Essen. Vor 27 Jahren erschütterte das Verbrechen an der Millionärswitwe Essen-Burgaltendorf. Ihr Mörder wurde nie gefasst. Das könnte sich jetzt ändern.
Blutüberströmt liegt die 78-Jährige im Bademantel auf der Treppe gleich hinter der Eingangstür ihrer Villa in Burgaltendorf. Lieselotte Hohlmann ist tot, durch rohe Gewalt ums Leben gekommen - das ist ihrer Freundin und Friseurin klar, als sie die übel zugerichtete Millionärswitwe am 27. August 1997 gegen 18.15 Uhr mit einem Nachbarn in ihrem Haus an der Charlottenstraße entdeckt. Ein bis heute Unbekannter hat die Dame brutal erschlagen.
In der Handtasche des Opfers fehlt Geld, die vermögende Seniorin war bekannt dafür, darin immer 10.000 Mark mit sich herumzutragen. Ihr Tagebuch ist ebenfalls verschwunden. Die Polizei findet keine Einbruchsspuren, der Schlüssel zum Haus steckt von innen in der Eingangstür. Ein Holzsplitter der mutmaßlichen Tatwaffe wird gefunden und sichergestellt. Ist er durch die Wucht der tödlichen Hiebe von einem Stock mit einem metallenen Pferdekopf als Knauf abgeplatzt? Denkbar, aber nicht sicher. Die Gehhilfe ist seitdem verschwunden, der genaue Hergang des Verbrechens seit nunmehr fast drei Jahrzehnten ungelöst.
Als sie sich an die Arbeit und auf die Suche nach dem Mörder Lieselotte Hohlmanns machen, konnten die Ermittler der Essener Kripo nicht ahnen, wie lange sie im Dunkeln tappen sollten. So lange, dass sie schließlich aufgeben und die Akten im kühlen Keller des Präsidiums verschwinden. Der Fall wird zum „Cold Case“. Erst eine gefühlte Ewigkeit später stellt sie sich wieder ein, die Hoffnung auf eine heiße Spur, die alles andere als abwegig ist: Das ungeklärte Verbrechen wird aktuell mit neuen Untersuchungsmethoden neu aufgerollt und der Täter - sollte er noch unter den Lebenden weilen - dürfte ziemlich nervös werden, wenn er diese Zeilen liest oder die neue Krimi-Podcast-Folge „Pottcast ungelöst“ der Essener Polizei hört.
Cold Case aus Essen: Leichenfolien aus der Asservatenkammer werden untersucht
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Spezialisten der Rechtsmedizin in München untersuchen zur Zeit sogenannte Leichenfolien auf immer noch verwertbare Spuren: „Ich glaube schon, dass die Chance durchaus da ist, eine DNA zu finden“, sagt Dustin Wisnewski, Leiter der Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ bei der Essener Kripo. Einen unverwechselbaren genetischen Fingerabdruck des Täters also, der bis heute überdauert hat und aus einer Zeit stammt, in der die kriminologische Analyse menschlichen Erbguts noch in den Kinderschuhen steckte.
Die Leichenfolien, die die aktuellen Ermittler tatsächlich noch in den Hohlmann-Asservaten entdecken konnten, dienten damals vor allem der Sicherung von Faserspuren, deren Bedeutung mit den Jahren in dem Maße zurückging, wie die industrielle Massen-Produktion von Kleidungsstücken zunahm. Individuell ist da eben nur noch wenig. Entscheidender als eine textile Faser ist für die Ermittler heutzutage deshalb eher eine „tragfähige Leit-DNA“, sagt Wisnewski, eine einzigartige und somit unverwechselbare Spur, die einem Täter eindeutig zuzuordnen ist und eine Verbindung zu der Leiche erkennen lässt. Diesen Packend zu finden, „das ist die größte Aufgabe der MK Hohlmann“. Wie aussagekräftig und wie belastend die Gen-Analyse der Münchener Rechtsmedizin am Ende ausfällt, bleibt abzuwarten.
