Emmerich/Rees. Tödlicher Verkehrsunfall auf der L7 bei Haldern. Nun stellte sich der Fahrer in Emmerich der fahrlässigen Tötung. Emotionen im Gerichtssaal.

Er wolle nur kurz mit Freunden zu McDonalds, verlässt das Haus in T-Shirt und kurzer Hose. Der Himmel ist zwar bedeckt, es soll aber trocken bleiben. Allzu lange plant der 20-Jährige nicht wegzubleiben. Immerhin steht am nächsten Tag die Eröffnung seines eigenen Ladenlokals an. Er nimmt auf dem Beifahrersitz im Auto seines Freundes, einem 1er-BMW, Platz. Hinten sitzt der kleine Bruder des Fahrers.

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Es ist fast Mitternacht, als sie über die L7 in Richtung Rees fahren. Die Strecke ist unbeleuchtet, statt Straßenlaternen säumen den Asphalt vereinzelte Bäume. Höchstgeschwindigkeit auf der kurvenreichen Bahn ist 100 km/h. Der Fahrer gibt jedoch Gas und beschleunigt auf mindestens 160. Kurz zuvor machte ihn seine Versicherung darauf aufmerksam, dass sein linker Stoßdämpfer kaputt sei. Der 26-Jährige ignorierte die Meldung. Ein fataler Fehler.

Körperliche und seelische Wunden

In einer langgestreckten Linkskurve auf Höhe Halderns verliert er die Kontrolle über das rasende Fahrzeug, das daraufhin ins Schleudern gerät. Wenige Sekunden später kommt der BMW von der Fahrbahn ab und kollidiert mit einer Geschwindigkeit von 145 km/h mit einem Baum. Wie die NRZ berichtete, sterben zwei Insassen noch am Unfallort. Nur der 26-jährige Fahrer überlebt. Nun betrat er anderthalb Jahre nach dem Unfall das Emmericher Amtsgericht. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung.

Zuerst schiebt sich ein Rollator durch die Tür, ohne den der Reeser nicht laufen kann. Sein linker Arm ist krampfhaft vor die Brust gebeugt, generell sei diese Seite seines Körpers eingeschränkt. Verkürzte Nervenenden an den Beinen, eine Hirnblutung. „Als ich meinen Mandaten Anfang des Jahres kennenlernte, konnte er kein Gespräch führen“, erklärt dessen Verteidigerin. Seit dem Unfall habe er Pflegegrad Vier. Auch mental „verfolgen ihn Dämonen“.

Familie des verstorbenen Beifahrers fassungslos

„Ich kann nicht mehr einschlafen, ich habe für immer meine innere Ruhe verloren“, sagt er im Prozess. Schließlich sei durch sein fahrlässiges Verhalten nicht nur sein 20-jähriger Freund, sondern auch sein eigener Bruder im Alter von 17 Jahren verstorben. Seinen trauernden Eltern, die ihn in Rees pflegen, müsse er mit diesem Wissen täglich in die Augen schauen. Seine Verteidigung erklärte ihn damit als ausreichend gestraft und forderte eine Einstellung des Verfahrens. Und noch mehr: Die lebenslang entzogene Fahrerlaubnis solle nach fünf Jahren wieder freigegeben werden. Laute Lacher im Publikum.

„Zwei Menschenleben wurden genommen. Dabei wäre es denkbar einfach zu verhindern gewesen“

Vertretung der Staatsanwaltschaft

Cousins und Brüder des verstorbenen Beifahrers sitzen am Ende des Saals und scheinen fassungslos. Der Vater des Toten hingegen bleibt ruhig, starrt leeren Blickes gegen die Wand. Er lässt seinen Anwalt als Nebenkläger für sich sprechen: „Die Mutter befand sich psychisch monatelang im Ausnahmezustand, war arbeitsunfähig. Es wurde eine ganze Familie mit diesem groben Verhalten zerstört.“ Sühne fordernd, plädierten sie auf zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug für den Raser.

Erinnerung an Unfall verloren

„Zwei Menschenleben wurden genommen. Dabei wäre es denkbar einfach zu verhindern gewesen“, fasst die Vertretung der Staatsanwaltschaft zusammen. Der 26-Jährige hätte sich schlicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten müssen. Mit einem reparierten Stoßdämpfer wäre es in der Ausnahmesituation außerdem leichter gewesen, die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten. Wieso verhielt sich der Mann aus Rees so fahrlässig?

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Rekonstruktionen mit Computerprogrammen sowie eine Kameraaufzeichnung eines nahegelegenen Firmengeländes offenbarten den Unfallhergang. Der Reeser habe seine Erinnerung an das Geschehene verloren, konnte demnach keine Aussagen machen. Oder die wichtigste Frage des trauernden Vaters beantworten: „Was wollte mein Sohn an diesem Abend?“ Letztlich blieb dem Angeklagten nur, sich nach subtiler Aufforderung seiner Verteidigung bei der Familie zu entschuldigen: „Es tut mir aufrichtig leid, aber ich leide auch. Ich habe meinen Bruder verloren.“ Keine Reaktion.

Urteil wie im Strafbefehl

„Oft Schmerzen“ in Form eines Stechens oder Ziehens im Bein begleiten den 26-Jährigen täglich. Er sei komplett gebrochen. Mit einer fahrlässigen Handlung habe er das Leben von zwei Menschen genommen und unzähliger zerstört. So deprimiert er sich auch zeigte, blieb den Nebenklägern nur ein Fazit: „Dein Leben geht auf jeden Fall weiter.“

Das Urteil des Gerichts lag im Rahmen des vorigen Strafbefehls. Ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur vierjährigen Bewährung. Wenn es dem Reeser bis dahin körperlich und psychisch möglich ist, kann er in fünf Jahren eine erneute Fahrerlaubnis beantragen. So wären für lebenslangen Führerscheinentzug schwere Charaktermängel nachzuweisen. Nach dem Prozess versammelt sich die Familie des verstorbenen 20-Jährigen vor dem Saal und spricht kein Wort.