Essen-Karnap. Ein Drainagesystem sollte für trockene Keller sorgen. Doch die Arbeiten könnten Häuser beschädigt haben. Mehrere Gerichtsverfahren laufen.

Der Keller ist nun trocken: Das ist die gute Nachricht. Abgesehen davon sorgt das Haus in Karnap bei seinen Eigentümern vor allem für Frust. Risse durchziehen die Wände, manche haarfein, andere so breit, dass Putzstückchen herausbröckeln. Ursächlich sind laut Familienvater Blerton Shala die Bodenerschütterungen durch eine Baustelle der Stadtwerke.

Diese haben in dem Wohngebiet vor einigen Jahren ein Drainagesystem bauen lassen, um die nassen Keller trockenzulegen. Weil sich der Stadtteil durch den Bergbau abgesenkt hat, liegt der Wasserspiegel der Emscher über dem Bodenniveau, was das Risiko für Überflutungen erhöht. Drainage-Leitungen und Pumpwerke sollten Abhilfe schaffen.

Essener Stadtwerke bestreiten Zusammenhang zwischen Schäden und Baustelle

Die Stadtwerke stellen die Drainage-Arbeiten vor 2019
2019 begannen die Arbeiten vor dem Haus der Familie Shala. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Etwa vier bis fünf Monate nach Beginn der Baumaßnahme habe er in einigen Wänden seines Hauses erste Haarrisse bemerkt, erzählt Blerton Shala. Auch die Tore zur Einfahrt hätten sich plötzlich nicht mehr schließen lassen, „die Pfeiler waren zur Seite gesackt“. Im Eingangsbereich sei ein Spalt entstanden.

Solange die Arbeiten andauerten, seien immer wieder neue Risse hinzugekommen; bereits vorhandene hätten sich teilweise vergrößert, erzählt der Karnaper, und führt durchs Haus. Auf den ersten Blick scheinen die Schäden gering, erst bei genauem Hinsehen zeigt sich ihr Ausmaß: Risse befinden sich hinter einem Schrank, in der Fensternische, am Übergang zur Zimmerdecke, über der Tür. Im Bad zieht sich ein hauchfeiner Riss durch eine Fliese, in einem Kinderzimmer im ersten Obergeschoss verläuft ein Riss bis in die nächste Etage. „Das kann bei Bauarbeiten passieren und es lässt sich reparieren“, sagt Shala, „aber wer zahlt das?“.

Denn die Stadtwerke bestreiten, dass ihre Arbeiten die Schäden verursacht haben. Shala findet das seltsam: In der Zufahrt zum Haus nämlich wurde im Auftrag der Stadtwerke die beschädigte Pflasterfläche erneuert, der Zusammenhang zwischen dem Schaden und den Tiefbauarbeiten also anerkannt. Das bestätigt Roy Daffinger, Sprecher der Stadtwerke, auf Nachfrage. Für die Schäden am Gebäude hingegen habe man ein Gutachten erstellen lassen, sagt er, mit dem Ergebnis, „dass diese Schäden nicht auf unsere Tätigkeiten zurückzuführen sind.“ Daher sei auch keine Regulierung vorgenommen worden.

Angst vor kostspieligem Rechtsstreit: Etwa 100 Geschädigte meldeten sich, nur 12 klagten

Familie Shala hat ihr Haus vor Beginn des Drainage-Projekts umfassend saniert. Beim ersten Gutachter-Termin seien sie gerade mit der Dämmung und dem neuen Dach fertig gewesen, erzählt Blerton Shala. Der Gutachter habe nur bemerkt, dass alles neu aussehe, und ein paar Fotos gemacht. Das Gutachten aber habe der Hauseigentümer nie zu Gesicht bekommen. „Ich fühle mich getäuscht. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich von Anfang an einen eigenen Sachverständigen beauftragt.“

Die Aussage der Stadtwerke will er deshalb nicht akzeptieren. Er lässt sich anwaltlich vertreten, hat mittlerweile auch eigene Gutachten für das Gerichtsverfahren in Auftrag gegeben. 16.000 Euro hat ihn der Rechtsstreit nach eigenen Angaben bislang gekostet – aus seiner Sicht einer der Gründe, warum von den ursprünglich um die 100 Geschädigten nur zwölf geklagt hätten.

Anwohner in Essen frustriert
Einer von vielen Rissen in der Wand des Einfamilienhauses. © FUNKE Foto Services | Katleen Diekgraefe

SPD-Ratsherr Michael Schwamborn teilt diese Einschätzung: Viele Anwohner hätten „sich ihre Häuser vom Munde abgespart“, und würden nun auf Schäden sitzenbleiben, die durch die Stadtwerke-Baustelle entstanden seien. „Das war im Vorfeld anders abgesprochen; es hätte viel mehr Begleitung und Betreuung der Anwohner geben müssen.“

Streit zwischen Eigentümern und Stadtwerken zieht sich hin, Kosten für Reparaturen steigen

Stadtwerke-Sprecher Daffinger erklärt: Im Rahmen der Bauarbeiten sei „bei jedem Wohnhaus im Einflussbereich der Baustelle eine sogenannte Erstbeweissicherung durch ein Sachverständigenbüro“ durchgeführt worden. „Jede Schadensmeldung, die während der Baumaßnahme an uns herangetragen wurde, hat die Bauleitung vor Ort anschließend unverzüglich im Detail geprüft. Sofern ein Zusammenhang des Schadensbildes zur Baumaßnahme festgestellt wurde, haben wir den Eigentümern eine Entschädigung angeboten.“ In unklaren Fällen sei eine weitere Beweissicherung erfolgt.

