Duisburg. Mieter und Anwohner sind verzweifelt: Wohnungen werden in Duisburg in großem Stil illegal bezogen. Welche Zustände sie tagtäglich erleben müssen.
Ein Wohnkomplex an der Otto-Hahn-Straße/Max-Planck-Straße sorgt in Duisburg-Neumühl für großen Ärger. In den Wohnungen wohnen nur noch wenige Mieter legal, wie sie es selbst betonen. Seit 18 Monaten beobachten sie, dass Menschen aus Südosteuropa in die Wohnungen ziehen – illegal, sagen Bewohner und Anwohner.
Anwohner und Mieter berichten von unhaltbaren Zuständen in Duisburger Viertel
Die Neumühler berichten von schlimmen Zuständen und davon, sich von offiziellen Stellen alleingelassen zu fühlen. Deshalb haben sie kürzlich vor dem Rathaus am Burgplatz demonstriert und mit Oberbürgermeister Sören Link gesprochen. Der OB versprach Hilfe, schwor die Demonstranten aber auf einen langen Prozess ein. Sie wollen Link nun zu sich einladen, der OB hat sein Kommen auch schon zugesagt.
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Es sei einfach nur ein „Abtraum“, sagt ein Anwohner, der im Duisburger Norden direkt gegenüber wohnt. Seine Schilderungen decken sich mit denen vieler Nachbarn und Mieter aus dem Viertel. Einiges davon ist für jeden, der hier einen Spaziergang macht, sichtbar: Der Müll stapelt sich, angefangen von Speiseresten über gebrauchte Windeln bis zu Fernsehern und Autoreifen. Der Abfall werde auch von den Balkonen geworfen, man hat Angst vor einer Rattenplage.
Geschäftsmann berichtet: „Kinder verrichten ihre Notdurft auf dem Rasen“
Ein Geschäftsmann berichtet, täglich Kinder zu beobachten, die ihre Notdurft auf der Wiese verrichten. Bewohner des Komplexes entdecken Kothaufen und Urinpfützen auch im Treppenhaus oder den Kellern. „Inklusive Toilettenpapier“, so ein Mieter. Den Parkplatz und die Straßen säumen Autos ohne Nummernschilder. Nachbarn rufen regelmäßig die Polizei: Weil sie beobachten, dass jemand zusammengeschlagen wird. Weil es zu einer Messerstecherei kommt. Weil sie sehen, dass ziemlich offensichtlich Tachos zurückgedreht werden. Weil sie unter massiver Lärmbelästigung leiden.
Der Wohnkomplex besteht aus mehreren Häusern. Intakte Haustüren sucht man vergeblich, alle sind aufgebrochen. Das gilt auch für viele Wohnungstüren. In so einem Haus mit zwölf Wohnungen wohnt Nevim Bayraktar – und das schon seit 20 Jahren. Damals gehörten die Häuser der Gebag und „alles war supergepflegt“. In den letzten Jahre wechselten die Eigentümer und es sei immer mehr bergab gegangen. Inzwischen wohnen in ihrem Gebäude nur noch drei Mieter, momentan seien zwei Wohnungen besetzt, erzählt die Mieterin.
Im Treppenhaus gebe es schon lange keinen Strom mehr, der Aufzug sei ständig defekt. Nevim Bayraktar zeigt die Stromkästen im Keller: Einige sind nicht mehr verplombt, jemand hat auf eigene Faust Kabel gelegt und zapft Strom ab. Das alles habe sie schon mehrfach der Hausverwaltung gemeldet, aber gekümmert werde sich nicht.
Kellereinbrüche sind nur ein Problem der Mieter
Das bestätigt auch Nachbarin Julia Nuber. „Die gehen nicht mal mehr ans Telefon.“ Weil in ihrem Keller eingebrochen wurde, haben Nuber und ihr Mann sich woanders einen Keller gemietet. „Eines Tages kam ich aus dem Haus und habe gesehen, wie hier Kinder mit dem Spielzeug meines Sohnes gespielt haben. Das hatten wir im Keller.“
Auch Polizei und Stadt habe man schon regelmäßig um Hilfe gerufen, aber „passiert ist nichts“. Deshalb haben sich die Betroffenen jetzt zusammengeschlossen und wollen vor dem Rathaus protestieren. Sie hoffen auf die Hilfe von Oberbürgermeister Sören Link. „Es ist einfach unerträglich. Das haut mir die besten Nachbarschaften kaputt“, hat der OB vor einigen Tagen auf der Veranstaltung „Kommunen am Limit“ zum Thema Zuwanderung aus Südosteuropa gesagt.
