Essen. Betroffene und Experten trafen sich auf Einladung von FUNKE und „yeswecan!cer“ zum Austausch. Denn nach der Diagnose kommen die Fragen.
Das Erste, was Tanja Bülter sagt, als sie das Podium betritt, ist: „Ich bin eine von acht!“ Die RTL-Moderatorin führt am Donnerstagabend durch die dreistündige „Hallo Doc“-Veranstaltung „Brustkrebs: Neue Therapieansätze und vererbter Brustkrebs“ – und sie ist selbst eine Betroffene. Mit über 70.000 Neuerkrankungen jährlich ist Brustkrebs mit Abstand die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Die Diagnose trifft eben: eine von acht Frauen.
Und diese Betroffenen haben viele Fragen. Auf der Veranstaltung, zu der die digitale Selbsthilfegruppe „yeswecan!cer“ und FUNKE in die Essener Medienzentrale eingeladen haben, sollen sie beantwortet werden.
Was ist eine BRCA-Mutation und wer sollte sich testen lassen?
„Eine Gen-Veränderung, die den natürlichen Reparaturmechanismus des Körpers stört“, erklärt Prof. Sherko Kümmel, Direktor des Brustzentrums der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte. Sie erhöhe vor allem das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs. Prominenteste Betroffene ist Angelina Jolie. Die Diagnose erfolgt über einen Bluttest.
Sarah Kobs hat die BRCA1-Mutation – und sich deswegen mit 24 für die prophylaktische Amputation ihrer Brüste entschieden (die WAZ berichtete). Bei Mutationsträgerinnen wie ihr, so Kümmel, senke die Mastektomie das Krebsrisiko um 98 Prozent.
Kümmel bedauert, dass die meisten Patientinnen erst auf eine Mutation getestet würden, wenn sie bereits an Krebs erkrankt seien. „Das Ziel muss sein, dass wir den Krebs gar nicht erst entstehen lassen.“ Er plädiert dafür, dass sich Frauen in Familien, in denen auffallend viele früh an Krebs erkranken, „lieber einmal mehr testen lassen“. Sarah Kobs sagt: „Wissen rettet Leben.“ Wer sich gegen die Amputation entscheide, profitiere von intensivierter Vorsorge.
Ist bei Brustkrebs immer eine Mastektomie nötig?
Nein. Die Entfernung der Brüste sei längst nicht mehr Standard, erläutert Prof. Juliane Hörner-Rieber, Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. „Wir können mittlerweile präzise bestrahlen und das Brustgewebe erhalten.“ Der Medizin stünden zudem heute ganz neue Arzneien und Therapien zur Verfügung als früher, ergänzt Kümmel. „Früher wurde in der Onkologie für Brustkrebs alle zehn Jahre ein neues Medikament eingeführt. In den letzten Monaten waren es fünf. Unser Wissen wächst rasant.“ Beide Ärzte betonen, wie wichtig es sei, jeden Fall sehr genau anzuschauen und in einer interdisziplinären Tumorkonferenz darüber zu beraten.
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Sind die Brüste nach jeder Brustkrebs-OP ohne Gefühl?
Keineswegs. „Bei brusterhaltenden Eingriffen ist das nicht so“, erklärt Hörner-Rieber. Bei Mastektomien sei es abhängig vom indivuellen Fall. Sarah Kobs erzählt, dass ihre (wieder aufgebauten) Brüste nahezu komplett taub seien. „Das Gefühl ist weg, als erogene Zone taugen sie nicht mehr.“ Für sie ist das der Preis, den sie zu bezahlen bereit war. „Jedes Gramm Drüsengewebe, dass wir bei BRCA-Mutationsträgerinnen drin lassen, bleibt ein Risiko“, sagt Kümmel. Heute könnten allerdings die allermeisten Betroffenen ihre Brustwarzen behalten.
Ist eine Chemotherapie bei Brustkrebs umumgänglich?
Nein. Bei hormonabhängigem Brustkrebs, weiß man inzwischen, geht es oft ohne. Sherko Kümmel ist beteiligt an mehreren „No Chemo“-Studien in diesem Bereich. Die Ergebnisse, berichtet er, hätten weltweit zum Umdenken geführt. Sogenannte Genexpressionstests und andere Biomarker würden helfen zu klären, welche Patientinnen zusätzlich zur Antihormon- auch eine Chemotherapie benötigten und welche nicht. „Für fast ein Drittel der Frauen mit hormonabhängigem Brustkrebs bringt eine Chemotherapie keinen Überlebensvorteil.“
„„Für fast ein Drittel der Frauen mit hormabhängigem Brustkrebs bringt eine Chemotherapie keinen Überlebensvorteil.“ “
Welche Nebenwirkungen hat die Strahlentherapie?