Sollte die erhoffte DNA-Spur auf den alten Leichenfolien gefunden werden, wovon Wisnewski ausgeht, wird sie mit der bundesweiten DNA-Analyse-Datei, kurz DAD, abgeglichen, die am 17. April 1998 beim Bundeskriminalamt eingerichtet worden ist. Dort finden sich Gendaten von Straftätern aus der gesamten Europäischen Union. Sollte sich bei dem automatisierten Abgleich keine Übereinstimmung ergeben, werden die Ermittler Speichelproben im früheren Bekannten- und Freundeskreis Liselotte Hohlmanns einholen, kündigt Wisnewski an.
Völlig zurückgezogen in der Villa an der Charlottenstraße in Essen gelebt
Allzu aufwendig dürfte dieser Ermittlungsansatz im engeren Kreis des Opfers nicht ausfallen, denn die Menschen, mit denen sich die misstrauische alte Dame umgab, waren nicht allzu zahlreich: Die mehrfache Millionärin, die ihr Haushaltswaren-Geschäft an der Viehofer Straße „mit harter Hand“, so Wisnewski, geführt haben soll, lebte seit dem Tod ihres Mannes ein Dutzend Jahre vor ihrem eigenen gewaltsamen Ableben völlig zurückgezogen in dem riesigen Haus an der Charlottenstraße in Burgaltendorf. Das Anwesen glich einer Festung. Ein zwei Meter hoher Zaun und dichte Büsche schirmten die Villa von den übrigen Häusern in dem beschaulichen Viertel ab.
Lieselotte Hohlmann, das wissen die Ermittler, ließ nur wenige an sich ran. Mit der Friseurin, die sie ermordet finden sollte, dem Lebensmittel-Lieferanten und dem Gärtner vereinbarte sie feste Uhrzeiten, zu denen sie das Tor aufschloss. Nachts sicherte sie die stets abgeschlossene Haustür mit einem schweren Rollladen, der Schlüssel steckte immer von innen, und Rottweiler-Hündin Cora bewachte das Grundstück. Umso rätselhafter ist, was am Tag der Tat passierte. Hatte die ältere Dame tatsächlich jemanden erwartet, dem sie ihre Tür bereitwillig öffnete? Oder schloss sie doch einem Fremden auf, den sie trotz ihres hohen Sicherheitsbedürfnisses, aus welchen Gründen auch immer, für vertrauenswürdig hielt? Was führte der Täter im Schilde? Kam er tatsächlich, um zu töten oder traf er eine Adhoc-Entscheidung, weil ihm die Gelegenheit günstig erschien?
Der Täter übte massive stumpfe Gewalt gegen den Kopf seines Opfers aus, es gab keinerlei Kampfgeschehen, so Wisnewski. Liselotte Hohlmann starb da, wo sie „sehr heftig“ attackiert wurde. Ihre Freundin und Friseurin rief am frühen Abend vom Salon aus in der Villa an, doch ging da schon niemand mehr ans Telefon. Sie machte sich folglich Sorgen und schließlich auf zur Charlottenstraße. Mit dem ihr anvertrauten Schlüssel konnte sie die Eingangstür nicht öffnen, weil ein zweiter von innen steckte. Sie alarmierte einen Nachbarn. Beide stiegen sie durch ein an der Hinterseite des Hauses gekipptes Fenster. Doch für Liselotte Hohlmann kam jede Hilfe zu spät.
Mitwisser und Nutznießer sollten sich bei den Ermittlern aus Essen melden
Wer mehr weiß über den Mord an der 78-Jährigen oder darüber, wer womöglich von der Beute profitiert haben könnte, sollte sich auch nach all den Jahren noch bei der Polizei Essen melden unter 0201 829-0 oder per Email unter hinweise.essen@polizei.nrw.de, appelliert Dustin Wisnewski: „Wir können jeden Hinweis gebrauchen.“
Das gilt auch für weitere Essener „Cold Cases“, mit denen die Essener Polizei in den nächsten Monaten in Hoffnung auf neue Ermittlungsansätze an die Öffentlichkeit gehen wird. Insgesamt gelten 32 Tötungsdelikte und 24 Vermisstenfälle der Behörde als ungelöst.
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