Emmerich. Ausgebucht: Ein Erfolg war der Premieren-Rundgang „Schritte gegen das Vergessen“ in Emmerich, bei dem die jüdische Historie im Fokus stand.

Es war eine Premiere. „Wir müssen heute den Zeitplan üben für die nächsten Führungen“, sagte Pro Kultur-Vorsitzende Irene Möllenbeck zu Beginn des Rundgangs durch die Innenstadt mit zehn Stationen, an denen sich einst jüdisches Leben abgespielt hat. Letztendlich waren es eindreiviertel Stunden, in denen die Teilnehmer von Möllenbeck, Silke Eicher und Norbert Kohnen Neues und Bekanntes über die jüdischen Mitbürger erfuhren.

Mit „Schritte gegen das Vergessen“ beteiligte sich die Bürgeraktion am Tag der jüdischen Kultur, der seit 22 Jahren am ersten September-Sonntag begangen wird. Außerdem ist der Rundgang Teil des Jubiläums 1700 Jahre Judentum in Deutschland. Der Stadtspaziergang entlang der Stolpersteine, an dem mit Anmeldung nur Genesene, Geimpfte oder Getestete teilnehmen konnten, war restlos ausgebucht, der Bedarf nach weiteren Rundgängen ist also gegeben. Die Premiere verlief erfolgreich, wie erste Reaktionen zum Ausklang im PAN bestätigten.

Der Metzger Matthey wurde drangsaliert

An der Steinstraße 10 machte die Führung in Emmerich auch Station.
An der Steinstraße 10 machte die Führung in Emmerich auch Station. © NRZ | giko

Irene Möllenbeck erinnerte an den 2016 verstorbenen Heimatforscher Herbert Schüürman: „Er hat als Erster den Kontakt mit den Nachfahren aufgenommen und uns für die heutige Arbeit das Leben erleichtert.“ Auch das Projekt der 99 Stolpersteine, die 2011 und 2012 in Emmerich verlegt wurden, sei Ausfluss seiner Forschungsarbeit gewesen. Vielleicht wird sich bald ein weiterer Stolperstein hinzu gesellen.

Möllenbeck berichtete gleich am ersten Halt, der heutigen Metzgerei Bauhaus in der Steinstraße, dass jüngste Recherchen in den Gestapo-Akten im Landesarchiv ergeben hätten, dass der christliche Metzger Johann Matthey die Jüdin Grete geheiratet hatte und deshalb großen Repressalien ausgesetzt war: „Hier zeigte sich die perverse Maschinerie der Nationalsozialisten.“ Bereits 1933/34 sollte sich Matthey von seiner Frau trennen und wurde drangsaliert. SS- und SA-Männer standen vor seinem Geschäft und seinem Stand auf dem Wochenmarkt.

Siegmund Lilienfeld – ein gebrochenes Herz

1938 schließlich gab Matthey auf und verkaufte seinen Laden weit unter Preis. Immerhin: Mit „viel, viel Glück“ haben die Mattheys die Schikanen überlebt, in Duisburg eine Großschlachterei betrieben und sind später nach Israel ausgewandert.

Dieses Glück blieb der kleinen Eva Bertha Lilienfeld, Jahrgang 1927, verwehrt. Silke Eicher hat das Schicksal des Mädchens so berührt, dass sie die Patenschaft für den einzigen Stolperstein einer Jugendlichen übernommen hat. Vor dem Haus Steinstraße 10 erinnern zwei weitere an ihre Eltern Martha und Siegmund Lilienfeld, der seit 1910 Lehrer, auch Kantor war. „Er war ein guter Lehrer“, so Eicher. „Er schlug nicht so viel und schrie auch nicht so viel wie die anderen.“ Nach seinem Wegzug aus Emmerich brach Lilienfeld 1938 in Wesel auf der Straße tot zusammen. Eicher: „Wenn einem alles genommen wird, kann einem das Herz brechen.“

Kontakt zwischen Herbert Schüürman und Rudy Kemp

„Er hat das ganze Elend Gott sei dank nicht mehr miterlebt“, wusste Norbert Kohnen wenige Schritte weiter an der Steinstraße 8 zu berichten. Der Kaufmann Max Kempenich (1860-1922), Vorsteher der jüdischen Gemeinde, hatte dort das Textilhaus Nathan & Gompertz betrieben. Sein Sohn Rudolf emigrierte 1937 in die USA. Als Rudy Kemp hielt er einen engen Briefkontakt zu Herbert Schüürman.

Auch über die Bedeutung der jüdischen Viehhändler, die koschere Küche, jüdische Feste, Synagoge und jüdische Volksschule, 1816 die erste im Regierungsbezirk Düsseldorf, erfuhren die Teilnehmer Interessantes und auch Neues.