Duisburg/Oberhausen/Mönchengladbach. Erst belastet Ramadan I. den Hauptangeklagten schwer, dann entlastet er ihn. Eins ist gelogen. Dafür muss der Ex-Kronzeuge selbst ins Gefängnis.
Erst ist er derjenige, der mit seiner Aussage Polizei und Staatsanwaltschaft im Mordfall Kai M. nach jahrelang erfolglosen Ermittlungen den Durchbruch zu verschaffen scheint. Dann ist er derjenige, der mit seinen widersprüchlichen Angaben in dem Mammutverfahren um das Gewaltverbrechen im Rocker-Milieu am Duisburger Landgericht den Prozess platzen lässt: Nach zwei Jahren Prozess und 91 Verhandlungstagen werden alle Angeklagten aus dem Dunstkreis der Hells Angels mangels Beweisen freigesprochen. Am Freitag steht Ramadan I., der frühere Kronzeuge, selbst vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm eine uneidliche Falschaussage vor. Nach knapp anderthalb Stunden steht fest: I. soll für weitere dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Relativ teilnahmslos verfolgt I., der selbst dem Umfeld der Rocker angehört haben soll, die Verhandlung in Saal 74 des Duisburger Amtsgerichts. Er macht Angaben zur Person: Nach islamischem Recht mit einer Deutschen verheiratet sei der gebürtige Libanese, der seit 1989 in Deutschland lebt. Die Hauptschule habe er in der 9. Klasse ohne Abschluss verlassen. Zwei Kinder habe er, sechs und neun Jahre alt, sei selbstständig, zuletzt mit einer Marketing-Agentur. „Mein Leben hatte Höhen und Tiefen“, sagt der heute 45-Jährige, „ich hatte viele Stolpersteine.“ Zum Tatzeitpunkt, im Frühjahr 2014, sei er „sehr tief in einer Welt gewesen, die ich nicht wollte“.
Kronzeuge wird im Landgericht an 16 Verhandlungstagen befragt
Im Verfahren um den Mord an Hells Angel Kai M. hat sich I. im Frühjahr 2019 aus freien Stücken an die Ermittlungsbehörden gewandt und mehrere Männer aus der Szene teils schwer belastet. Er habe damals sein Gewissen bereinigen wollen, hieß es. Im Sommer 2022 startet der Prozess am Duisburger Landgericht. Die Aussagen des Kronzeugen sind das wichtigste Beweismittel der Staatsanwaltschaft. An insgesamt 16 Verhandlungstagen wird er befragt. Als der Prozess im Sommer 2024 auf die Zielgerade geht, korrigiert er entscheidende Passagen seiner bisherigen Angaben. Der verbliebene Hauptangeklagte, den I. bislang schwer belastet hat, wird plötzlich entlastet. Der Duisburger M., der für die Rocker im Rotlicht-Viertel an der Flaßhofstraße in Oberhausen Dienste erledigte, war erschossen, sein Leichnam anschließend zerteilt und im Rhein und im Rhein-Herne-Kanal versenkt worden.
Version 1 des Kronzeugen: Francesco G. sei bei der Ermordung dabei gewesen, habe dem mutmaßlichen Schützen Ramin Yektaparast die Waffe gereicht und habe ihm danach in grausigen Details von der Tat berichtet. Version 2: G. sei vor der eigentlichen Tat zu ihm zurückgekehrt. Alles Weitere wisse er ausschließlich von Yektaparast. Der frühere Rocker-Boss hatte sich in den Iran abgesetzt und war dort im Frühjahr des vergangenen Jahres offenbar erschossen worden. I. war nach seiner geänderten Aussage noch vor dem Sitzungssaal des Landgerichts festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Angeklagter I. hat rund zehn Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht
Wie ist es zu dem Sinneswandel bei I. gekommen? Vor dem Landgericht hat sich der Kronzeuge noch zu einer Erklärung gewunden. Am Freitag im Amtsgericht bleibt es unklar und wird es möglicherweise für immer bleiben. Zum Tatvorwurf selbst macht I. keine Angaben, das übernimmt sein Verteidiger Nicolai F. Mameghani. Ja, es habe eine Falschaussage gegeben, das räume der Angeklagte ein. Ob die belastende oder die entlastende falsch gewesen sei, dazu möchte I. nichts sagen. Dass es Druck oder Drohungen in Richtung des früheren Kronzeugen gegeben haben könnte, deutet sein Anwalt an, konkreter wird es nicht. Es sei nicht so, dass er es nicht sagen wolle: „Er kann es uns nicht sagen. Der Arm der Höllenengel ist weit und lang.“
Offen bleibt die Frage, warum eventuelle Drohungen gegen I. erst im Sommer des vergangenen Jahres passiert sein sollen. Schon als sich der damalige Kronzeuge erstmals an die Ermittlungsbehörden wendet, lehnt er den ihm angebotenen Polizeischutz ab und bewegt sich während des Prozesses frei in seiner Heimatstadt Mönchengladbach, wo der Tatort des Mordes gewesen sein soll. Es hat Gerüchte auch seitens einer Vertrauensperson der Polizei gegeben, wonach I. für die korrigierte Fassung seiner Aussage „geschmiert“ worden sein könnte. Belegbare Beweise finden sich nie.
I. ist hafterfahren, wie es im Behördendeutsch heißt. Zehn Jahre seines Lebens habe er bereits im Gefängnis gesessen, rechnet die Vorsitzende Richterin des Schöffengerichts am Freitag zusammen. 21 Vorstrafen werden zum Ende der Verhandlung aufgezählt, wegen Eigentums-, Körperverletzungs- und Drogendelikten, Fahrens ohne Führerschein. Staatsanwältin Jill McCuller, die auch die Anklage im Mordfall vertreten hat, hat für die Falschaussage vier Jahre Haft gefordert, die Verteidigung für eine Bewährungsstrafe plädiert. Auf ein letztes Wort verzichtet der Angeklagte.
Staatsanwaltschaft legt Revision ein, Verteidigung geht in Berufung
Der komplette Fall und seine Verästelungen sind auch etwas mehr als elf Jahre nach dem Tod des Opfers juristisch noch nicht abgeschlossen. Gegen das Urteil des Landgerichts im Mordfall hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, allerdings liegt die schriftliche Begründung der Fünften Großen Strafkammer noch nicht vor. Deren Vorsitzender wäre am Freitag noch als Zeuge geladen gewesen, war aber nicht mehr benötigt worden. Gegen das Urteil des Amtsgerichts kündigt Verteidiger Mameghani noch auf dem Flur an: „Wir werden in Berufung gehen.“ Das Todesermittlungsverfahren bei dem tatverdächtigen Schützen Ramin Yektaparast dauert an.