Auch am Haus von Berthold Hiegemann sind Risse entstanden. (Archivbild)
Auch am Haus von Berthold Hiegemann sind Risse entstanden. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Doch nicht nur Blerton Shala äußert Zweifel an diesem Vorgehen und der Aussagekraft der Gutachten – Haus-Eigentümer Berthold Hiegemann klagt ebenfalls gegen die Stadtwerke. Er wohnt an der Hattramstraße, etwa einen Kilometer von Blerton Shala entfernt. Auch dort haben die Stadtwerke eine Drainage verlegen lassen, auch dort entstanden während der Arbeiten plötzlich Schäden am Haus.

„Ein Raum ist seitdem unbenutzbar, weil es dort so zieht. Die Risse sind bis zu viereinhalb Zentimeter breit“, sagt Hiegemann. Ein weiterer müsse ebenfalls saniert werden, auch am Dach gebe es Schäden. Ein seinerzeit erstelltes Gutachten beziffert die Schäden mit 16.500 Euro. „Doch das war vor vier Jahren“, so Hiegemann. Ein aktueller Kostenvoranschlag für Reparaturen, basierend auf dem Gutachten, liege aufgrund der gestiegenen Material- und Handwerkerkosten schon bei 22.000 Euro.

Prozess gegen die Stadtwerke könnte laut Anwalt noch zwei bis drei Jahre dauern

Vor einigen Tagen hat das Landgericht den Eingang von Hiegemanns Klageschrift bestätigt. Dem vorangegangen sei ein drei Jahre dauerndes Beweissicherungsverfahren, berichtet der Rentner. Der Prozess, sage sein Anwalt nun, könne weitere zweieinhalb bis drei Jahre dauern

Pilotprojekt in Karnap

Das „Ersatzsystem Essen Karnap“ wurde als ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt Essen, der Ruhrkohle, der Emschergenossenschaft und der Stadtwerke Essen umgesetzt. Als Eigentümer und Betreiber des Abwassernetzes haben die Stadtwerke Essen die Aufgabe, Fremdwasser aus den Abwasserkanälen fernzuhalten. Somit übernahmen sie bei dem Projekt die ausführende Funktion und waren für den Bau und den Betrieb des Ersatzsystems zuständig.

Dabei habe es zwischenzeitlich beinahe so ausgesehen, als komme man doch noch zu einer gütlichen Einigung: „Die Stadtwerke boten an, den Schaden zu übernehmen – allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.“ So schildert es Berthold Hiegemann und erklärt auch, warum er sich darauf nicht einlassen wollte: Wäre man nämlich im Zuge der Sanierung auf weitere Schäden gestoßen, bzw. würden bedingt durch die Vorschäden weitere Mängel am Haus entstehen, sei der Rechtsweg versperrt. So habe er also „zum ersten Mal in 30 Jahren“ seine Rechtsschutzversicherung in Anspruch genommen, um gegen die Stadtwerke zu klagen. Auch seine Nachbarn würden klagen: eine Familie mit zwei Kindern, die ihre kompletten Ersparnisse in die Sanierung ihres Altbaus gesteckt habe.

An der Hattramstraße wurde ebenfalls vor einigen Jahren die Drainage verlegt. (Archivbild)
An der Hattramstraße wurde ebenfalls vor einigen Jahren die Drainage verlegt. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ihm seien jedoch auch viele andere Fälle bekannt, in denen sich unversicherte Eigentümer mit Kulanz-Beträgen von 1000 bis 5000 Euro zufriedengegeben und auf die Klagemöglichkeit verzichtet hätten. Ähnliches schildern auch Schwamborn und Shala.

Zu einzelnen Vereinbarungen dieser Art wollen sich die Stadtwerke aus Datenschutzgründen nicht äußern, erklären auf Nachfrage nur, dass man sich „mit einigen Anwohnenden“ außergerichtlich gereinigt habe. Grundsätzlich werde bei jeder Entschädigungszahlung, unabhängig von der Art des Schadensfalles, eine Abfindungserklärung verlangt, also die Bestätigung, auf gegenwärtige oder künftige Ansprüche aus dem aktuellen Schadenfall zu verzichten. „Dies ist eine gängige Praxis, die insbesondere seitens der Versicherungen verfolgt wird.“

  • Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!

Von den ursprünglich zwölf Gerichtsverfahren sind laut Stadtwerken aktuell sechs Verfahren offen. Bei den übrigen sei in drei Fällen festgestellt worden, dass die Schäden nicht durch die Baumaßnahme entstanden seien. In drei weiteren habe jeweils ein Vergleich mit den Anwohnern erzielt werden können.

Karnaper Haus-Eigentümer wollen endlich sanieren

Seit dem Abschluss der Bauarbeiten in der Straße sind laut Blerton Shala keine neuen Risse mehr entstanden. Allerdings ist seine Geduld langsam erschöpft: Das Erdgeschoss des Hauses, wo sich Esszimmer und Küche befinden, hat er komplett renoviert, auch auf die Gefahr hin, die Kosten nicht ersetzt zu bekommen. „Ich habe ein Haus gekauft, damit ich darin leben und mich wohlfühlen kann“, sagt er. Mit den übrigen Reparaturen und auch anderen längst geplanten Projekten wie der Überdachung des Eingangsbereichs hält er sich zurück. Zu groß ist die Sorge, sich damit selbst zu schaden: „Bis das Verfahren nicht abgeschlossen ist, kann ich hier nichts verändern, sonst behaupten die vielleicht, dass die Schäden durch meine Arbeit entstanden sind.“

Auch Berthold Hiegemann ist vorsichtig und wartet ab. Wenn er jetzt sanieren lasse und im Prozessverlauf die vorhandene Dokumentation in Zweifel gestellt werde: Ja, was dann?

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]