Rees-Haldern. Die NRZ präsentiert das Haldern Pop Festival. Bandporträts mit Heisskalt, Mick Flannery und dieser spektakulären Band aus Brooklyn.

Der dritte Teil der NRZ-Bandporträts zum 41. Haldern Pop Festival steht an. Erneut haben wir uns als Medienpartner viel Musik angehört. Hier können Festivalbesucher etwas mehr darüber erfahren, welche Bands für sie die richtigen sind. Das hilft beim ganz eigenen Festivalplan, wenn es vom 8. bis zum 10. August wieder Tausende ins Lindendorf zieht.

So meinen wir das mit dem Erlebnispotenzial

Wie jedes Jahr eine Erklärung: Für jede Band haben wir ein Erlebnispotenzial bewertet. Über Geschmack lässt sich streiten, deshalb versuchen wir nicht eine absolute Wertung abzugeben. Das soll jeder Zuhörer für sich selbst tun. Wir versuchen hier einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Konzert für Sie zum Erlebnis werden kann.

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Ist die Musik leicht zugänglich? Gibt’s Ohrwürmer? Ist es eher eine Nischenband? Könnte der Spielort eine Rolle spielen? Wir haben es uns nicht leicht gemacht und trotzdem werden wir sicher nicht immer recht haben. Es ist eine bescheidene Entscheidungshilfe. Zunächst mal diese besondere Gruppe:

Moon Hooch machen den Jazz tanzbar

Ob man es nun Jazz Fusion oder Nu Jazz nennt – wenn das Jazz ist, dann ist es vielleicht der tanzbarste Jazz überhaupt. Moon Hooch aus Brooklyn sind ein spektakuläres Trio, das auf Saxophon, Bass-Saxophon und Schlagzeug setzt. Den Rhythmen und Harmonien kann man sich gar nicht entziehen, einfach mitreißend. Und unfassbar vielseitig komponiert, inklusive eines äußerst geschickten Einsatz von Kakophonien. Zwischendurch mogeln sich auch ein paar Interpretationen von bekannten Melodien wie „Barbie Girl“ mit ein. Ach, das macht doch auch nur Stimmung. Musik für: den Bloß-nicht-verpassen-Moment. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Hörproben: „Number 9“, „Acid Mountain“, „Number 1“.

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Die in Belgien angesiedelte Formation Avalanche Kaito schafft eine ungewöhnliche Kombination. Die Brüsseler Noise-Punk-Musiker Benjamin Chaval und Arnaud Paquotte von der Gruppe Le Jour du Seigneur schaffen Sänger Kaito Winse einen Rahmen, um seine Griots aus Burkina Faso, also ein mündlich übertragene Historie des Landes, in Musik zu gießen. Ein experimenteller Sound, mit elektrischen Einflüssen, prägnanten Percussions und eben diesem afrikanischen Sprechgesang. Immer wenn man glaubt, jetzt hat man das deschiffriert, gibt es eine Wendung. Musik für: den bewusstseinserweiternden Tripp. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „Tanvusse“, „Lago“ (Live), „Sanguru“.

Die explosive Rückkehr von Heisskalt

Heisskalt haben seit 2018 eine Pause eingelegt. In Haldern kehren sie zurück.
Heisskalt haben seit 2018 eine Pause eingelegt. In Haldern kehren sie zurück. © Haldern Pop | (...)

Heisskalt sind zurück! 2018 hat die Band aus Baden-Württemberg eine Auszeit verkündet. 2020 versaute die Pandemie die Rückkehr. Die Formation um den energetischen Sänger Matthias Bloech kehrt nun zum Haldern Pop zurück. Auf neue Musik gibt es noch keine Hinweise. Denn zu einer anstehenden Tour wird verkündet, dass „Lieder von allen Alben“ gespielt werden, die es überwiegend auch in die deutschen Albumcharts schafften. Ihr Alternative-Rock ist jedenfalls derbe, kommt live mit viel Elan rüber. Da wird die Botschaft auch mal geschrien, aber es gibt auch melodischere Stücke. Musik für: Momente für brutale Ekstase. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Bürgerliche Herkunft“, „Absorber“, „Fest“.

