Am Niederrhein. Georg Cornelissen beschäftigt sich liebevoll und wissenschaftlich mit der Sprache des Niederrheins. „Nix für ungut“, sein neues Buch.
Was hat uns dieser Mann nicht alles schon erklärt – und bewusst gemacht. Wir sind mit ihm vor die Pumpe geflitzt, haben Bütterkes gegessen, zwischendurch gemerkt, dass wir von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, währenddessen ist der Hippelandexpress vorbeigedonnert und, Halleluja Herr Kapitän, nach dem Hickepick haben wir die Pimpernellen gekriegt und uns dann in aller Ruhe einen Absacker gegönnt.
Seit vierzig Jahren hört Georg Cornelissen den Niederrheinern und -innen ganz aufmerksam zu
Ja, Sie haben es ja ganz sicher bemerkt: Der Niederrhein ist reich an Wörtern und Wendungen und allerlei lustigem Sprachgebrauch. Sprachwissenschaftler Dr. Georg Cornelissen, gebürtiger Niederrheiner (Kreis Kleve), lange Zeit in Diensten des Landschaftsverbands Rheinland in Bonn, schaut auch als Privatier den Menschen der Region aufs Maul und sichtet all das, was wir so im allgemeinen Sprachgebrauch alltäglich von uns geben. Alle vierzehn Tage schreibt Georg Cornelissen auf der Seite „Wir am Niederrhein“ sein „Nix für ungut!“ Jetzt ist das Büchlein dazu erschienen, beim Greven Verlag. 80 kleine Erzählstücke.
Tach Herr Cornelissen, wie isset denn gerade so?
Wie sollet denn sein, wenn man ein druckfrisches Buch in Händen hält, schöner Einband, lesefreundliches Layout, und wenn man auch noch selbst der Autor ist? Knorke, würde ich sagen.
Sprechen die Menschen am Niederrhein so anders?
Anders als die in Bayern – auf jeden Fall. Anders als die in Mecklenburg – aber hallo! Wenn ich als Bayer oder Mecklenburger auf die Welt gekommen wäre, hätte ich vermutlich keine einzige Zeile über das Niederrheinische geschrieben – das hätten dann andere machen müssen. So aber sind mir die Wörter und Wendungen seit frühester Kindheit zugeflogen, oder weniger poetisch: zugeflüstert und zugerufen worden: „Ja, komma bei Omma aufe Schlöpp!“ – „Morgen gibbet schönes Wetter, der Teller is ganz leer.“ – „Hasse schon widder Hickepick?“ Von Sätzen wie diesen kann man ein Leben lang zehren.
Was ist denn das Besondere?
Jede Region in Deutschland hat ihren eigenen WW-Mix (Mix aus Wörtern und Wendungen). Dazu gehören Vokabeln, die aus dem örtlichen Platt übernommen werden: Schuffel, Buxe, Knötterpott, Hickepick und Hickeschlick…Wörter wie diese sind am Niederrhein in die alltägliche Umgangssprache integriert worden. Diese mundartliche Befruchtung ist aber überall ein andere.
Außerdem ist man am Niederrhein der Ansicht, dass -ken knackiger klingt als -chen: „Männeken“ statt „Männchen“, „Höcksken“ und „Stöcksken“ statt „Hölzchen“ und „Stöckchen“. Auch das ein Erbe des alten Dialekts. Und zum Männeken gehört natürlich „dat Fräuken“, an dat Stöcksken schließen sich „dat Stücksken“ und „dat Bröcksken“ an; was es mit dem Höcksken auf sich hat, erläutere ich im Buch.
„Nix für ungut!“
Georg Cornelissen – wohl kaum jemand beschäftigt sich so liebevoll, wissenschaftlich und leidenschaftlich wie er. Und das schon seit vierzig Jahren! Ob als Buchautor oder Vortragsredner, als Experte im Radio und Fernsehen oder als Kolumnist bei uns – er gibt der Sprache des Niederrheins seine Stimme.
