Essen. Knapp vier Wochen nach dem Start führt die neue Verkehrsführung in Essen-Rüttenscheid weiter zu schwierigen und teils gefährlichen Situationen.
Seit fast vier Wochen gilt nun die neue Verkehrsführung in Rüttenscheid, doch eingespielt haben sich die neue Regeln nicht, eher im Gegenteil. Etliche Geschäftsleute auf der vor einigen Jahren zur Fahrradstraße erklärten Rüttenscheider Straße klagen zudem bereits über Umsatzeinbußen und wollen am Samstag, 23. November ihrem Unmut Luft machen und gegen das von ihnen so titulierte „Rü-Chaos“ demonstrieren.
Vor gut einem Jahr brachte man rund 200 Leute gegen die damals geplante und nunmehr umgesetzte Änderung der Verkehrsführung auf die Straße, und das sei mindestens auch diesmal das Ziel, erklärte der Mode-Einzelhändler Ralph Cremer, der wieder die Organisation übernommen hat. Derzeit führe er Gespräche mit der Polizei, um die konkrete Demo-Route festzulegen. Treffpunkt soll um 11 Uhr am Rüttenscheider Stern vor dem Gebäudekomplex Rü 62 sein.
Einzelhändler in Rüttenscheid beklagen Umsatzrückgänge
Cremer zufolge spüren viele Geschäftsinhaber bereits die Folgen der Mitte Oktober mit Verkehrsschildern gestarteten Autoverdrängung. „Bei mir ging der Umsatz um über ein Viertel zurück“, sagt der Inhaber des Modegeschäfts Edelguth.
Als jüngst das Schlosshotel Hugenpoet seinen Concept-Store „Hugenpoet and Friends“ an der oberen Rü in Höhe Florastraße und Krupp-Krankenhaus eröffnete, klagten im kleinen Kreis einige benachbarte Geschäftsleute ebenfalls über wegbleibende Kunden. „Vielleicht kehren die Leute zurück, wenn sie sich an die Umwege gewöhnt haben“, hieß es. Die nun gesperrte Direktzufahrt aus Richtung Bredeney lässt sich beispielsweise durch einen Schwenk in die Wohngebiete umfahren.
Für Demo-Initiator Cremer zeigen solche und viele andere teils erwungene Umwegfahrten den Unsinn der gesamten neuen Verkehrsführung, wobei die Lage am Rüttenscheider Stern am schlimmsten sei. „Durch den Abbiegezwang gibt es an der Zweigertstraße zwischen Rü und Alfredstraße lange Staus, die es vorher nicht gab.“ Auch an der Klarastaße zwischen Rüttenscheider Marktplatz und Stern komme es zu Staus, weil aus zwei Spuren für Autos eine wurde und das Linksabbiegen auf die Rü nur noch Radfahrern erlaubt ist.
Rüttenscheider Stern leidet unter Überlastung
Um die Stau-Phänomene zu beobachten, muss man nicht lange warten, an besonders frequentierten Tageszeiten wie etwa Samstag Mittag oder nachmittags an Werktagen sind die Probleme offenkundig. Das bestätigt auch der Hörgeräte-Akustiker Volker Ligmann, der direkt am Rüttenscheider Stern sein Geschäft hat. „Es ist absurd, was die Stadt hier angerichtet hat.“ Die künstlich herbeigeführte Überlastung der Kreuzung sei nicht nur unsinnig, sondern auch gefährlich, und zwar gerade für die schwächeren Verkehrsteilnehmer.
Tatsächlich spielen sich am Stern unschöne Szenen ab, weil die Autos sich wegen der Verengung und der relativ zeitraubenden Abbiegevorgänge gegenseitig blockieren. Auch für Radfahrer ist das Fortkommen keineswegs leichter geworden. Oft ist die Kreuzung noch nicht geräumt, wenn die Ampelphase wechselt, was Nervosität erzeugt und Fahrfehler begünstigt. Autos kommen dann zum Beispiel Fußgängern sehr nah, die grünes Licht bekommen haben. „Alle Kunden sprechen mich auf die neue Verkehrsführung an, niemand findet sie sinnvoll“, betont Ligmann. Auch er fürchtet Umsatzeinbußen.
