Duisburg/Oberhausen/Mönchengladbach. Der Prozess um die Ermordung des Hells Angels Kai M. ist nach mehr als zwei Jahren beendet. Das Landgericht glaubt dem Kronzeugen nicht.

Wer war der Mörder des Hells Angels Kai M.? Wer half bei der Zerstückelung und Beseitigung seiner Leiche? Eine endgültige Antwort findet auch das Duisburger Landgericht nicht. Nicht nach mehr als zwei Jahren Verhandlung. Nicht nach 91 Prozessterminen. Längst ist unwahrscheinlich, dass die Fragen jemals geklärt werden. Am Freitag gibt es nach einem langen Sitzungstag Shakehands unter den Unterstützern der Angeklagten im Zuschauerraum. Die Fünfte Große Strafkammer spricht Francesco G. und Navaratnam J. frei. Damit endet der Prozess gegen Mitglieder der Hells Angels wegen zweier Gewalttaten im Rocker-Milieu, in dem ursprünglich sechs Männer angeklagt waren, mit sechs Freisprüchen.

Entscheidend sind auch am letzten Prozesstag die Angaben des Kronzeugen, die das entscheidende Beweismittel der Staatsanwaltschaft sind. Die Kammer glaube ihm zentrale Passagen nicht, heißt es in der Urteilsbegründung. Während des Prozesses habe ein Psychiater Ramadan I. mal als einen Mann geschildert, „der die Lüge als Mittel zur Erreichung seiner Ziele ansieht“, auch daran erinnert der Vorsitzende Richter Mario Plein. Irritiert hatte der Kronzeuge nicht zuletzt an den beiden vorletzten Prozesstagen, als er frühere Angaben korrigierte und auf einmal den verbliebenen Hauptangeklagten Francesco G. entlastete.

Rocker-Boss Ramin Yektaparast soll Kai M. erschossen haben

Schon während des Prozesses habe I. andere Verdächtige in dem Komplex, die er erst belastet habe, dann wieder entlastet. Der Kronzeuge hatte sich 2019 von sich aus und aus freien Stücken an die Ermittlungsbehörden gewandt – warum genau, sei auch bis heute nicht ganz klar geworden, so Plein. „Ganz erhebliche Unterschiede“ gebe es in der Aussage, die der Kronzeuge bei der Polizei gemacht hat und denen im Gericht ab dem Sommer 2022, etwa zur Beschaffung der Tatwaffe, die später entsorgt worden war und seitdem verschwunden ist. Zudem habe es in seinen Angaben immer wieder „Unstimmigkeiten und Widersprüche“ gegeben, die der Kammer „Kopfzerbrechen“ bereitet hätten. Gleich zu Beginn der Urteilsbegründung spricht er über „den sogenannten Kronzeugen“.

Die beiden Angeklagten wurden am Freitag freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen gefordert.
Die beiden Angeklagten wurden am Freitag freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen gefordert. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Als wahrscheinlich gilt, dass der frühere Rocker-Boss Ramin Yektaparast seinen Club-Kameraden Kai M. schon im Januar 2014 in Mönchengladbach in einen Hinterhalt gelockt und erschossen haben soll. Die Hells Angels sollen ihn für einen Verräter und Polizeispitzel gehalten haben. Mit „16, 18 Schüssen“, so wollte es der Kronzeuge danach erfahren haben. Tatsächlich wurde am Leichnam des Toten nur ein Treffer festgestellt. Yektaparast kann nicht mehr befragt werden, er hatte sich vor einer großen Razzia gegen die Rocker in den Iran absetzt und war dort Ende April dieses Jahres getötet worden.

Der „sogenannte Kronzeuge“ sitzt in Untersuchungshaft

Auf der Anklagebank sitzen am Freitag noch der Mann, der als rechte Hand Yektaparasts galt und diesem die Tatwaffe gereicht haben soll, und der Mann, der die Leiche des Ermordeten zerteilt haben soll. Beide haben während des ganzen Prozesses geschwiegen. „Wir können uns vorstellen, dass die Angeklagten schuldig sind“, sagt Plein in der Urteilsbegründung, „aber auf die Aussage von I. können wir keine Verurteilung stützen“.

Die Überreste hatten die Täter im Rhein bei Duisburg und im Rhein-Herne-Kanal an der Stadtgrenze zu Oberhausen versenkt.
Die Überreste hatten die Täter im Rhein bei Duisburg und im Rhein-Herne-Kanal an der Stadtgrenze zu Oberhausen versenkt. © FUNKE Foto Services | Stephan Eickershoff

Mit der Entscheidung entspricht die Kammer den Forderungen der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte hingegen eine lebenslange Freiheitsstrafe für G. wegen gemeinschaftlichen Mordes und eine mehrjährige für J. wegen versuchter Strafvereitelung gefordert.

Inzwischen sitzt der Kronzeuge in Untersuchungshaft, wegen des Verdachts der Falschaussage wegen seiner im Prozess korrigierten Passagen. Beim letzten Termin im Landgericht war I. vorläufig festgenommen worden.

Staatsanwaltschaft: Polizisten sollen noch vernommen werden

Die Staatsanwaltschaft hätte sich wohl gewünscht, dass das Verfahren noch nicht zu Ende geht. Das bei der Festnahme im Gericht beschlagnahmte Handy des Kronzeugen war am Donnerstag geknackt worden und soll nun ausgewertet werden. Daraus erhoffen sich die Ermittler neue Erkenntnisse zu dem Fall und der plötzlich geänderten Aussage. Gerne hätte die Staatsanwaltschaft das abgewartet und noch die Polizisten als Zeugen vernommen, die bei der Festnahme im Duisburger Landgericht und der Durchsuchung der Wohnung des Kronzeugen in Mönchengladbach dabei gewesen waren. Die Kammer hat das abgelehnt.

Die Mutter des Opfers ist in dem Prozess als Nebenklägerin aufgetreten. Über ihren Verteidiger hat sie sich dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Am Ende fragt Plein sie: „Ich hoffe, dass Ihnen das Verfahren weiter geholfen hat?“ „Ne, Herr Vorsitzender“, antwortet sie, „eigentlich nicht.“ J. saß zwei Jahre in Untersuchungshaft. Er wird dafür nun entschädigt. G. sitzt wegen bandenmäßigen Drogenhandels ohnehin weiter im Gefängnis.

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