Düsseldorf/Kranenburg/Kleve. Prozess gegen zwölf Männer, die in Kranenburg illegal Zigarettenfabrik hergestellt haben sollen, Zeuge schildert die professionelle Produktion.

Die Maschinen liefen noch, als die Männer, die dort illegal Zigaretten herstellten, bereits vor den Fahndern davonliefen: Minuziös beschrieb ein Beamte der Zollfahndungsgruppe Essen gestern vor dem in Düsseldorf tagenden Landgericht Kleve den Zugriff auf die illegale Zigarettenfabrik in Kranenburg, bei dem an diesem Augusttag zwölf Personen aus Polen und der Ukraine festgenommen wurden. Sie stehen nun vor Gericht.

Anhand von zahlreichen Bildern gab der 44-Jährige im Zeugenstand am zweiten Prozesstag ausführlichen Einblick in die Arbeit des Ermittlungsvorgangs „Draisine“, wie die Fahnder ihre monatelange Überwachung der illegalen Fabrik tauften – in Anspielung auf den nahen Schienenfahrrad-Verleih am Bahnhof Kranenburg.

Pilotfahrzeug sicherte jeden Transport über die Grenze ab

Die Schilderung des Beamten verstärkte den Eindruck eines professionell aufgezogenen Unternehmens: Wann immer aus den nahen Niederlanden eine Lieferung, sei es Tabak, Verpackungsmaterial oder Kartonagen kamen – stets fuhr ein „Pilotfahrzeug“ kurz vor dem Transport-LKW die Strecke ab, um sicherzugehen, dass man auf dem Weg nicht in eine Kontrolle geraten würde. Sämtliche Autos und LKW waren über diverse Firmen und Leihverträge beschafft worden.

Volles Haus: Weil für zwölf Angeklagte plus Verteidiger im Klever Landgericht nicht genug Platz ist, findet das Verfahren im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt.
Volles Haus: Weil für zwölf Angeklagte plus Verteidiger im Klever Landgericht nicht genug Platz ist, findet das Verfahren im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. © FFS | Foto: Kai Kitschenberg

Offenbar gab es in der Firma zwei „Führungskräfte“, die nicht nur in diesem Bereich die Leitung hatten, sondern auch die übrigen Mitarbeiter einsetzen, die sich auf 175 Quadratmetern im angrenzenden Wohnhaus aufhielten – in Mehrbettzimmern unter Deckenventilatoren, mit einem Fitnessraum, in dem aus Eisenstangen und Wasserkanister selbst gebastelte Hanteln zur Verfügung standen. Für weniger Aktive gab es eine Sitzecke samt vier Plastiksesseln draußen auf der kleinen Terrasse.

Dort wurden sie vom Lärm und Geruch der Zigarettenfertigung, kaum gestört: Die gesamte Halle war professionell gedämmt, in vier Bereiche aufgeteilt (Warenannahmeeine Abluftanlage sorgte dafür, dass kein Tabakgeruch die Nachbarn irritierte. Damit die Stromrechnung im Rahmen des Unauffälligen blieb, wurde der umfangreiche Maschinenpark über Dieselgeneratoren mit Strom versorgt.

Verladen wurde erst, wenn die Bäckerei nebenan bereits Feierabend hatte

Und die Transporte – so stellte es sich in der monatelangen Überwachung des Areals heraus – kamen und gingen meist erst um die Mittagszeit. „Dann hatte die angrenzende Bäckerei schon weitgehend Feierabend“, so der Zollfahnder. Und es gab noch ein paar potenzielle Zeugen weniger. Bereits 2016 war der Mietvertrag für die Halle geschlossen worden, wann die Produktion angelaufen ist auf der „restaurierten Mark 8“. So hieß die voluminöse Maschine, deren Alter der Fahnder auf 25 bis 30 Jahre schätzt.

Allerdings entdeckten Zollfahnder bereits ab 2018 vor allem in Großbritannien illegal produzierte Zigaretten, die sie der „Fälschungslinie 194“ zuordnen konnten. Mehr als 400.000 Stangen wurden beschlagnahmt, die die gleichen Merkmale aufweisen wie die in Kranenburg beschlagnahmten Zigaretten. „Fälschungslinie 194“ heißt sie beim Zoll. Und auch eine der letzten Lieferungen aus Kranenburg, landete nicht bei sparsamen Rauchern auf der Insel: Fahndern in Calais gelang es am 30 Juli etwa 8,2 Millionen Zigaretten sicherzustellen, die per Laboruntersuchung der „Fälschungslinie 194“ zugeordnet werden konnten – dabei handelt es sich nach Einschätzung der Experten etwa um eine Wochenproduktion.

Wochenproduktion: Schätzungsweise 10 Millionen Zigaretten

Bereits seit April 2020 hatten die Zollfahnder das Gelände im Blick, nach einem Hinweis der polnischen Zollfahnder, die den Hinweis auf die Fabrik in Kranenburg gaben. Vermutlich wegen des Corona-Lockdowns geschah in den ersten Monaten auf dem Gelände recht wenig. „Ab Ende Juli wurde die Produktion wieder hochgefahren“, beschrieb der Fahnder das per Kamera überwachte Geschehen. Am 11. August etwa seien rund 45.000 Stangen aus „unserer Herstellungsanlage“ wie es der Zollfahnder fast schon stolz nannte nach England verschifft und dann in Dover sichergestellt worden. Eine Woche später, als gerade die ersten sechs Paletten der nächsten Wochenproduktion von der Rampe in den LKW verladen werden sollten, schlugen dann die Fahnder zu.

Die zwölf Männer, die bei dem Einsatz festgenommen wurden, hörten sich den Bericht des Zollfahnders interessiert an. Ihre Verteidiger monierten hingegen, dass die Aktenführung der Staatsanwaltschaft Mängel aufweise, entlastendes Material sei nicht enthalten. Zudem fehle ein großer Teil der Dokumentation der Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden. Dorthin hatte die ermittelnde Staatsanwaltschaft nach Angaben der Verteidiger mindestens eine Dienstreise unternommen, über die sich nichts in den Verfahrensakten finde. Sie beantragten daher, die Staatsanwältin als Zeugin zu vernehmen. Zunächst jedoch sah es Richter Henckel als ausreichend an, dass die Staatsanwaltschaft dazu den Angeklagten eine schriftliche Stellungnahme aushändigte.