Kleve. In einer Lagerhalle in Kranenburg im Kreis Kleve hat der Zoll eine illegale Zigarettenfabrik ausgehoben. Der Fall hat historische Dimensionen.
Die Zollfahndung Essen und die Staatsanwaltschaft Kleve haben am 18. August nach eigenen Angaben eine der größten illegal betriebenen Zigarettenfabriken in Deutschland ausgehoben. „Wir gehen derzeit von einem steuerlichen Schaden aus, der sich in dreistelligem Millionenbetrag bewegen könnte“, so Günter Neifer von der Staatsanwaltschaft Kleve.
In einer Herstellungsanlage in Kranenburg seien wöchentlich rund 55.000 Stangen produziert worden. „Das entspricht einer Menge von elf Millionen einzelnen Zigaretten“, so Neifer. Die illegale Ware sei nach derzeitigem Ermittlungsstand für den britischen Schwarzmarkt bestimmt gewesen.
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Der entscheidende Hinweis sei Mitte März von der polnischen Polizei gekommen. Anfang April hätten die Ermittler laut Holger Gießelmann vom Zollfahndungsamt Essen mit Observationsmaßnahmen begonnen. Die rund 800 Quadratmeter große Lagerhalle mit angrenzendem Wohnhaus machte auf die Ermittler zunächst einen „unscheinbaren, verwahrlosten Eindruck“.
Zigarettenfabrik in Kranenburg: 55 000 Stangen beim Zugriff gefunden
Tatsächlich seien in der Halle aber seit Ende 2016 „enorme, bauliche Maßnahmen“ vorgenommen worden, wie die Ermittler später feststellten. Allein am Tag des Zugriffs lagerten dort 55 000 Stangen gefälschter Zigaretten sowie rund sechs Tonnen Tabak. „Wir haben zwölf Personen in der Halle angetroffen und als Tatverdächtige vorläufig festgenommen“, so Gießelmann.
Der Zugriff sei am 18. August mit Unterstützung einer Spezialeinheit des Zolls und der Bundespolizei in den Mittagsstunden erfolgt. Als eine Person flüchten wollte, konnten die Polizisten sie stoppen.
Bei den Tatverdächtigen handelt es sich laut den Ermittlern um sechs polnische und sechs ukrainische Staatsangehörige im Alter von 28 bis 59 Jahren. Gegen die Männer liegen Haftbefehle wegen bandenmäßiger Steuerhinterziehung vor. Zudem stehe der Vorwurf der Markenfälschung im Raum.
Fahnder sind auf weitere Halle in den Niederlanden gestoßen
Die Beamten stellten nach eigenen Angaben zehn Lastwagen-Ladungen an Beweismitteln sicher, darunter mehrere Produktions- und Verpackungsmaschinen sowie zahlreiche Vorprodukte wie Tabak, Filter- und Zigarettenpapier und hunderte Zigarettenstangen der Marke „Richmond“.
Am Einsatz in Kranenburg seien laut Gießelmann bis zum 21. August über 200 Kräfte der Zollverwaltung, der Bundespolizei und des Technischen Hilfswerks beteiligt gewesen, die beim Abbau und Abtransport des Beweismaterials mithalfen.
Die Beweisauswertung habe die deutschen Fahnder am vergangenen Freitag zu einer weiteren verdächtigen Lagerhalle in den Niederlanden geführt. Die niederländische Zollkontrolle entdeckte auf einer ehemaligen Pilz-Farm große Mengen Zigarettenfilter und Verpackungen, die offenbar für die illegale Zigarettenproduktion im Kreis Kleve gedacht waren.
Letzte illegale Zigarettenfabrik wurde vor 15 Jahren ausgehoben
Bei der Fabrik in Kranenburg handle es sich erst um die vierte industrielle Produktionsanlage für illegale Zigaretten, die in Deutschland sichergestellt werden konnte. Der letzte Fall liege bereits über 15 Jahre zurück. 2003 und 2005 konnten in Oberhausen sowie in Köln und Koblenz drei Anlagen ausgehoben werden.
Trotzdem bedürfe es laut Dr. Peter Keller vom Zollkriminalamt Köln stetiger Wachsamkeit: „Das sind extrem große Steuermengen, die dem deutschen Fiskus verloren gehen.“ Die Herstellungsanlage in Kranenburg sei ein „herausragender Fall nationaler und internationaler Steuerhinterziehung.“
Laut Günter Neifer von der Staatsanwaltschaft Kleve gebe es „gravierende Hinweise, dass die Zigaretten für den britischen Schwarzmarkt produziert wurden“. Dafür spreche neben den produzierten Marken „Richmond“, „Regal“, „Richman“ und „Mayfair“ unter anderem der Steueranteil auf legal verkaufte Zigaretten pro Stange, der in Großbritannien fast doppelt so hoch sei wie in Deutschland.
Das mache den Verkauf illegaler Zigaretten dort für kriminelle Banden besonders lukrativ. „Wir können aber nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht ausschließen, dass auch für den deutschen Markt produziert werden sollte“, so Neifer.