Das Kollektiv Honesty beleuchtet die unerforschten Ecken der elektronischen Musik Großbritanniens. Ein Melting-Pot der Facetten. Auf dem aktuellen Album „Box“ sind immer wieder Gastmusiker wie Florence Shaw (Dry Cleaning) zu hören. Oftmals wird Sprechgesang verwendet. Der Sound kommt oft sphärisch und zurückgenommen daher. Es wird mit unaufdringlichen Effekten und Remixes gespielt. Keine Musik, die einen sofort zum Beat mitwippen lässt, eher... Musik für: einen verträumten Ausdruckstanz. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „Gentile“, „Before“, „Cease“.

Dem Beat von Uto folgen

Die Komponistin und Violinisten Laura Masotto trägt die Klassik in die Moderne. Ihre Streichmusik umgarnt elektronische Musik, schafft immer wieder neue Facetten in den Stimmungen. Die Italienerin wühlt auf, sie entspannt, sie hebt ab, sie erdet. Man kann sich diese Musik fast auf jeder Bühne vorstellen, weil sie sowohl intim und in Stille als auch mit Bombast und großen Effekten funktionieren könnte. Da sie gerne mit anderen Musikern kollaboriert, wäre das fürs Haldern Pop auch gut denkbar. Ihr Musikstil ist allerdings einer, der Pop-Ohren nicht primär bedient. Musik für: Augen zu und eintauchen. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „Human“, „Skin“, „Atoms“.

Lust zu tanzen? Dann ist Uto ein heißer Kandidat im persönlichen Festivalplan.
Lust zu tanzen? Dann ist Uto ein heißer Kandidat im persönlichen Festivalplan. © Haldern Pop | (...)

Elektro-Pop, das bieten Uto. Französisch- oder englischsprachig. Auf jeden Fall tanzbar, mal verspielter Dream-Pop, mal groovy, wenn es Richtung Trip-Hop geht, mal nah an Techno oder Elektro-Punk. Das Pariser Duo Neysa Mae Barnett und Emile Larroche erkundet in dem 2024er-Album „When all You Want to Do Is to Be the Fire Part of Fire“ auch die düsteren Seiten ihrer Kunst. In seiner puren Form kommt der Gesang von Barnett lieblich daher. Mit entsprechenden Effekten funktioniert es auch als abgründiger Hexen-Sound. Musik für: die Beat-Läuterung. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „À la nage“, „Napkin“, „Souvent parfois“.

Wie Familie: Haldern kennt Anna Ternheim

Anna Ternheim hat schon mehrere Auftritte in Haldern in ihrer Vita stehen.
Anna Ternheim hat schon mehrere Auftritte in Haldern in ihrer Vita stehen. © HA | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Anna Ternheim kehrt zurück. Haldern Pop hat die 20-jährige Karriere der Schwedin stets begleitet. Hat was von einem Familienbesuch. Neun Alben hat sie veröffentlicht und sich eine solide Anhängerschaft erspielt. Meist singt sie Englisch, aber auch auf Schwedisch klingt ihre warmherzige Stimme toll. Wer sanfte Pop-Melodien mit Folk-, auch mit Jazz- oder Blues-Einflüssen mag, ist bei ihr richtig. Reichlich Melancholie prägt ihre Musik, die zum Träumen einlädt. Musik für: das inspirierte Träumen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „You Belong with Me“, „De sista ljuva åren“, „All Because of You“.

Das Künstlerkollektiv Mestizo schlägt die Brücke zwischen kolumbianischen Folk und britischem Jazz und Hip Hop. Rap und Salsa – eine Gewürzmischung, als ob es sie schon immer gegeben hätte, so natürlich wirkt diese Fusion. Dieser Stil bringt eine ganze andere Farbe zum Haldern Pop. Viele Instrumente, viele Stimmen sind zu hören, dieses Orchester sitzt nicht still auf seinem Platz. Das ist Ganzkörpermusik.. Für jene, die etwas Salsa im Blut haben, bestimmt großartig. Wer für diese Art der Musik keinen Draht hat, holt sich lieber ein frisches Handbrot. Musik wie: Esperanto 2.0, in einer gesungenen Version. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Goldmine“ (live), „Arroyo“, „Caminito“.

