Essen. Das „Unperfekthaus“ in der nördlichen Innenstadt wird 20 Jahre alt und feiert am Samstag (12. Oktober). Wie alles begann, und was sich verändert hat.

Kann ein mehrgeschossiger Bau in der Fußgängerzone ein „Künstlerdorf“ sein? Seit 20 Jahren beweist das „Unperfekthaus“ in der nördlichen Innenstadt, dass ungewöhnliche Ideen erfolgreich sein können, was die neue Nutzung von alten Immobilien in zentraler Lage angeht.

Gruppen-, Probe- und Kreativräume für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger

Das Unperfekthaus bietet Werkstätten, Probe- und Gruppenräume, eine Holzwerkstatt, einen Physik-Bastler-Raum und Ateliers für Künstler, Kreative und Bastler. Auch Initiativen und Gruppen sind gerne gesehen. Im Erdgeschoss, Eingang über die Friedrich-Ebert-Straße (Fußgängerzone) gegenüber vom Limbecker Platz, gibt es ein Restaurant und Café. Der Eintritt ins Restaurant ist frei, für den Eintritt in die oberen Etagen zahlt man neun Euro, dann hat man für die Dauer seines Aufenthaltes unbegrenzten Zugang zu Softdrinks, Kaffee und Tee. Auch einen Yogaraum, ein komplett ausgestattetes Tonstudio sowie ein Podcast-Studio gibt es.

Unperfekthaus-Gründer Reinhard Wiesemann: „Heute ist weniger Werkstatt-Charakter“.
Unperfekthaus-Gründer Reinhard Wiesemann: „Heute ist weniger Werkstatt-Charakter“. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Das Gebäude war bis in die Neunziger Jahre ein Franziskaner-Kloster, stand dann lange leer. 2004 kam Reinhard Wiesemann (64), ein IT-Unternehmer aus Wuppertal, und schuf das Unperfekthaus. Das Haus ist vermutlich so ungewöhnlich wie Wiesemanns eigene Biografie: „Als Zwölfjähriger hatte ich im Keller meiner Eltern angefangen zu basteln“, sagt Wiesemann. Elektronik-Bauteile hatten es dem Jungen angetan; er belegte VHS-Kurse in Digitaltechnik und erreichte mit 17 Jahren den zweiten Platz bei einem europäischen Physik-Forscherwettbewerb. Er hatte ein „Verfahren digitaler Speicher für einmalige, analoge Signale“ entwickelt, unter anderem gebaut aus Teilen von ausgemusterten Radios und Fernsehern.

Das Preisgeld investierte er in seine erste eigene Firma. Er verschickte selbst konstruierte Bauteile ins In- und Ausland, „und mit 19 Jahren hatte ich vier Mitarbeiter.“ Klar, dass er dann Elektrotechnik studierte – aber nicht abschloss: „Keine Zeit.“ Nach Essen kam er dann wegen der Villa Vogelsang, einem alten Industriellen-Domizil hoch über der Ruhr im Stadtteil Horst. Dort schuf er das „Linux“-Hotel, ein Gastgewerbe mit angeschlossenem Schulungszentrum. Dort werden Techniker aus aller Welt im offenen Betriebssystem „Linux“ fit gemacht; viele Mitarbeiter namhafter Firmen sind darunter.

In Essen-Horst entstand das erste Projekt von Reinhard Wiesemann

Es ist kein Zufall, dass Wiesemann „Linux“ gut findet, die Software ist kostenlos und überall frei verfügbar. Auch die Räume im Unperfekthaus sind, bis auf den Eintritt, für alle Nutzer kostenlos, inklusive der Technik. Wiesemann wollte - auch nach der eigenen Erfahrung im Bastelkeller - Räume schaffen für Freigeister und Kreative, auch für Techniker. „Es ging und geht mir um den Freiraum“, sagt Wiesemann, der seine eigene Kindheit als absolut freiheitlich bezeichnet. „Meine Eltern haben mich immer einfach alles machen lassen, die hatten volles Vertrauen.“

Bei der Suche nach der passenden Immobilie war damals das Denkmalamt behilflich, und im Oktober 2004 startete das „Unperfekthaus“. „Es war schnell klar, dass es einen großen Bedarf gab an solchen Räumen, man hat uns fast die Bude eingerannt.“

Neustart nach Corona: Mehr Technik, weniger klassische Kunst

Erst Corona brachte eine Zäsur, fast zwei Jahre war das Unperfekthaus geschlossen. Man nutzte die Zwangspause für einen Neustart mit kompletter Renovierung. Mehr Technik hielt Einzug, zum Beispiel große Monitore, und insgesamt wurde es etwas wohnlicher, „weniger Werkstatt-Charakter“, sagte Wiesemann bei der Eröffnung. Das Publikum hat sich ebenfalls verändert: Kamen vor Corona regelmäßig 1000 Kreative regelmäßig, sind es heute noch 300. „Die Ansprüche wachsen“, sagt Wiesemann, und das Haus verstehe sich heute stärker als früher als Anlaufpunkt für Gruppen, die gesellschaftliche Projekte nach vorne bringen wollen.

Mit einem großen Fest feiert das Unperfekthaus am Samstag, 12. Oktober, seinen Geburtstag: Viele Gruppen und Künstler präsentieren sich, es gibt Workshops, zum Beispiel mit 3-D-Druckern, Bildermalen mit KI, es gibt einen Fotoshooting-Stand, Ahnenforschungsgruppen und der „Science Fiction-Stammtisch“ präsentieren ihre Arbeit. Das alles von 11 bis 18 Uhr, Buffet kostet 15 Euro. Adresse: Friedrich-Ebert-Straße 18, 45127 Essen

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