weg, nach Deutschland und landet im Ruhrgebiet. „Mülheim ist eine bessere Stadt,“ sagt er nach rund fünf Jahren hier.

Mohamed Tounkara aus Guinea, der inzwischen in Mülheim lebt, setzt alles daran, eine Ausbildung zum Lokführer zu machen.
Mohamed Tounkara aus Guinea, der inzwischen in Mülheim lebt, setzt alles daran, eine Ausbildung zum Lokführer zu machen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Blickt Mohamed Tounkara auf seine Anfänge hier zurück, sagt er: „Ich wollte sofort arbeiten. Aber in Deutschland geht das nicht, es gibt viele Gesetze.“ Zunächst musste er auf eine Arbeitserlaubnis warten. „Deswegen bin ich erst zwei Jahre zur Schule gegangen. In meiner Heimat habe ich nicht gearbeitet, weil es dort keine Arbeit gibt. Es gibt auch keine Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu machen.“ Ganz genau kann Mohamed Tounkara daher auch benennen, was er an Deutschland so schätzt: „Pünktlichkeit und Rechtssicherheit.“ Längst hat er hier die Hauptschule abgeschlossen. Jetzt will er endlich weiterkommen - und Lokführer werden, sein absoluter Traumberuf. „Immer, wenn ich als Kind in meiner Heimat einen Zug gesehen habe, wollte ich selber einen fahren. Davon habe ich schon als kleiner Junge geträumt. Später in Deutschland habe ich an den Bahnhöfen die Lokführer mit ihren Mützen und Uniformen gesehen. Das hat mir sehr gut gefallen. Deswegen ist es immer noch mein Ziel, Lokführer zu werden.“

Auch nach fünf Jahren in Mülheim lebt er noch in einer Flüchtlingsunterkunft

Um Geld zu verdienen, hat er bereits seit einigen Jahren geschuftet in Deutschland - etwa bei McDonalds in der Küche, als Lagerhilfe und zuletzt bei einem Mülheimer Metallverarbeitungsunternehmen. Keine Frage - jetzt, mit 25 Jahren fällt ihm die Arbeit dort nicht sonderlich schwer. „Aber“, sagt Mohamed Tounkara, „nur wenn du Kraft hast, kannst du diesen Job machen, wenn du alt bist, nicht mehr, dann wirst du aussortiert.“ Davor will der junge Mann sich schützen. Immer noch, auch nach fünf Jahren in Mülheim, lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in Speldorf, teilt sich sein Zimmer mit wechselnden Mitbewohnern. „Dadurch habe ich weniger Kosten, als wenn ich eine Wohnung finanzieren müsste.“

Bislang war er ja stets nur Hilfsarbeiter, wurde durch Zeitarbeitsfirmen eingesetzt - darauf könne man keine Zukunft aufbauen, sagt er. Mohamed Tounkara will in Deutschland, zumindest in Europa bleiben, sicher auch eine Familie gründen mit seiner Freundin, erzählt er fast schüchtern. Glasklar hat er aber vor Augen, dass er nur eine gute, eine auskömmliche Perspektive hätte, wenn er Lokführer wird. „Es ist ein sicherer Arbeitsplatz und ich kann gut verdienen. Triebfahrzeugführer werden immer gebraucht, auch im Ausland“, sagt er. Auch im Ausland - was sich wie ein Halbsatz liest, ist für den 25-Jährigen von grundlegender Bedeutung. Weil er weiß, wie es ist, flüchten zu müssen und in einem anderen Land neu anfangen zu müssen, will er einen Beruf erlernen, den er nahezu in jedem Land der Welt ausüben kann.

Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) hilft jungem Guineer

Das Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) betreut Menschen, die arbeitslos geworden sind oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Das Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) betreut Menschen, die arbeitslos geworden sind oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Doch die Weichen, die der gebürtige Guineer stellen muss und die Baustellen, die er zu bewältigen hat, bis er in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben in finanzieller Unabhängigkeit jenseits des Mindestlohns führen kann, sind mannigfaltig. „Zahlreiche Puzzlestücke“, nennt es Gabi Spitmann vom Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz), das Mohamed Tounkara begleitet und berät. Da sei zum einen die Aufenthaltsgenehmigung, die in kurzer Zeit ausläuft, zudem ende sein Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 bald, rutsche er ins Bürgergeld, könne das seine Zukunftsperspektive verschlechtern, falle er zurück in den Status einer Duldung, zudem wird Mohamed Tounkara bald 26 - „die Altersgrenze macht viel aus“, weiß Beraterin Spitmann, die bei dem jungen Guineer mentale Stärke und Biss erlebt: „Er ist ein Kämpfer. Er hat auch schon selbstständig die Eignungsprüfung für Triebfahrzeugführer gemacht.“ Immerhin: Auch bei der Agentur für Arbeit sehe man sein Potenzial, wolle man versuchen, den jungen Mann so weit zu bringen, dass er in eine Ausbildung münden kann.

Weil er herausgefunden hat, dass es ein Pluspunkt für die Einstellung als Lokführer ist, den Autoführerschein zu haben, drückt Tounkara dafür nun die Schulbank. Die Theorie hat er schon bestanden - jetzt spart er sich die Fahrstunden vom Mund ab hier. Hier wird unsere Benefizaktion Jolanthe helfen, die Klienten unterstützt, die beim Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) in der Beratung sind, und für die Mülheimerinnen und Mülheimer großzügig gespendet hatten. 

Damit er Lokführer werden kann, braucht es Unterstützung von vielen Seiten

Was mehr als deutlich erscheint im Fall des Guineers, sagt Gabi Spitmann, sei - bei allem Engagement und eisernem Willen des jungen Mannes -, dass alle Beteiligten einen langen Atem werden haben müssen, bis der Traum von Mohamed Tounkara in Erfüllung gehen wird. Viele Hürden sind noch zu nehmen, verschiedene Instanzen müssen ihm wohlgesonnen sein, erkennen, dass es sich lohnen wird, ihn zu fördern.

Gabi Spitmann sieht den jungen Mann dabei auf einem guten Weg: „Er ist hier in Deutschland an die richtigen Leute geraten“, beschreibt sie seine gelungene Integration. Begeistert erzählt Tounkara von seinen Sportsfreunden beim TuSpo Saarn. Auch hier setze man sich für ihn ein. Und eines Tages, daran lässt der 25-Jährige keinen Zweifel, wird er seine Kumpel im Zug durch Deutschland chauffieren.

Kontakt zum Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz), Friedrichstraße 24, 0208/325 21.

Betroffene erzählen – weitere Berichte über das Malz:

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