In der Tat stecken die Behörden in einem Dilemma: „Das Recht auf die eigene Wohnung ist im Grundgesetz verankert, uns sind die Hände gebunden. Der Vermieter muss handeln“, sagt zum Beispiel ein Polizeisprecher. Konkret bedeutet das: Der Vermieter muss Anzeige erstatten oder mit der Polizei zusammenarbeiten. Die Behörde behandelt die Menschen in den besetzten Wohnungen als „potenzielle Betrugsopfer“, denn es kursieren gefälschte Mietverträge.
Hausverwaltung reagiert mit einem knappen Satz auf die Zustände
Ein Indiz dafür: Im Oktober kam bei einem Polizeieinsatz in Marxloh heraus, dass jemand illegal Wohnungen an der Otto-Hahn-Straße angeboten und rund 3000 Euro in bar dabei hatte – angeblich Geld aus Mieten und Kautionen. Die Polizei konfiszierte das Geld. Mehrere Anwohner des Neumühler Viertels sagen, schon selbst gesehen zu haben, dass jemand die Miete in bar einkassiert hat. Wer, das wisse man nicht. Die illegalen Bewohner seien sicher auch Opfer, räumt Nevim Bayraktar ein: „Ich erlebe, dass einige Angst haben. Sie machen die Tür nicht auf, wenn man klopft.“
Ein Informant, der über Kontakte zur Polizei Duisburg und zum Innenministerium verfügt, stuft das Geschehen in den Bereich der Clankriminalität ein. Eingezogen seien vor allem rumänische Roma, die aber nicht alle direkt aus Rumänien gekommen seien. „Viele sind nach dem Brexit aus England gekommen. Zudem gibt es den Verdacht, dass Menschen aus Moldawien und Georgien mit gefälschten EU-Pässen nach Deutschland gekommen sind“, sagt er. Dabei gehe es vor allem um Sozialbetrug. Er werde das Innenministerium umgehend über die Situation in Neumühl informieren.
Was sagt die Hausverwaltung MVGM über die angespannte Situation? Sie reagierte auf einen umfangreichen Fragenkatalog der Redaktion nur mit einem knappen Satz: „MVGM ist sich der illegalen Besetzung der Wohnungen bewusst und arbeitet daran, eine Lösung zu finden, die die Bewohner schützt.“ Welche Maßnahmen sie ergreifen will, bleibt im Dunkeln. Ebenso, ob und wann die massiven Mängel in den Häusern beseitigt werden.
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Die Mängel hat die Stadt im Blick: „Die Wohnungsaufsicht betreut aktuell sieben Wohnungsfälle auf der Otto-Hahn-Straße und auf der Max-Planck-Straße. Wir haben den Hauseigentümerinnen als auch der Hausverwaltung Instandsetzungsmaßnahmen angeordnet. Teilweise wurden in diesen ordnungsrechtlichen Verfahren auch schon Zwangsgelder festgesetzt“, sagt Stadtsprecher Malte Werning. „Wenn sie den Anordnungen nicht nachkommen, drohen als letztes Mittel auch Nutzungsuntersagungen.“
Außerdem fahre der städtische Außendienst den Wohnkomplex regelmäßig an, um dort Präsenz zu zeigen: „Wenn dort störender Lärm festgestellt wurde, haben wir eingehende Gespräche mit den Verursachern geführt und auch bereits vereinzelt Personengruppen aufgelöst. Rumänische Streetworker helfen bei der Kommunikation“, so Werning.
Rechtsanwältin Sonja Herzberg, Vorsitzende des Mieterbundes Rhein-Ruhr, beurteilt die Lage an der Otto-Hahn-Straße als Katastrophe. Sie befürchtet, dass auch in diesem Komplex eine Versorgungssperre droht wie vor einigen Wochen in Marxloh. Dann würde den Menschen dort Gas und Strom abgestellt. „Die Stadt ist einer Mammutaufgabe ausgesetzt. Da geht es um einen Vermieter, der sich nicht kümmert und um die Verrohung eines Viertels. Das Thema treibt alle um: Politik und Verwaltungsspitze.“ Nun gehe es darum, Konzepte zu erarbeiten, wie die Probleme gelost werden. „Schließlich müssen wir die guten Mieter schützen.“