Duisburg/Oberhausen/Mönchengladbach. Im Fall der Ermordung des Hells Angels Kai M. hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Seit zehn Jahren beschäftigt die Tat die Behörden.

Es ist noch nicht vorbei: Die Staatsanwaltschaft hat im Mordfall Kai M. Revision gegen die Entscheidung des Duisburger Landgerichts eingelegt. Die Fünfte Große Strafkammer hatte die beiden verbliebenen Angeklagten freigesprochen - aus Mangel an Beweisen. Jetzt ist der Bundesgerichtshof gefragt. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt die Tat im Rocker-Milieu Justiz und Ermittlungsbehörden. Für die Familie des Getöteten gibt es weiter keine Gewissheit, wer der Mörder des Hells Angels war - die Bilanz einer Dekade.

Die Tat

Kai M. wird in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2014 in einen Hinterhalt gelockt und erschossen. Ein Schuss aus einer Maschinenpistole trifft ihn von hinten in den Kopf und durchschlägt den Schädel. Der damals 32-Jährige ist sofort tot. Nach dem Mord bringen die Täter die Leiche erst ins Vereinsheim der Hells Angels nach Duisburg und dann nach Bochum an einen Ort, der bis heute unbekannt ist, zerteilen sie. Die sterblichen Überreste versenken sie im Rhein und im Rhein-Herne-Kanal an der Stadtgrenze zwischen Oberhausen und Duisburg. Die Tatwaffe soll zuvor von einer Autobahnbrücke der A52 in Düsseldorf in den Strom geworfen sein. Teile der Leiche tauchen später wieder auf. Knapp einen Monat nach der Tat fischt ein Angler den Arm aus dem Rhein. Der Torso des Getöteten wird im April 2014 entdeckt - die Täter bleiben verschwunden, jahrelang.

Die Razzia

Im Mai 2020 holen Polizeitaucher die Speisfässer mit weiteren Leichenteilen von Kai M. aus dem Rhein-Herne-Kanal, dort haben die Täter auch den abgetrennten Kopf des Getöteten versenkt. Öffentlich wird das zunächst nicht. Es ist die Aussage eines Kronzeugen, der bei den jahrelang erfolglosen Ermittlungen den Durchbruch zu bringen scheint. Ramadan I., der selbst der Beseitigung der Leiche beteiligt gewesen sein will, beschreibt der Polizei, wo die Leichenteile versenkt worden sind. Anfang September 2021 folgt dann die Groß-Razzia gegen die Hells Angels. 900 Beamte durchkämmen deren Umfeld in Duisburg und Mönchengladbach. Zwei Haftbefehle werden vollstreckt. Der große Schönheitsfehler schon damals: Der mutmaßliche Haupttäter hat sich bereits abgesetzt.

Mit 900 Polizisten geht die Polizei im September 2021 bei einer Großrazzia gegen Mitglieder der Hells Angels an Rhein und Ruhr vor.
Mit 900 Polizisten geht die Polizei im September 2021 bei einer Großrazzia gegen Mitglieder der Hells Angels an Rhein und Ruhr vor. © dpa (Archiv) | Christoph Reichwein

Der Hauptverdächtige

Zweimal nach dem Mord an Kai M. steht die Polizei mit Unterstützung von Spezialeinsatzkräften bei Ramin Yektaparast in Mönchenglachbach auf der Matte. Sie durchsuchen seine Wohnung, beschlagnahmen Datenträger, doch sie finden nichts Belastendes. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass er der Todesschütze ist. Yektarast hat sich nach der Tat ein „Filthy Few“-Tattoo stechen lassen. Das dürfen in der Szene nur Rocker tragen, die getötet haben oder daran beteiligt waren. Yektaparast war Vize-Boss der Rocker-Gruppe „Hellgate“ in Oberhausen, die mit dem Bandidos-Chapter „Westgate“ konkurrierte. Später führte er das Charter „MG-City“ der Hells Angels in Mönchengladbach. Noch vor der Großrazzia taucht Yektaparast in den Iran ab, postet von da Fotos von seinem luxuriösem Leben auf Instagram und betont seine Unschuld. Der frühere Rockerboss soll mit den iranischen Revolutionsgarden zusammengearbeitet und Anschläge auf Synagogen in Deutschland initiiert haben. Befragt werden kann er nicht mehr. Yektaparast wurde vermutlich Ende April im Iran getötet. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt. Die Duisburger Staatsanwaltschaft prüft derzeit eine offizielle Todesbescheinigung aus dem Iran.

Rocker-Boss Ramin Yektaparast hatte sich vor der Großrazzia in den Iran abgesetzt. Er soll dort Ende April getötet worden sein. Die Hintergründe sind bis heute unklar.
Rocker-Boss Ramin Yektaparast hatte sich vor der Großrazzia in den Iran abgesetzt. Er soll dort Ende April getötet worden sein. Die Hintergründe sind bis heute unklar. © Polizei/privat | Unbekannt

Die Angeklagten

Im Sommer 2022 startet am Duisburger Landgericht der Prozess gegen fünf Männer, die an der Ermordung oder an der Zerteilung und Beseitigung der Leiche mitgewirkt haben sollen. Drei von ihnen sind schon vor Monaten freigesprochen worden, aus einem kuriosen Grund. Weil es sein könnte, dass ihr Tatbeitrag in Wahrheit größer gewesen sein könnte als ursprünglich angeklagt, wären sie wegen des Tatvorwurfs der bloßen Strafvereitelung nicht zu belangen. Übrig bleiben zwei Männer: G., der bei den Rockern als rechte Hand Yektaparasts galt und diesem die Waffe bei der Tat gereicht haben soll, und J., der die Leiche nach der Tat zerteilt haben soll.

