Hünxe. Sprachforscher Dr. Georg Cornelissen blickt auf Namensregeln im Hünxer Dialekt. Was das englische Königshaus mit der Geschichte zu tun hat.
Sie sind legendär und unvergessen, die Auftritte von „Stelten Karl“, der eigentlich Karl Neuköther hieß, bei den Plattdeutschen Abenden in Hünxe. Das 2023 verstorbene Hünxer Original hatte dabei immer etwas Besonderes zu berichten, vor allem von seinen imaginären Gesprächen mit der englischen Monarchin Königin Elisabeth II., die, den Hünxer Gepflogenheiten zu Nachnamen entsprechend, von Stelten Karl kurzerhand in „Windsors Lisbeth“ umbenannt wurde.
Der bekannte Sprachforscher Dr. Georg Cornelissen nahm den Tod des Hünxer Originals mit seinen Geschichten über Windsors Lisbeth, Knisters Anna oder Knöttelkamps Gerd zum Anlass, sich erneut mit den Hünxer Gepflogenheit zur Benennung von Personen zu befassen. Einen Artikel im aktuellen Jahrbuch des Kreises Wesel hat er dem Thema gewidmet.
Nachnamen vor dem Vornamen – in Hünxe die Regel
„Was unmittelbar auffällt: Im Hünxer Dialekt wird der Familienname vorangestellt, die Reihenfolge ist also umgekehrt, erst der Nachname, dann der Vorname“, schreibt Dr. Georg Cornelissen. Allerdings muss in diesem Fall der Familienname nicht immer der tatsächliche Familienname sein. „Oft tauchte, wenn im Dorf Platt gesprochen wurde, der offizielle Familienname gar nicht auf“, berichtet der Sprachforscher.
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Stelten Karl selbst ist ein gutes Beispiel dafür. Dieser „inoffizielle Familienname“, wie Dr. Cornelissen diese Art von Namen nennt, geht im Beispiel von Karl Neuköther auf den Umstand zurück, dass der Vorbesitzer des Grundstück, auf dem die Familie lebte, ein Mann mit dem Nachnamen Stelte war. So wurde aus Karl Neuköthers Vater „Stelten Wilhelm“ und aus seinem Sohn eben „Stelten Karl“.
Keine Hünxer Eigenheit „op Platt“
Die vorangestellten Nachnamen sind allerdings keine Besonderheit, die nur in Hünxe vorkommt, wie der Sprachforscher auf Nachfrage der Redaktion berichtet: „Nachnamen in Voranstellung finden sich in vielen Dialekten am Niederrhein. Leider gibt es keine flächendeckenden Daten dazu, aber es darf vermutet werden, dass diese Reihenfolge in den meisten Orten galt oder gilt“, erklärt er.
In der Mehrzahl der Fälle enden die vorangestellten Familiennamen in Hünxe übrigens auf einem „s“ – wie bei „Windsors Lisbeth“. Enden sie auf „en“, wie bei Stelten Karl, ist meist der Genetiv (also der „Wes-Fall“) im Einsatz. Dr. Georg Cornelissen bringt an dieser Stelle den Spatzen ins Spiel: „Der Spatz, des Spatzen“, erklärt er die Namensherkunft, die sich meist von einem anderen Namen ableitet. Zum Beispiel „Otten“ von „Otto“. Diese Namensendungen auf „en“ bleiben bei der Voranstellung, wie man bei Stelten Karl sieht, übrigens unverändert.
Die berühmte Ausnahme von der Regel
Ebenso mit Grammatik lassen sich Vornamen mit „.-s“-Endung erklären. Hier ist ebenfalls der Genetiv im Spiel, wie bei Mölders, Schöltjes und Spennekes, die Cornelissen als Beispiele aufführt. Hier kommen allerdings noch Verkleinerungsformen ins Spiel, wie man sie auf Platt etwa von „dat Männeken“ und „die Männekes“ kennt. „Ein Mensch, der seinerzeit Spinneken genannt worden wäre, könnte aus der Sicht seiner Mitmenschen durchaus etwas Spinnenhaftes gehabt haben“, erklärt der Sprachforscher.
Doch auch hier gibt es die berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Cornelius Sander, der 1927 als Schützenkönig in Hünxe regierte, war unter dem Namen Sander Knelles im Dorf bekannt. Hier fehlt also das typische „s“ am Ende des vorangestellten Namens. „Eine echte Ausnahme von der Regel“, erklärt Dr. Cornelissen auf Nachfrage. Allerdings nur für Hünxe. Denn in anderen Orten, etwa in Grefrath im Kreis Viersen, ist es ganz normal, die Nachnamen unverändert vor den Vornamen zu setzen.
Namensänderungen durch die Zeit verfolgt
Mit „Windsors Lisbeth“ folgte Stelten Karl für seine Bühnengeschichten allerdings der gängigen Form der Namensumgestaltung im Hünxer Platt. Praktisch dabei, dass König Georg V. im Jahr 1917 den Hausnamen der „Royals“ in „Windsor“ änderte. Vorher war das englische Königshaus nämlich noch unter dem Namen „von Sachsen-Coburg und Gotha“ bekannt und mit deutschen Adelstiteln ausgestattet. Das hätte die Eingliederung ins Hünxer Platt wohl deutlich schwieriger gemacht.
Ein Wiederhören mit Stelten Karl
In seinem Text im Jahrbuch des Kreises weißt Dr. Georg Cornelissen auf eine Besonderheit zum verstorbenen Hünxer Original hin: Auf der „Sprechenden Sprachkarte“ des Landschaftsverbands Rheinland (https://rheinische-landeskunde.lvr.de/de/sprache/sprechende_sprachkarte/sprachatlas_1.html) kann man auch auf die Gemeinde Hünxe klicken. Und dann Stelten Karl zuhören, der von einem gemütlichen Kaffeetrinken in alten Zeiten erzählt. Natürlich „op Platt“ und eben so, wie man früher Kaffee kochte: mit Wasser, das aus der Pumpe kam und einem großen Wasserkessel auf dem Ofen und frisch gemahlenem Kaffee.
Mit Stelten Karl verband Dr. Georg Cornelissen eine „langjährige gute Zusammenarbeit“, wie der Sprachforscher in seinem Text schreibt. 2013 erschien das von ihm mit herausgebenen Buch „Leben im niederrheinischen Dorf. Das Beispiel Hünxe“ zu dem Karl Neuköther einiges beisteuern konnte. Dabei verfasste Stelten Karl auch eigene Bücher in der Hünxer Mundart.
Viele der „inoffiziellen Nachnamen“ kommen heute übrigens auch in amtlicher Form als offizielle Nachnamen vor. In historischen Texten kann man, wie Dr. Georg Cornelissen ausführt, solche Namenswechsel oft nachverfolgen: Hier finden sich dann Namen, die ein „genannt“ oder „vulgo“ auftauchen – letzteres meint dann „allgemein üblich“ oder „in der Sprache des Volkes“, wie der Sprachforscher erklärt. Hier handelt es sich also um die „inoffiziellen Nachnamen“. Die sich mittlerweile allerdings, auch über die Ortsgrenzen von Hünxe hinaus, teilweise als normale Nachnamen durchgesetzt haben.