Essen. Ein Essener Szene-Laden, der weltweit bekannt war, erlebt seinen 20. Geburtstag nicht mehr. Doch er verschwindet nicht ganz.
Die Ladenreklame hängt noch am schmalen Vordach: „Red, Hot and Blue“. Wie ein verblassendes Tattoo vor beige-brauner Klinkerfassade. Das Rollgitter vor der Tür ist heruntergelassen, das Schaufenster, früher dekoriert mit schweren Jeans, gepunkteten Petticoatkleidern und stylischen Pomadendosen, es ist leer, das Geschäft für immer geschlossen. Essen hat ein Original verloren. Der Rockabilly-Store an der Thekla-, Ecke Paulinenstraße in Rüttenscheid wäre im Frühjahr 20 Jahre alt geworden.
„Red, Hot and Blue“ hat es nicht geschafft. In den letzten Monaten wurde nach Kräften abverkauft, Ende 2024 auch der Onlineshop rockabilly-rules.com geschlossen. Auf der Website gibt es jetzt nur noch ein Teamfoto, entstanden beim Schwarzlicht-Minigolf, alle mit 3D-Brillen auf der Nase und Kaltgetränken in der Hand. Silke und Stephan Stadie, Gründer und Inhaber des Ladens, bedanken sich bei Freunden, Kundschaft, Geschäftspartnern. Sie schreiben: „Wir blicken mit Freude und Stolz auf eine wunderbare Zeit zurück, in die wir unser ganzes Herzblut gesteckt haben.“
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Essener Rockabilly-Laden „Red, Hot and Blue“: Starke Umsatzrückgänge seit Corona
Gefragt nach den Gründen für die Schließung, sagt Silke Stadie, es seien mehrere. Der wichtigste: Seit der Corona-Pandemie seien die Umsätze stark zurückgegangen, kontinuierlich. Schon im Mai 2024 hätten Stephan und sie dann entschieden: „Bevor wir unsere Mitarbeiter und Rechnungen nicht mehr bezahlen können, machen wir dicht.“ Im August begann der Räumungsverkauf, dann verabschiedete sich ein Geschäft, das Fans in der ganzen Welt miteinander verband, nun aber in dieser Form offenbar nicht mehr gefragt ist.
![Fast 20 Jahre lang konnte man bei „Red, Hot and Blue“ in Essen-Rüttenscheid Mode und Accessoires im Fifties-Stil kaufen (Archivbild). Fast 20 Jahre lang konnte man bei „Red, Hot and Blue“ in Essen-Rüttenscheid Mode und Accessoires im Fifties-Stil kaufen (Archivbild).](https://img.sparknews.funkemedien.de/408242813/408242813_1738852609_v16_9_1200.jpeg)
Ganz klein hatten Stephan und Silke Stadie begonnen, ihr persönliches Lebensgefühl zur beruflichen Existenzgrundlage zu entwickeln. In ihrer Essener Garage designten sie erste Teile, die sie bei Ebay verkauften, ehe 2003 der eigene Onlineshop an den Start ging und 2015 der Laden in Rüttenscheid. Zum zehnjährigen Bestehen des Shops spielten vor dem Geschäft Rockabilly-Bands, drinnen waren die Kleiderständer mit Collegejacken, Holzfällerhemden und Bikinis im Monroe-Look, die Regale mit Nietengürteln, Pin-ups, Handtaschen dicht umlagert. 2007 gründeten Stadies ihr eigenes Label, „Rumble 59“, ließen fortan Kleidung selber designen und fertigen.
Mitarbeitende müssen sich neue Jobs suchen: Zehn Vollzeitstellen betroffen
Zu Glanzzeiten hatte „Red, Hot and Blue“ ein Team von 17 Leuten – im Rüttenscheider Laden und im Warenlager an der Sabinastraße. Hier will sich jetzt der Essener Pop-Art-Künstler Dennis Klapschus alias Deklart ein neues Studio einrichten. Zuletzt seien es noch zehn Vollzeitmitarbeiter gewesen, berichtet Silke Stadie, und vier Aushilfskräfte im Verkauf. Einige von ihnen haben schon neue Stellen gefunden, einige sind auf der Suche. Zur Abschiedsparty haben sie sich am Wochenende in der Steeler Rock‘n‘Roll-Bar „Freak Show“ getroffen: Dort gastierte der Country-Rockabilly-Sänger Andrew James alias Ski King, ein bis zu den Schläfen tätowierter Typ, der früher für „Red, Hot and Blue“ gemodelt hat.
![Anstoßen auf den Abschied: das Team von „Red, Hot and Blue“ mit Stephan (re.) und Silke Stadie (7.v.re.). Anstoßen auf den Abschied: das Team von „Red, Hot and Blue“ mit Stephan (re.) und Silke Stadie (7.v.re.).](https://img.sparknews.funkemedien.de/408246312/408246312_fc_1738852609_v16_9_1200.jpeg)
Kunden kamen aus der Schweiz oder den Niederlanden nach Essen
Aus der Szene seien viele bedauernde Reaktionen gekommen, als die Schließung bekannt wurde, sagt Silke Stadie. „In den Laden kamen Leute aus der Schweiz, aus den Niederlanden, aus Skandinavien. Man hat sich gewundert, dass sie nur für den Einkauf nach Essen reisen. Und online haben wir weltweit verkauft.“ Tränen-Smileys gibt es jetzt auf Instagram, einer schreibt, er habe vor Jahren Sachen bestellt, als er in Texas lebte –„ich werde euch und euren Shop vermissen“.
Doch etwas überlebt: Die beliebtesten Produkte, die es bei „Red, Hot and Blue“ gab, kann man weiterhin bestellen. Zwei langjährige Mitarbeiter aus dem Team, Grafikdesigner Jan und Textildesignerin Mareike, haben die Marken gekauft und führen den Webshop unter rumble59.com weiter. „Wir fokussieren uns auf Artikel, die in den letzten Jahren Bestseller waren“, sagt Jan. „Wir werden aber nur noch online verkaufen und auf kleinen Festivals.“
Unter dem Label „Rumble 59“ bieten sie klassisches dunkles Denim an, von der breit umgeschlagenen Männerjeans bis zum Latzkleid „Rocking Rosie“. Unter den Label „Schmiere“ bekommt man Pomade für Haupthaar und Bart von weich bis hart. Markenzeichen ist ein Rabe mit jeweils unterschiedlich gestyltem Schopf – „ein Maskottchen, das die Szene lieb gewonnen hat“, meint Jan.
Noch kein Nachmieter für das leere Ladenlokal
Was mit dem leeren Ladenlokal an der Theklastraße passiert, ist noch offen. Der aktuelle Mietvertrag läuft erst Ende April aus. „Einen Nachfolger gibt es noch nicht“, erklärt Christiane Neuheuser, Miteigentümerin des Gebäudes, auf Anfrage dieser Redaktion. Die Räume sollen aber weiter gewerblich vermietet werden.
Die Rockabilly-Ära ist an dieser Ecke jedenfalls vorbei, Wehmut beim ehemaligen Team deutlich spürbar: „Wir sind eigentlich Fans von Einzelhandel und cool aufgemachten Geschäften“, sagt Jan, „darum ist es umso trauriger und echt schade. Aber es geht nicht anders.“
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