Deutlich weniger als früher, versichert Radio-Onkologin Juliane Hörner-Riebe. „Die Technik war doch vor 20 Jahren noch eine ganz andere...“ Während damals eine Strahlentherapie gern sechs Wochen andauerte und es zu schweren Verbrennungen gekommen sei, seien heute Bestrahlungen über drei Wochen der Standard. „Und die Reise geht in Richtung eine Woche.“ Bei den allermeisten Patienten käme es unter der Therapie zudem nur noch zu leichten Rötungen der Haut, „und nach der halbstündigen Bestrahlung können sie ganz normal ihrem Alltag nachgehen“.
„Die Technik war doch vor 20 Jahren noch eine ganz andere.““
Hanna Ermakov bestätigt das als Betroffene: Das jüngste ihrer vier Kinder war sieben, das älteste 14, als bei ihr ein Mammakarzinom festgestellt wurde. Sie sei in diesem Sommer sofort brusterhaltend operiert und anschließend bestrahlt worden, „15 Einheiten. Die habe ich gut vertragen. Und das war‘s dann auch. “
Warum brechen soviele Frauen eine Antihormontherapie ab?
Fast 50 Prozent der Patientinnen tun das, so Kümmel, innerhalb der ersten fünf Jahre – „weil sie die Nebenwirkungen als eklatant empfinden, sie nicht länger aushalten“. Die Naturheilkunde, sagt er, könne helfen; Aufklärung, warum es sich durchzuhalten lohnt, ebenfalls. Zuweilen vereinbare er mit seinen Patientinnen „Drug Holiday Breaks“, Therapie-Pausen. „Wir kontrollieren dann nur regelmäßig den Tumormarker, lassen die Medikamente aber erstmal weg.“
Können Sport und gesunde Ernährung etwas bewirken?
„Sport ist sehr wichtig“, betont Juliane Hörner-Rieber. „Unter der Chemo darf es aber auch mal nur ein Spaziergang sein.“ Die Leitlinie empfehle moderates Training, bestätigt Kümmel. Allerdings sei gerade eine Studie aus Schweden bekannt geworden, die die Auswirkungen von High-Intensity-Training (HIT) auf „Nach-Chemo-Patienten“ untersuchte. „Wir können es noch nicht erklären. Aber es zeigten sich immense positive Effekte.“
Ilka Meißner, selbst Brustkrebs-Betroffene, weiß, dass auch Paddeln eine sportliche Alternative sei: Schon 1966 fand ein kanadischer Sportmediziner heraus, dass diese Bewegung wie eine natürliche Lymphdrainage wirke. „Pink Paddler“ gibt es heute weltweit, Meißner paddelt in der Drachenbootabteilung des TVK Kupferdreh.
Was die Ernährung bei Brustkrebs angeht, deuteten jüngste Forschungen an, dass mehr Ballaststoffe Benefit bringen. „Eine ballaststoffreiche Ernährung verstärkt die Intensitität und Effektivtät etwa von Immuntherapien“, so Kümmel.
Wie können Betroffene einander helfen?
Da war erstmal nur „Gewitter in meinem Kopf“, erinnert sich Ilka Meißner an die Zeit nach ihrer Brustkrebs-Diagnose 2019. Chemo- und Strahlentherapie mit schlimmsten Nebenwirkungen folgten. Aber sie sei „ganz gut durchgekommen“. Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden, wie sehr es ihr geholfen hätte, wenn ihr jemand, der es selbst erlebt hat, zuvor gesagt hätte: „Das kommt bei der Chemo auf dich zu, das bei der Bestrahlung.“ Denn: „Wie sich Haarverlust anfühlt oder warum der Apfel plötzlich so fies schmeckt, das kann dir kein Arzt sagen.“
Heute engagiert sich Meißner in einem „Mentorenprogramm“ der Kliniken Essen-Mitte, sie steht Neu-Erkrankten zur Seite, wurde dafür eigens ausgebildet. Die WAZ berichtet demnächst ausführlicher.
Ein Stream der Veranstaltung steht noch immer zur Verfügung.
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