Kamp-Lintfort. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich den Herausforderungen stellen, finden auch Menschen mit Handicap in den Job. Wie das bei Michelle gelungen ist.
Von der Praktikantin zur festangestellten Fachkraft: Seit knapp einem Jahr unterstützt Michelle Scholz das Team der „Therapiewelten“ in Kamp-Lintfort nun als Masseurin und medizinische Bademeisterin. Ihre starke Sehbehinderung stellte sie und ihre Arbeitgeber auf dem Weg in den Beruf einige Herausforderungen. Im Rahmen der „Woche der Menschen mit Behinderungen“, die am Dienstag, 3. Dezember, mit dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen endet, möchte die Agentur für Arbeit Wesel Beispielen erfolgreicher Integration von Personen mit Handicap am Arbeitsmarkt, wie im Falle von Michelle Scholz, eine Bühne bieten, um Arbeitgebende wie auch Betroffene zu inspirieren und über Unterstützungsangebote zu informieren.
Ein iPad, eine kleinere elektronische Lupe und ein digitales Lesegerät gehören zu den Utensilien, die Michelle Scholz den Arbeitsalltag erleichtern. Dabei arbeitet die junge Frau in ihrem Beruf als Masseurin und medizinischer Bademeisterin vorwiegend mit und am Menschen. Von Geburt an lebt die 23-Jährige mit einer starken Sehbinderung. Auf dem linken Auge beträgt ihre Sehkraft zehn Prozent, auf dem rechten sind es fünf Prozent des Sehvermögens. Hinzu kommt eine einseitige Sichtfeldeinschränkung.
Der Idee, im Bereich der Physio- und Ergotherapie zu arbeiten, kam ihr infolge eines weniger erfolgreichen Praktikums an einer Schule. „Mir war klar, ich wollte etwas mit Menschen machen, aber eigentlich eher mit Kindern“, gesteht Scholz. Dass sie nur anderthalb bis zwei Meter in die Ferne blicken kann, habe sich in der Beaufsichtigung kleinerer Kinder jedoch als Hindernis herausgestellt.
Agentur für Arbeit Wesel sieht Menschen mit Handicap als wichtige Fachkräfte
Auf ähnliche Hindernisse wie Michelle Scholz scheinen viele Personen mit Schwerbehinderung zu stoßen. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge machten Menschen mit Behinderung im vergangenen Jahr etwa 8,7 Prozent aller Arbeitslosen aus. „Das stellt eine Entwicklung dar, der wir klar entgegenwirken wollen“, macht Stefan Schapfeld, Teamleiter Berufliche Rehabilitanden und Teilhabe der Agentur für Arbeit Wesel deutlich. „Menschen mit Handicaps sind wertvolle Arbeitskräfte, denkt man an das Stichwort ‚Fachkräftemangel‘“, so Schapfeld. Nicht nur seitens der Betroffenen bedürfe es dazu Offenheit, neue Wege einzuschlagen.
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Für Arbeitgebende bedeutet die Integration von Menschen mit Schwerbehinderungen in den Arbeitsalltag oftmals ebenfalls Anpassungen, die teils mit Kosten verbunden sind. Was viele nicht wissen: Die Ansprechstelle für berufliche Rehabilitation der Agentur für Arbeit bietet über konkrete Beratung auch Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung der Unternehmen und Betriebe.
„Eigentlich eine Idiotie, wo wir in unserer täglichen Arbeit doch viel mit Menschen mit Behinderung zu tun haben“
Nach der Absolvierung des sechsmonatigen Anerkennungspraktikums im Rahmen ihrer Ausbildung am Berufsförderungswerk war für Hans van Leest, Mitinhaber der Therapiewelten Kamp-Lintfort, klar: „Die Michelle ist ein nettes Mädchen - die passt zu uns, aber wir brauchen auch Unterstützung.“ Bis dato habe man noch keine Mitarbeitenden mit Handicap in den Praxisbetrieb integriert. „Eigentlich eine Idiotie, wo wir in unserer täglichen Arbeit doch viel mit Menschen mit Behinderung zu tun haben“, reflektiert sein Kollege und zweiter Inhaber Georg Arts. Das habe sich im Laufe des vergangenen Jahres maßgeblich verändert. „Dieses Jahr haben wir weitere vier Leute mit einem Behinderungsgrad über 50 Prozent eingestellt“, erklärt van Leest.
Patienten reagieren „neugierig“ auf Sehbehinderung von Kamp-Lintforter Masseurin
Im Praktikum bloß mit einer Handlupe ausgestattet und die Dokumentationspflicht ausschließlich handschriftlich ausführend, arbeitet Michelle Scholz nach einem Jahr in den Therapiewelten inzwischen autonomer, weiß jedoch Herausforderungen für sich selbst aufgrund ihrer Seheinschränkung einzuschätzen: „Ich bin überwiegend auf die Busse angewiesen, wenn ich auswärts in Altenheimen tätig bin“, nennt sie ein Beispiel.
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Aufgrund der stark eingeschränkten Sehfähigkeit darf die 23-Jährige keinen Führerschein machen. Zudem benötige sie für einige Prozesse etwas länger, da sie sich vieles mithilfe ihres Lesegeräts oder iPads vergrößern oder den Kontrast ändern müsse, um Dokumente besser lesen zu können. Für ihre Einsätze in den Alten- und Pflegeheimen hat sie sich zudem selbst einen Button erstellt, der ähnlich einer Blindenbinde auf die Beeinträchtigung ihrer Sicht aufmerksam macht. Die Reaktionen der ihrer Kundinnen und Kunden falle überwiegend wohlwollend aus. „Viele der älteren Patienten sind da immer ganz neugierig“, berichtet Scholz. Zudem habe sie oft gehört, dass Menschen, die in einem Sinn eingeschränkt seien, über andere Sinne umso ausgeprägter verfügen würden. „Es verlangt schon viel Zeit, Aufmerksamkeit und Gespräche“, bilanziert Hans van Leest. Für den Arbeitgeber steht jedoch anderes im Vordergrund: „Wir sind wirklich sehr zufrieden mit Frau Scholz.“
Bei Beratungsbedarf von Arbeitgebenden oder Menschen mit Behinderung ist die Agentur für Arbeit Wesel unter der Nummer 0800 4 5555 00 montags bis donnerstags von 8 bis 18 Uhr und freitags von 8 bis 14 Uhr oder per E-Mail an wesel.ansprechstelle-rehabilitation@arbeitsagentur.de erreichbar.