Die beiden verbliebenen Angeklagten wurden Anfang August freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen gefordert, eine mehrjährige für den mutmaßlichen „Zerteiler“ der Leiche und eine lebenslange für den Mann, der als rechte Hand von Rocker-Boss Ramin Yektaparast galt.
Die beiden verbliebenen Angeklagten wurden Anfang August freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen gefordert, eine mehrjährige für den mutmaßlichen „Zerteiler“ der Leiche und eine lebenslange für den Mann, der als rechte Hand von Rocker-Boss Ramin Yektaparast galt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der Prozess

Zwei Jahre lang verhandelt die Fünfte Große Strafkammer den Fall. Zunächst noch unter massiven Sicherungsvorkehrungen, die im Laufe der Monate immer mehr zurückgefahren werden. Die Anfangsphase ist noch geprägt von Corona. Zahlreiche Termine fallen wegen Erkrankungen der etlichen Prozessbeteiligten aus. Zum Ende hin sitzen freigesprochene Angeklagte im Zuschauerraum, die U-Haft für einen der beiden verbliebenen Angeklagten ist längst aufgehoben. Am Ende stehen 91 Verhandlungstage und zwei weitere Freisprüche. Es sind keine Freisprüche erster Klasse: „Wir können uns vorstellen, dass die Angeklagten schuldig sind“, sagt der Vorsitzende Richter Mario Plein in der Urteilsbegründung, „aber auf die Aussage von I. können wir keine Verurteilung stützen.“ J. wird für die U-Haft entschädigt werden, für G. hat es zunächst keine direkten Konsequenzen, er sitzt wegen bandenmäßigen Drogenhandels ohnehin eine mehrjährige Haftstrafe ab. Der Mord bleibt ungesühnt.

Der Kronzeuge

Mit ihm steht und fällt dieser Fall. Aus freien Stücken hat sich Ramadan I. 2019 erstmals an die Behörden gewandt. Weil der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft selbst an der Beseitigung der Waffe und der Leiche beteiligt gewesen sein will, belastet er sich auch erheblich. Er ist kein Mitglied, gehört aber zum Dunstkreis der Rocker in Mönchengladbach. Der Kronzeuge ist vorbestraft und hafterfahren. Von 28 Voreintragungen im Bundeszentralregister erzählt er selbst mal. Im Prozess erweist er sich als unsicherer Kantonist. Mal schweift er aus, mal ist seine Vernehmung nach kurzer Zeit beendet, weil er nicht mehr will. Unwirsch wirkt er oft - und er widerspricht sich selbst. Kurz vor Ende des Prozesses widerruft I. entscheidende Passagen seiner Aussage und entlastet plötzlich und überraschend den verbliebenen Hauptangeklagten, den er seit der Kindheit kennt. Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm diese Volte nicht: I. sitzt jetzt wegen des Verdachts der Falschaussage in Untersuchungshaft.

Das Opfer

Auf dem Arm, von dem die Polizei nach dem Fund ein Foto veröffentlicht, findet sich ein „81“-Tattoo auf der Hand, die Chiffre der Hells Angels. Kai M., seit nicht langer Zeit Mitglied des Rocker-Clubs, ist zum Zeitpunkt seines Todes bei dem Kronzeugen untergekommen, weil nach ihm per Haftbefehl gesucht wird. Der Getötete, der mit seiner Freundin in Hamborn lebte, soll als Beschützer und Chauffeur der Prostituierten im Rotlichtbezirk an der Flaßhofstraße in Oberhausen gearbeitet haben. Seine Club-Kameraden sollen ihn getötet haben, weil sie ihn für einen Verräter und Spitzel gehalten haben sollen. Er sei ein guter Junge gewesen und habe aus dem Milieu aussteigen wollen, sagt dagegen seine Mutter Jahre später dieser Redaktion. Am Rheinpreußenhafen in Homberg, wo der Torso entdeckt worden ist, hat die Familie eine kleine Gedenkstelle eingerichtet. „Geliebt und unvergessen“, steht darauf.

Die Nebenklägerin

Sie hat sich vorgenommen, jeden Prozesstag zu verfolgen. Frau M., die Mutter des Opfers, ist in dem Mammut-Verfahren am Duisburger Landgericht, das für sie unbefriedigend endet, Nebenklägerin. Sie habe den Männern in die Augen sehen wollen, die ihren Sohn getötet und dessen Leiche verschwinden haben lassen sollen, hat sie im Vorfeld gesagt. Sie hat es auch ertragen, wie die Angeklagten teils feixen und Faxen machen. Nach den Freisprüchen sagt Frau M. auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob ihr der Prozess weitergeholfen habe: Nein. Es gibt einen kurzen Dialog zwischen ihr und dem Kronzeugen am vorletzten Prozesstag. Er schlafe seit dem Vorfall nur noch wenige Stunden in der Nacht, sagt der. „Herr I.“, sagt Frau M., „ich schlafe gar nicht mehr.“ Auch für sie ist es noch lange nicht vorbei.

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