Essen. Ein Syrer (41) soll am Samstag zwei schwere Brände in Essen gelegt haben. Herbert Reul reagiert schockiert auf das mögliche Motiv.

Kurz nach fünf am Samstag erreichen Polizei und Feuerwehr in Essen die ersten Notrufe. Wenige Stunden später sind 31 Menschen teils schwer verletzt, zwei Mehrfamilienhäuser nicht mehr bewohnbar, Geschäfte verwüstet, machen Gerüchte über einen Amoklauf im Essener Norden die Runde. Der Mann, der für all das verantwortlich sein soll, wird noch am Abend festgenommen. Es ist ein 41-jähriger Syrer.

Vier Wochen nach der Messerattacke eines 26 Jahre alten syrischen Flüchtlings in Solingen, bei der drei Menschen starben, ist die Aufregung nach dem „Abend des Schreckens“ in Essen weit über die Stadtgrenzen hinaus gewaltig. Doch am Sonntag wird immer klarer: Es war kein politisch motivierter Terroranschlag, es war offenbar die Tat eines psychisch gestörten Mannes, ein Familiendrama womöglich.

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Dramatische Szenen am ersten Brandort: Nachbarn versuchen Kinder über Leitern zu retten. © KDF | Privat

Im Treppenhaus lodern Flammen

Was ist passiert? Fast zeitgleich werden der Essener Feuerwehr am späten Samstagnachmittag zwei Großbrände gemeldet, beide in Mehrfamilienhäusern, eines in Altenessen, eines in Stoppenberg. Als die Feuerwehr am ersten Brandort in der Pielstickerstraße in Altenessen eintrifft, ist die Lage bereits „dramatisch“. Im Treppenhaus lodern die Flammen, der Fluchtweg ist den Bewohnern abgeschnitten. Private Videos, die in Sozialen Netzwerken kursieren, zeigen, wie Eltern ihre Kinder aus Fenstern an Ersthelfer reichen, die auf viel zu kurzen Leitern versuchen, die verrauchten oberen Stockwerke zu erreichen. An anderen Fenstern stehen Menschen und rufen um Hilfe. Feuerwehrleute retten die Bewohner des Hauses schließlich über Drehleitern, müssen dazu erst ein falsch geparktes Auto aus dem Weg räumen.

Der Brand im Eingangsbereich des Hauses ist relativ schnell gelöscht, genau wie der in einem Mehrfamilienhaus in der Zollvereinstraße in Stoppenberg, wo die Feuerwehr Minuten später ein ganz ähnliches Szenario erwartet. Doch 31 Menschen in Altenessen und Stoppenberg erleiden Rauchgasvergiftungen, darunter acht Kinder. Alle acht werden schwer verletzt, ein zwei Jahre und ein vier Jahre altes Kind müssen sogar um ihr Leben kämpfen, Hubschrauber bringen sie in Spezialkliniken. Wie es um sie steht, ist am Sonntag unklar.

Mann mit Machete stürmt in einen Gemüseladen

Schnell wird am Samstagabend vermutet, dass beide Brände absichtlich gelegt worden sein könnten. Die Feuerwehr ist in der Spitze mit 160 Kräften im Einsatz.

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Kurz darauf steuert ein Mann einen weißen Lieferwagen in einen Gemüseladen, immer wieder setzt er vor und zurück, zertrümmert Schaufensterscheiben. Kisten, Waren und Mobiliar – auch das ist auf Videos zu sehen. In ein zweites Geschäft wenige Meter weiter, das „Arabische Haus“ in der Katernberger Straße, stürmt er anschließend mit einer Machete in der Hand. Weitere Menschen werden glücklicherweise nicht verletzt.

Am Sonntag ergeht ein Haftbefehl gegen den 41-Jährigen

Großbrand in Essen
Horror unter blauem Himmel: Auch in diesem Mehrfamilienhaus (Pielstickerstraße) soll der mutmaßliche Täter Feuer gelegt haben..en Kräften bis spät in die Nacht im Einsatz. © Justin Brosch | Justin Brosch

Couragierte Anwohner, die sich mit Stöcken und Spaten bewaffnen und zusammentun, drängen den Mann schließlich in einem nahen Hinterhof in die Enge, wo ihn Streifenpolizisten und -polizistinnen festnehmen. Am Sonntag wird der 41-Jährige dem Haftrichter vorgeführt. Man wirft ihm schwere Brandstiftung, (gefährliche) Körperverletzung und versuchten Mord vor. Ihm drohe „eine zweistellige Haftstrafe“, sagt sein Anwalt Volker Schröder.

Das Motiv: Ein Streit mit der Frau um die Kinder

Das Motiv des Mannes? Es war wohl die Tatsache, dass sich seine Frau von ihm getrennt hatte. Das erklärt sein Rechtsanwalt gegenüber dieser Zeitung. Das bestätigten später auch die Polizei, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen und NRW-Innenminister Herbert Reul in ersten Stellungnahmen.

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Sein Mandant, so Schröder, sei nicht vorbestraft, aber wegen Bedrohung bereits angeklagt, der Prozess sollte im Oktober beginnen. Der Mann sei psychisch auffällig und offenbar von persönlichen Motiven getrieben. Seine Frau habe sich vor ihm schon vor drei Jahren getrennt, sie sei damals mit den drei Kindern (heute, 6,7, und 15 Jahre alt) ins Frauenhaus geflüchtet. Es gehe bei den Vorfällen in Essen wohl ebenfalls um einen Streit mit seiner Frau um die Kinder. Die 32-Jährige soll jetzt in einem der Häuser gelebt haben, in dem ein Feuer ausbrach; ihr Vater in dem anderen – das erfährt man am Sonntag vor Ort, offiziell bestätigt wird es nicht.

Reul lobt Zivilcourage der Anwohner

Am Tag danach ist Essen vor allem bestürzt. Seine Gedanken seien „bei den vielen Verletzten der gezielt gelegten Brände“, schreibt Bischof Franz-Josef Overbeck, und spricht von „erschreckender Brutalität“. Er bete „vor allem für die schwerverletzten Kinder, die gerade um ihr Leben kämpfen“. Dass der mutmaßliche Täter in Kauf genommen habe, dass sogar kleine Kinder zu Schaden kamen, habe ihn besonders betroffen gemacht, sagt Essen OB Kufen. Und auch Herbert Reul zeigt sich schockiert. „Anscheinend war es ihm egal, was er mit seiner Tat anrichtet“, so der Landesinnenminister über den Festgenommen, der „möglicherweise die Trennung seiner Ex-Frau nicht verkraftet hat“.

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Reul lobte zudem den mutigen Einsatz der Anwohner, die den 41 Jahre alten Tatverdächtigen solange in Schach hielten, bis die Polizei vor Ort war. „Dieses Verhalten hat möglicherweise Schlimmeres verhindert.“

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