Essen-Kettwig. Das Jugendhaus St. Altfrid bietet außerhalb der Schule „Tage religiöser Orientierung“ an. Das hört sich uncool an, ist es aber gar nicht.
Erinnerungen an erlebnisreiche Tage verbinden nicht nur viele Essenerinnen und Essener mit dem Jugendhaus St. Altfrid, das hoch über Kettwig in grüner Idylle gelegen ist. Gäste aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland kommen in das vor nunmehr 64 Jahren gegründete Tagungszentrum des Bistums Essen. Zu ihnen gehören Kommunionkinder, Gruppen aus den Pfarrgemeinden, Teilnehmer aus den Jugendverbänden des Bistums, aber auch Schulklassen und bei freier Kapazität externe Gäste.
Das Areal bietet neben dem Tagungszentrum und der (gerade in Sanierung befindlichen) Kirche auf 13 Hektar vielfältige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung an, wie beispielsweise Seilgarten, Lagerfeuerstelle, Tischtennisplatten, Basketballfeld und Boulebahn. Ein Schwerpunkt in St. Altfrid ist daher die Natur- und Erlebnispädagogik.
Neue Erfahrungen sammeln – ohne Noten, ohne Druck
Ein anderer Schwerpunkt im Jugendhaus sind die Tage religiöser Orientierung (TrO). Dies ist ein Angebot für Schüler aller Schulformen ab Jahrgangsstufe 9 und dauert in der Regel drei bzw. fünf Tage. TrO stehen allen Schülern – unabhängig von deren Religions- oder Konfessionszugehörigkeit – offen.
Die Lessing Realschule aus Gelsenkirchen nutze dieses Angebot bereits seit 18 Jahren, berichtet Eva Wawro, Lehrerin für katholische Religion, im Rahmen eines solchen TrO-Besuchs. „Denn es ist uns wichtig, dass unsere Schülerschaft sich einmal andere Erfahrungsräume erschließen und jenseits des Unterrichts neue Erfahrungen sammeln kann. Ohne Noten, ohne Druck.“
Die Jugendlichen sind oft überrascht über die Eindrücke
Die Lessing Realschule sei ein bunter Haufen aus unterschiedlichen Nationalitäten und Glaubensrichtungen. „Wir haben 90 Prozent Migrationshintergrund“, sagt die muslimische Religionslehrerin Saniye Özmen. Ihre 15 Jugendlichen aus der 10. Jahrgangsstufe nähmen im Zuge des multireligiösen Begegnungslernens an den TrO-Tagen teil. „Auch, um sich mit anderen Religionen auseinanderzusetzen.“
Wie sehen das die Jugendlichen selbst? „Mit dem was hier abgeht, hatten wir echt nicht gerechnet“, sagt Jasim. „Ich dachte, wir gehen in eine Moschee oder Kirche und es wird voll langweilig. Aber es ist total schön hier“, berichtet der 16-Jährige. „Ich dachte auch, dass wir in ein Kloster gehen“, ergänzt Mitschüler Kasper, 15 Jahre. „Besonders die Aktivitäten mit den Teamern sind super und abwechslungsreich.“
Die Teilnehmenden sollen eigene Erfahrungen sammeln
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„Tage religiöser Orientierung – der Titel ist natürlich erst einmal völlig uncool und reißt niemanden vom Hocker“, gibt Kerstin Schumacher, Referentin für TrO in St. Altfrid, zu. Aber dies sei ein Angebot, das es in vielen deutschen Bistümern schon seit Jahrzehnten gebe und sich bewährt habe. „Wo haben Jugendliche sonst die Gelegenheit, sich einmal außerhalb schulischer Lehrpläne prozessorientiert mit ihren Fragen, Wünschen und Anliegen zu beschäftigen?“
Gleichzeitig sei es eine „gute Chance für Kirche, junge Menschen zu erreichen, die wir sonst nicht erreichen würden. Weil hier alle zusammenkommen, egal ob katholisch, evangelisch, muslimisch oder sonst was“, freut sich die studierte Diplom-Sozialarbeiterin.
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„Wir machen aber hier keinen Religionsunterricht“, betont Schumacher. „Der Glaube wird hier auf vielfältige Art begreif- und erfahrbar.“ Über erlebnis- und erfahrungsorientierte Angebote könnten die Teilnehmenden eigene Erfahrungen sammeln wie Vertrauen spüren, angenommen und gehalten werden. Urchristliche Erfahrungen. „Diesen Deutungshorizont kann ich nur anbieten. Wir wollen ja nicht mit der Jesus-Keule kommen nach dem Motto: ‘Na, hast du gespürt, dass Jesus dich gerade gehalten hat?’“
„Wir machen keinen Religionsunterricht. Der Glaube wird hier auf vielfältige Art begreif- und erfahrbar.“
Eine Auszeit, die Raum für Ängste und Sehnsüchte bietet
Der junge Mensch stehe mit seinen Sorgen, seinen Themen im Mittelpunkt. Es gehe um eine Auszeit, die Raum für Fragen, Sorgen, Themen und Ängste und Sehnsüchte der Jugendlichen biete und das in einem bewertungsfreien Kontext. „Es ist ein zielloses Format“, bringt es die 48-Jährige auf den Punkt. Es werde auf die Dynamik in der Gruppe reagiert. Deshalb würde jede Gruppe am ersten Tag auch mit den betreuenden Teamern das Thema für die Tage erarbeiten.
Fördern und fordern
Etwa 40 Gruppen mit ungefähr 2000 Teilnehmenden kommen pro Jahr ins katholische Jugendhaus St. Altfrid, der Jugendbildungseinrichtung des Bistums Essen, um an den Tagen religiöser Orientierung teilzunehmen.
In dieser Zeit wird gemeinsam mit den Teamern geschaut, was das eigene Leben ausmacht. Das Thema legt die Gruppe selbst fest. TrO fördern und fordern eine Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und dem persönlichen Umfeld.
Weitere Infos gibt es auf der Homepage www.altfrid.de.
„Wir hatten mehrere Themen wie Liebe, Freundschaft oder Tod zur Auswahl“, erzählt Aladin. Letztendlich hätten sich die 15 Jugendlichen aber für das Thema „Familie“ entschieden. Dabei hätten sie die Wichtigkeit und Bedeutung von Familie und Beziehungen näher beleuchtet, sich darüber ausgetauscht und diskutiert, so Kasper. „Dadurch haben wir unterschiedliche Blickwinkel und Ansichten erfahren“, freut sich Jasim. Aber auch der Glaube kam nicht zu kurz: „Ich bete auch hier fünf Mal am Tag“, betont Jasim und freut sich darüber, dass „hier jeder seinen Glauben leben kann. Das wird respektiert“.
Damit die Jugendlichen einmal ganz sie selbst sein dürfen, „sind die Lehrkräfte bei den Einheiten morgens und nachmittags nicht dabei“, erklärt die Referentin. „Die Jugendlichen sollen von sich erzählen können, ohne die Angst haben zu müssen, dass es ihnen in der Schule vor die Füße fällt.“ Dennoch sei es aber gut, dass alle dabei seien: „Da die Gruppe die Lehrkraft einmal anders erleben kann und umgekehrt.“
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