Mülheim. Unsere Redakteurin wollte wissen, wer in Mülheim ab 50 mit dem Tanz anfängt. Warum sie spontan mitmachte, obwohl sie nie Ballett machen wollte.
Ich habe es 44 Jahre lang geschafft, um Ballett einen Bogen zu machen. Jazzdance, Step Aerobic, auch Callanetics und Pilates habe ich ausprobiert. Aber Ballett? Niemals. Ich war immer einen Kopf größer als die anderen, ganz bestimmt keine elfenhafte Erscheinung . Ballett war so ziemlich die letzte Tanzart, die ich mit mir in Verbindung gebracht hätte. Und jetzt bin ich 44, stehe im Tanzstudio Ballerita in Styrum und finde mich in der Gruppe BallettÜ50 wieder. Was ist passiert?
Eigentlich war nur ein ganz normaler Bericht geplant. Eine Ballettgruppe Ü 50 klingt interessant. Besonders Tanz verbinden wir in erster Linie mit jungen Körpern. Was treibt einen dazu, mit 50 Ballett anzufangen? Dann sagte die Kollegin in der Redaktion fast schon im Vorbeigehen: „Eigentlich muss man sowas selbst ausprobieren.“ Sie hat ja Recht, dachte ich, und fühlte mich in meinem Ehrgeiz gepackt... zumindest in diesem Moment.
Sieben Frauen nehmen mich im Mülheimer Studio in ihren Kreis auf
Meinen ersten Zeitungsartikel habe ich vor 25 Jahren geschrieben. Es kommt nicht mehr besonders oft vor, dass ich vor einem Termin aufgeregt bin. Vor der Studiotür rebelliert mein Magen. „Ich fühle mich wieder wie mit vierzehn“, schreibe ich meiner besten Freundin aus Schulzeiten, die noch das unsichere Mädchen von damals kennt.
Kurz darauf finde ich mich im Kreise von sieben Frauen wieder. Da ist Brigitte, die von sich selbst behauptet, 75 zu sein, aber aussieht wie 55. Ich bin so dermaßen beeindruckt, dass ich wünschte, ich hätte schon mein gesamtes Leben lang Ballett gemacht - so wie Brigitte. Da ist Andrea, 61, die 40 Jahre lang Pause gemacht hat („Beruf, Kinder, das Übliche“) und jetzt wieder dabei ist. Da ist auch Regina, 66, der die Knie zu schaffen machen und die sagt: „Ich will mich gar nicht mit jungen Frauen messen.“
Die Stunde startet mit einer Überraschung
Studio-Leiterin Rita Nappenfeld-Weber begrüßt mich herzlich und verfügt direkt: „Frau Moselage, bitte in die Mitte des Raumes.“ Da stehe ich nun, im Zentrum des Geschehens, umgeben von Spiegeln. Mein Blick verfängt sich in dem meiner Nebenfrau Andrea. Sie lächelt, als würde sie mir diese Sache hier wirklich zutrauen. Ich lächle dankbar zurück.
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Die Musik setzt ein. Ich hatte mit Klassik gerechnet, aber das was da aus den Lautsprechern kommt, das ist doch... richtig, „Total eclipse of the heart“. „Plié“, sagt Rita Nappenfeld-Weber und ich gehe in die Knie. Mein Glück ist, dass Ballett ein Tanz mit vielen langsamen Bewegungen ist. Ich kann erstaunlich gut folgen. Was natürlich nicht heißt, dass ich besonders präzise wäre. Ich gehe auf Zehenspitzen, wenn die anderen auf dem Boden bleiben. Mein Arm geht nach vorn, wenn er zur Seite soll.
Beim freien Tanz kneife ich
Andrea vor mir wird zu meinem Anker. Sie bewegt sich mit einer Präzision und Eleganz, dass ich mir jeden Schritt von ihr abgucke. Überhaupt, diese Grazie. Wo kommt die her? „Die kommt, wenn man sich darauf einlässt. Bei Jeder zu einem anderen Zeitpunkt“, sagt Rita. Ich komme erstaunlich gut durch die Stunde. Selbst die Stange meistere ich. Okay, mein Bein lege ich auf die niedrigere Stange, während die 75-jährige Brigitte neben mir das Bein locker 20 Zentimeter höher schwingt. Und beim Vornüberbeugen zeigt mir mein Büro-Rücken sehr genau, was er von solchen Bewegungen hält, aber ich kann folgen, tanze nicht aus der Reihe.
Das ändert sich schlagartig bei der Diagonalen. Zu „All by myself“ wird eine vorgegebene Abfolge durch den Raum getanzt. Mit den Füßen kann ich vielleicht noch folgen, aber dann noch die Arme dazu? Ich flüchte zu meinem Schreibblock, um ein paar Eindrücke zu notieren und ein paar dieser Begriffe, die ich nachschlagen will wie Cambré, Adagio, Arabesque, Assemblé.
Mülheimerin hat mit 59 Jahren ihr Studio eröffnet
Als kurz darauf der Walzer aus Schwanensee einsetzt, habe ich den besten Blick auf die Gruppe. Als das Stück seinen Höhepunkt erreicht und die Damen auf mich zugetanzt kommen, beginne ich zu verstehen, was Ballett ist. Es ist eben kein Sport, man macht das nicht, um sich abzureagieren oder zu stählen. Es ist Bewegung, Gemeinschaft, Gefühl, alles zu gleichen Teilen. „Und das Verlieren in der Musik. Das ist mir auch wichtig“, sagt mir später Brigitte, die mit acht Jahren angefangen und nie wirklich aufgehört hat, Ballett zu tanzen.
Am Ende der Stunde ist mir klar, dass ich nur einen Bruchteil dessen ausgeführt habe, was Ballett bedeutet. Es sind Winzigkeiten wie die Stellung des Fußes, die Verlängerung der Bewegung durch die Hände, die Koordination. „Ballett hält geistig und körperlich fit“, sagt Rita Nappenfeld-Weber hinterher. Sie war 59 Jahre alt, als sie vor drei Jahren ihr Studio in Styrum eröffnet hat. Zuvor arbeitete sie 37 Jahre lang bei der Sparkasse und gab nebenbei Unterricht.
Zum Abschluss fragt Andrea, ob ich wiederkomme
Ältere Tänzerinnen waren von Anfang an ihre Zielgruppe, auch wenn sie genauso Kinder und Jugendliche unterrichtet. Ihre ältesten Tänzerinnen sind in der Kreistanz-Gruppe. „Nur zwei Frauen sind unter 80, eine sogar 90 Jahre alt. Einige kommen mit dem Rollator ins Studio und lassen ihn dann stehen. Das Tanzen im Kreis gibt Halt“, erzählt sie.
„Du könntest doch eigentlich nächste Woche wiederkommen“, sagt Andrea zum Abschluss. Könnte ich tatsächlich, denke ich. Mein Rücken würde es mir danken. Aber nicht nur der. „Das hier ist ein geschützter Raum. Hier darf sich Jede ausleben“, sagt Rita Nappenfeld-Weber und ich weiß genau, was sie meint. Ich bin eben keine vierzehn mehr. Heute tanze ich für mich.
Infos: ballerita.de
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