Kreis Wesel. Nicole Enders ist Organspendepatin für den Kreis Wesel. Als Mutter hat sie um ihren Jungen gekämpft, jetzt überzeugt sie andere.
Niemand sollte mit 13 Jahren an den eigenen Tod denken müssen. Für Ravi, heute 18, war das anders: Mit einem Herzfehler geboren, entwickelte der Junge eine Herzmuskelentzündung. Schnell war klar, dass er ein neues Herz braucht, um zu überleben. Das Warten auf ein Spenderorgan begann. Seine Mutter Nicole Enders ist heute Organspendepatin für den Kreis Wesel des Vereins Netzwerk Organspende NRW. Sie engagiert sich, damit andere Menschen und andere Kinder überleben können, beantwortet Fragen, überzeugt ohne lästig zu sein. Und sie hat einen Appell: „Egal, wie Deine Entscheidung ausfällt: Entscheide Dich!“
Enders erinnert sich gut an die Krise. Die 52-jährige Hiesfelderin neigt nicht zum Dramatisieren, wie auch? Die Situation war ernst genug. Aber: „Wenn man darin steckt, ist es nicht so schlimm wie für Außenstehende“, sagt sie und mag es gar nicht, wenn Wohlmeinende ihr sagen, wie stark sie gewesen sei. „Wir hatten keine Wahl“, so die dreifache Mutter schlicht, „und keine Chance, da rauszukommen.“ In der Wartezeit auf ein neues Herz musste ihr Jüngster ins künstliche Koma versetzt werden. Irgendwann kam der erlösende Anruf, ein Herz für ihn ist da. Niemand weiß, von wem es stammt, „das ist in Deutschland strikt anonym“, so Enders, das sei auch gut so. Aber sie ist dem Spender oder der Spenderin zutiefst dankbar für das Leben ihres Sohnes.
Kontakt für weitere Fragen
Nicole Enders wird sich in den kommenden Wochen an Unternehmen, Schulen, Verine wenden, um ihrer Sache mehr Gehör zu verschaffen.
Sie ist ansprechbar für alle Fragen rund um die Organspende unter Email nicole.enders@icloud.com, Rufnummer 0173/ 734 40 55.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage des Netzwerkes unter: www.netzwerk-organspende-nrw.de oder unter www.lebensritter.de
Sie und ihr Mann beschlossen gemeinsam: Da gehen wir jetzt durch. „Das Kind muss das spüren“, sagt sie, wissen, dass die Eltern hoffen und an seiner Seite stehen. Zum Zeitpunkt der OP war Ravi 14 geworden, der Junge verstand durchaus, in welcher Lage er sich befand. „Er wollte wissen: Was ist, wenn ich sterbe? Habe ich ein Mitbestimmungsrecht, was mit mir geschieht?“ Rein rechtlich hatte er das nicht, doch seine Eltern gestanden es ihm zu. Was, wenn er schwerstbehindert wäre? Sein Leben um jeden Preis erhalten, oder nicht? „Ravi hat dann gesagt, wenn er noch mit uns kommunizieren kann, sei alles gut.“ Das Kind überlebte, hat mithilfe seiner Familie den langen Weg zurück in die Unbeschwertheit gefunden, die ihm in seinem Alter zustehen sollte. Viel verpasst habe er nicht, „das war mitten in der Pandemie, seine Freunde konnten nicht ausgehen. Und für uns war es ein Segen, eine Art geschützter Raum.“
Vorurteil: „Du hoffst, dass jemand für Dich stirbt“
Ein glückliches Ende, ein lebendiger Junge. Warum dann gibt es so wenig Organspender? Das Thema ist heikel. Schon auf ein Organ zu warten, sei mit Vorurteilen behaftet, weiß Nicole Enders. „Dann heißt es häufig: Du hoffst darauf, dass jemand für Dich stirbt. Aber so ist es ja nicht.“ Die Spender sterben nicht für die Empfänger, ihr Tod hatte andere Gründe. „Ravi weiß, er hat ein großes Geschenk bekommen.“
Vorbehalte gibt es auch dagegen, selbst einen Organspendeausweis auszufüllen. Bin ich wirklich tot, wenn sie mir die Organe entnehmen oder lässt man mich vielleicht sterben, um sie zu bekommen? Weil ein Empfänger jünger ist, gar reicher oder prominenter, vielleicht dafür zahlen kann? Nicole Enders vertraut in diesem Punkt den Ärzten und dem System, zumindest hierzulande. Zwei Mediziner müssen unabhängig voneinander den Hirntod eines Patienten feststellen, bevor es zur Organspende kommt. Wirtschaftliche Interessen sind dabei absolut unzulässig, niemand darf sich ein Organ „kaufen“.
Es gibt keine Altersbegrenzung solange das Organ funktioniert
Ein anderes Argument sei häufig „ich bin zu alt“. Eine Altersbegrenzung für Organspendende gibt es nicht, es seien schon Nieren von über 90-Jährigen verpflanzt worden. „Das Kriterium ist, ob sie einwandfrei funktionieren.“ Dennoch sei nicht jedes Organ auch für jeden Empfänger geeignet. Von den übrigen medizinischen Verträglichkeiten abgesehen, könne man nicht das Herz eines Erwachsenen in ein Baby verpflanzen, das leuchtet auch Laien ein. Häufig gehen die Organe älterer Spender an ältere Empfänger, doch im Zweifel ist es eine Frage von Leben oder Sterben.
Soll nun jeder Mensch im Kreis Wesel Organspender werden? Das würde sich Nicole Enders natürlich wünschen. Sie selbst habe bereits seit mehr als 30 Jahren einen Organspendeausweis. Warum? „Ich habe mal gehört: ‚Der Himmel braucht meine Organe nicht‘, das fand ich passend, denn auf der Erde werden sie benötigt.“ Dennoch möchte sie nicht drängen, belästigen, penetrant sein. „Ich will niemanden überreden. Es ist aber wichtig, dass man sich entscheidet: „Auf dem Organspendeausweis kann man auch ‚Nein‘ ankreuzen.“ Ihr ist es wichtig, dass Menschen die Entscheidung selbst treffen, damit es nicht jemand anderes für sie tun muss, „da spielen sich häufig Dramen ab“.
Die Organspendepatin für den Kreis Wesel ist davon überzeugt, dass jeder Mensch selbst entscheiden soll. Ist die Antwort „Nein“, müsse man das akzeptieren. Doch anders als in anderen europäischen Ländern gilt hierzulande nicht das Widerspruchsrecht: Wer Organe spenden will, muss das ausdrücklich kundtun. In Italien, Portugal, Frankreich, Belgien und Großbritannien etwa, ist jeder und jede Organspender, es sei denn, jemand widerspricht ausdrücklich. Enders wünscht sich diese Regel auch für Deutschland, es würde die Menschen zum Nachdenken anregen.
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Nach der schwierigen Zeit und ihrer Grundhaltung „da müssen wir durch“ gefragt, sagt die Hiesfelderin, dass ihr Glaube sie getragen habe. Ohnehin ist sie eine Powerfrau, Mutter, Erzieherin, ehrenamtlich in diversen Bereichen auch in ihrer Gemeinde aktiv, etwa als Presbyterin und aktuell in der Ausbildung zur Diakonin. Und ihr Sohn? „Er wollte wissen, ob er auch Organspender sein darf.“ Darf er, nur sein Herz, das kann er nicht spenden.