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Die Streichung der Linksabbiegemöglichkeit von der Klarastraße auf die Rü hat viele Autofahrer überrascht, denn im Vorfeld spielte dieses wichtige Detail keine große Rolle. Ursprünglich nicht vorgesehen waren die Abbiegemöglichkeit von der Zweigertstraße rechts auf die Rü und der folgende Abbiegezwang von der Rü auf die Christophstraße, die dann wiederum auf die Alfredstraße mündet. „Man kann doch die Bürger nicht einfach in den Kreis schicken“, ist Ralph Cremer fassungslos. „Und wo bleibt bei diesen erzwungenen Umwegfahrten eigentlich der Umweltgedanke?“
Polizei arbeitet noch immer vielfach mit Ermahnungen
Verkehrsdezernentin Simone Raskob nennt als Grund für die bizarr wirkende Variante, dass die Ladezone an der Ecke Christophstraße/Rüttenscheider Straße ansonsten nicht erreichbar sei. Andere glauben mit mehr Plausibilität, die Stadt habe im Vorfeld schlicht übersehen, dass die Parkplätze auf der westlichen Seite der Rü zwischen Stern und Martinstraße (Fahrtrichtung Süden) nur noch durch riskante und deshalb unerwünschte Wendemanöver der Autofahrer nutzbar gewesen wären. Dies habe man durch eine Art Bypass wenigstens teilweise heilen müssen. Kritiker sehen in der Nachbesserung einen Beleg, wie sehr die Stadtverwaltung das gesamte Konzept mit der heißen Nadel gestrickt habe.
Noch immer ignorieren jedenfalls viele Autofahrer an dieser Stelle die Abbiegepflicht - ob bewusst oder versehentlich, muss offen bleiben. Jüngst hielt die Polizei eine Reihe von ihnen an, um sie mündlich über ihr Fehlverhalten zu belehren, jedoch wurden erkennbar keine Bußgelder verteilt. Gelegentlich kann man fast den Eindruck gewinnen, als hätten die Polizisten wenig Lust, die wohl auch unter ihnen umstrittene Verkehrsführung mit drakonischeren Mitteln durchzusetzen.
Verständnislosigkeit, Übellaunigkeit und Nervosität sind Alltag auf der Rü und den Nebenstraßen
Es läuft jedenfalls noch lange nicht rund in Rüttenscheid. Verständnislosigkeit, Übellaunigkeit und Nervosität haben unter allen Verkehrsteilnehmern eindeutig zugenommen, auch bei jenen, denen man durch die neue Verkehrsführung eigentlich helfen will, schneller voranzukommen. An der Zweigertstraße nerven zudem regelmäßige Hupkonzerte.
Soll das nun einfach so weitergehen? Laut Dezernentin Raskob sollen Mitarbeiter des Dortmunder Büros „Planersocietät“, das die Stadt bei der Rü-Verkehrsplanung beriet, sich ab Ende November mehrere Tage an mehreren Stellen posititionieren, die Lage beobachten und dann berichten.
Wie sehr speziell die Einzelhändler tatsächlich leiden, will die Industrie- und Handelskammer im Rahmen einer Umfrage herausfinden, die aber eher auf eine Langzeitbetrachtung bis weit ins nächste Jahr angelegt ist. „Die Zeit haben wir nicht“, sagt ein Betroffener, der nicht genannt werden möchte. „Wenn das Weihnachtsgeschäft schlecht zu laufen droht, kriegen viele Einzelhändler ein Problem.“ Das gelte weniger für die, die Waren des täglichen Bedarfs anbieten als vielmehr für gehobene Fachgeschäfte. Gerade sie machen neben der Gastronomie den besonderen Charme des Stadtteils aus.
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