Wahnsinnig gute Stimme: Mick Flannery

Der erfahrene Singer-Songwriter Mick Flannery (acht Alben) ist in Irland eine große Nummer. Diese Stimme ist wirklich der Wahnsinn. Tiefgreifende Emotionen kann er mit seiner Musik erregen, wenn er so richtig schmachtend singt. Die flotteren Stücke sind von Blues, Rock und Folk beeinflusst. Im Vorjahr hatte man sich schon auf das Duett mit Susan O‘Neill mit dem wunderschönen Song „Baby Talk“ gefreut, aber Flannery fiel aus. In diesem Jahr sind wieder beide da. Musik zum: Staunen über diesen Profi. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Goodtime Charlie“, „I‘ll Be out Here“, „I Own You“.

Sam Akpro aus London spielt live in Haldern.
Sam Akpro aus London spielt live in Haldern. © Haldern Pop | Fraeyman Franky

Post-Rock mit Hip Hop-Einflüssen dürfen die Zuhörer bei dem Engländer Sam Akpro erwarten. Selbst, wenn es in Richtung Elektro-Punk geht, er behält sich einen geschmeidigen Flow vor. Aber das alles wird nicht auf Hochglanz produziert, sondern behält die raue Oberfläche der Straße. Der Straßen Londons. Er behandelt die Schnelllebigkeit Londons oder kritisiert die fehlende Selbstreflexion der Spaßgesellschaft. Alles mit einer satten Intensität dargeboten. Musik für: das Großstadtstraßengefühl im Dorf. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „Drift“, „Death by Entertainment“, „Disposition“.

Irischen Folk neu zusammen gesetzt

Traditionellen irischen Folk kann John Francis Flynn auch. In der Band Skippers‘ Alley. Aber wenn der Multiinstrumentalist Solo unterwegs ist, dann setzt er die irische Tradition musikalisch neu zusammen, lässt Post-Punk, Electronica und andere zeitgenössische Musik einfließen. So bekommt der Schrei nach Freiheit einen modernen Anstrich, ohne die Vergangenheit zu verraten. Der Singsang der keltischen Musiktradition bleibt. Musik für: jene, die Tradition weiterdenken mögen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Within a Mile of Dublin“, „Mole in the Ground“, „My Son Tim“.

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Die US-Folk-Sängerin Molly Parden besticht mit einer Stimme, leicht wie der Milchschaum auf dem Cappuccino. Ihre Musik kommt ebenfalls unbeschwert daher, der Einfluss Nashvilles, wo die aus Atlanta stammende Musikerin seit langem heimisch ist, liegt unschuldig auf dem Schaum. Kaffee ist dennoch bitter, und so ist das mit dieser fragilen Melancholie, die Parden zu entfachen weiß. Den Zucker schmecken nur jene in ihrer Seele, deren Melancholie-Sinn mit Freude verbunden ist. Musik für jene: die Kaffee auch um Mitternacht genießen können. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Cigarette“, „Feel Alive Again“ (live), „Weather“.

Elephant aus den Niederlanden spielen erstmals beim Haldern Pop.
Elephant aus den Niederlanden spielen erstmals beim Haldern Pop. © Haldern Pop | Peter van Esch

Der Kniff mit den Gitarrensoli

Die Indie-Band Elephant aus Rotterdam kommt mit einem ganz zurückgelehnten Sound daher. Die Leichtigkeit, der unbeschwerte Optimismus, der wohnt nicht nur dem sanften Gesang inne, den legen sie auch auf ihr Instrumental-Spiel. Sie streicheln ihre Gitarren und das Schlagzeug wird auch alles andere als malträtiert. Weniger ist mehr. Aber was ist das mit ihren Gitarrensoli? Die sind genial. Sie schleichen sich unaufdringlich an, man merkt es kaum, plötzlich spürt man den Groove. Musik für: selige Grinsekatzen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Calling“, „Bullets“, „The Magnet“.