Essen. Hashem Qasem musste zweimal in seinem Leben flüchten. Nun hat er ein Café in Essen gegründet. Das gab ihm Arbeit und ein wichtiges Gefühl zurück.

Sein Blick gleitet über die olivgrün-weiß gestrichenen Wände des Cafés, die mit schwarzer arabischer Kalligrafie und Bildern verziert sind. Hashem Qasem lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück, er nimmt einen Schluck Espresso, seine Lachfalten vertiefen sich: „Das ist die Geschichte des Cafés, die mit einem Mann begann, der nicht ewig auf Deutschkurse warten konnte. Dieser Mann bin ich.“

Hashem Qasem ist zweimal in seinem Leben vor dem Krieg geflohen. Er ist 62 Jahre alt und betreibt das Studentencafé ”Caffstation” an der Niederstraße in der Nähe der Universität Duisburg-Essen.
2019 muss er Damaskus in Syrien verlassen. Er wurde verhaftet und nach zwei Monaten unter der Bedingung freigelassen, das Land zu verlassen. Er entscheidet sich für die Ukraine. Dort hat er ukrainische Freunde, die er aus seiner Studienzeit in Moskau in den 1980er Jahren kennt. In Russland hatte er Jura und internationales Recht studiert. Seine Freunde organisieren eine Aufenthaltsgenehmigung für ihn.

„Ich kann nicht ohne Arbeit herumsitzen“

Im Jahr 2022 muss er erneut fliehen, diesmal vor dem Krieg in der Ukraine. Seine Flucht endet in Gladbeck, wo er einen Neffen hat, der seit 2015 in Deutschland lebt. Als Asylbewerber wird er einem Flüchtlingsheim in Bonn zugewiesen. Das Leben im Heim ist für den 62-Jährigen, der durch die Folgen einer Kinderlähmung gehandicapt ist, eine Tortur. Daher pendelt er täglich mehr als drei Stunden zwischen Bonn und Gladbeck. Eine bohrende Frage begleitete seine Fahrten: Wo kann ich mich einbringen?

Hashem Qasem arbeitete mehr als 30 Jahre für das Hilfswerk der Vereinten Nationen in Damaskus. In Deutschland konnte er es nicht ertragen, ohne Arbeit herumzusitzen.
Hashem Qasem arbeitete mehr als 30 Jahre für das Hilfswerk der Vereinten Nationen in Damaskus. In Deutschland konnte er es nicht ertragen, ohne Arbeit herumzusitzen.

Denn das ist Hashem Qasem klar: „Ich kann nicht einfach nur herumsitzen. Ich war 35 Jahre berufstätig”, sagt er. Nach seinem Jurastudium arbeitete Qasem für das Hilfswerk der Vereinten Nationen in Damaskus und kümmerte sich um palästinensische Geflüchtete. Nach vielen Jahren wurde er zum Abteilungsleiter befördert, bat aber nach wenigen Monaten darum, wieder als normaler Angestellter zu arbeiten: „Ich konnte es nicht ertragen, nur mit Papier zu arbeiten.“ Er wollte mit und für Menschen arbeiten. Dort, im Hilfswerk der Vereinten Nationen, blieb er bis zu seiner Flucht im Jahr 2019.

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Hashem Qasem wartet seit Dezember 2022 auf einen Deutsch-Sprachkurs. Er spricht Englisch, Arabisch und Russisch. Bei der Caritas hat er als Ehrenamtler zwischen Russisch und Englisch für ukrainische Geflüchtete gedolmetscht. Es gab nicht viele Übersetzer, die Russisch beherrschten. Doch diese Tätigkeit fand nur einmal pro Woche statt.


Hashem Qasem versteht bis heute nicht, warum Arbeitssuchenden Steine in den Weg gelegt werden.
Hashem Qasem versteht bis heute nicht, warum Arbeitssuchenden Steine in den Weg gelegt werden.

Mit dem Warten wuchs die Verwirrung und schwand die Hoffnung auf eine sinnvolle Beschäftigung. Bis heute versteht er nicht, warum Arbeitssuchenden Steine in den Weg gelegt werden. „Warum wird man entmutigt?“, fragt er und fügt hinzu: „Man wird gefördert, faul zu sein.“ Seine Lippen formen ein höfliches Lächeln, doch seine Augen blicken verloren in die Kaffeetasse. „Mit dem Krieg konnte ich besser umgehen als mit dieser Leere und dem Gefühl, nutzlos zu sein“, beschreibt er rückblickend seine Gefühle. 

Nicht ewig auf die Deutschkurse warten

Er kam wieder mit leeren Händen aus der Sprachschule. Hashem Qasem wollte nicht mehr lange warten. Er saß mit seinem Neffen zusammen und sagte ihm, er wolle unbedingt eine Beschäftigung finden. Sein Neffe und dessen Freunde hatten eine Idee. Sie hatten festgestellt, dass in Essen in Uni-Nähe ein Studentencafé fehlt. „Ich fand die Idee toll, weil ich dadurch mit jungen Leuten in Kontakt kommen konnte”, betont Qasem.

In Essen fehlt ein Café für Studierende in der Nähe der Universität. Das wollte Hashem Qasem ändern. Anfang 2024 eröffnete er in Essen das Café „Caffstation“ für Studierende. 
Foto: Mazen Altinawi
In Essen fehlt ein Café für Studierende in der Nähe der Universität. Das wollte Hashem Qasem ändern. Anfang 2024 eröffnete er in Essen das Café „Caffstation“ für Studierende.  Foto: Mazen Altinawi

Die Suche nach einem Ladenlokal begann. Am schwierigsten war der Papierkram. „Darum haben sich meine Söhne gekümmert”, sagt Qasem. Seine Stirn wird breiter, während er lacht. „Sie sind wirklich wie meine Söhne. Alle drei.“ Er meint damit drei Freunde seines Neffen, ohne deren Engagement das Café nie Wirklichkeit geworden wäre. Die Studenten seien in wenigen Wochen zu Baumeistern, Arbeitern, Malern und Dekorateuren geworden, sagt er und wendet sich seinem Neffen Khalid zu, als wolle er ihn zum Reden ermuntern.

Das Café „Caffstation” in der Niederstraße in Essen wurde Anfang 2024 eröffnet. An einem der ersten Abende hatten sie den Stand-up-Comedian „Twist-It“ zu einer „Open Mic Night“ ins Café eingeladen, es kamen viel mehr Gäste als erwartet. Der Laden platzte aus allen Nähten. „Jeder Gast brachte ein Stück Freude und Glück mit ins Café. Das hat uns für die schlaflosen Nächte des letzten Jahres entschädigt.”

Das Café veranstaltet orientalische Musik- und Tanzabende, die schnell ausgebucht sind. Hashem Qasem wird von den jungen Gästen liebevoll „Onkel“ genannt. 
Foto: Mazen Altinawi
Das Café veranstaltet orientalische Musik- und Tanzabende, die schnell ausgebucht sind. Hashem Qasem wird von den jungen Gästen liebevoll „Onkel“ genannt.  Foto: Mazen Altinawi

Seit dieser erfolgreichen Veranstaltung organisiert das Team alle zwei Wochen Events mit orientalischer Musik, Gesang und Tanz, die schnell ausgebucht sind. Das Café hat sich zu einem kulturellen Anlaufpunkt entwickelt. Besonders Syrer und Araber, nicht nur aus Essen, sondern auch aus ganz Nordrhein-Westfalen, kommen zu den Abenden. Mit mittlerweile 866 Followern auf Instagram ist das Café auch online präsent, und Hashem Qasem ist bei den jungen Gästen liebevoll als „der Onkel“ bekannt. 

„“Das Exil kann Sicherheit und Schutz bieten, aber oft raubt es den Menschen das Selbstwertgefühl”. “

Hashem Qasem

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„Onkel” Hashem geht auf jeden Mensch zu, der das Café betritt und begrüßt ihn. „Natürlich stehe ich auf und begrüße meine Gäste. Sie sind in meinem Zuhause” sagt der 62-Jährige und wundert sich offenbar, dass er diese Selbstverständlichkeit erklären muss. Er holt sich Wasser aus einem Tonkrug, den auch alle Gäste nutzen können. Er füllt sich ein Glas und betont: “Das Exil kann Sicherheit und Schutz bieten, aber oft raubt es den Menschen das Selbstwertgefühl”. So hat Qasem es selbst erlebt. „Aber dieses Café hat mir ein wichtiges Gefühl zurückgegeben: wertvoll und nützlich zu sein.”

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