Im Büchlein „Nix für ungut! Wörter und Wendungen vom Niederrein“ kann man 80 kleine Texte nun entdecken, ein Großteil davon geht zurück auf unsere Kolumne „Nix für ungut“.
Mal schlitzohrig, mal heiter, gern auch schon mal nach der Höcksken-Stöcksken-Methode serviert der Autor Überraschendes zu alltäglichen Äußerungen aus der Region: In 80 Häppkes um die Welt des Niederrheins. Greven Verlag, 18 Euro.
Wie finden Sie all die Sprüche und das, was man dazu erzählen kann?
Wenn ich in Kevelaer oder Moers wohnte, müsste ich natürlich „bloß ma ebbkes vor de Tür“ gehen und käme mit einem prall gefüllten Beutel neuer „Hörbelege“ wieder nach Hause. So einfach ist es für mich vom Rheinland aus nicht. Um etwas „aufzuschnappen“, muss ich schon einen Ausflug in die alte Heimat machen, Familienfeste, alte Freunde besuchen.
Im April und Juni halte ich drei Vorträge am Niederrhein: in Xanten, Kevelaer und Rees – bei diesen Aufenthalten werde ich mich wieder in der Kunst des zweispurigen Hörens üben: die erste Spur dient dem Verstehen und Kommunizieren, die zweite der synchronen Analyse des Gehörten. Was dazu führt, dass meine Gespräche recht oft ins Sprachwissenschaftliche „abgleiten“ – was den Gesprächspartner*innen aber glücklicherweise nicht selten ganz gut gefällt. Das hat öfter mal was vom Höcksken-Stöcksken.
Außerdem habe ich zuhause eine eigene, wenn auch viel zu kleine Bibliothek: Wörterbücher, Sprachatlanten, Gedichtbändchen – und natürlich das gesamte Internet: Anregungen „satt un genuch“.
Das Wort Frühjahrsputz steht auf der roten Liste
Und wenn ich dann einen Text darüber verfasse, dass die Menschen am Niederrhein das Großreinemachen „Frühjahrsputz“ nennen, obwohl die dafür vorgesehene Jahreszeit inzwischen immer öfter „Frühling“ und nicht mehr „Frühjahr“ genannt wird, dann wäre es natürlich schön, wenn ich mal eben dazu einen Fragebogen verschicken könnte, den mal eben 500 bis 1000 Gewährsleute gewissenhaft ausfüllen würden – aber das wird Wunschtraum bleiben. Mal abgesehen davon, dass die Mehrzahl vermutlich aufschreiben würde, dass ein solcher jahreszeitlich induzierter Aufwand überhaupt nicht mehr betrieben wird. Das Wort „Frühjahrsputz“ steht also vermutlich auf der roten Liste.
Wann haben Sie denn Ihr Herz an die niederrheinische Umgangssprache verloren?
Wahrscheinlich war es ja Liebe auf den ersten Ton: Aber die Gedächtnisforschung sagt, dass Erinnerungen an die ersten drei oder vier Lebensjahre äußerst selten und mitunter auch mit Skepsis zu behandeln sind. Ich habe meine Kindheit auf jeden Fall in einem dreisprachigen Ort verlebt: Platt, Umgangssprache und Hochdeutsch.
„Nex för Blage“
Platt wollte man mir verweigern („nex för Blage“), aber die beiden anderen Sprachschichten waren im Dorf so präsent wie Sonne und Regen. Was die niederrheinische Umgangssprache oder Alltagssprache vom Dialekt unterscheidet: Umgangssprache („Zieht ma ebbkes“) lehnt sich ans Hochdeutsche („Zieht mal eben“) an, unterscheidet sich davon aber hinsichtlich ihres Wortschatzes, ihrer Grammatik und ihrer Phonetik. Dagegen ist Platt („Treckt es effkes“) eine eigene Sprache. Die man übrigens, wie jede andere Sprache auch, erlernen kann oder könnte.
Und was ist Ihr nächstes Projekt?
Ich gehöre ja zu der von Tag zu Tag kleiner werdenden Gruppe von Menschen, die noch kein Kochbuch geschrieben hat. Das wird auch so bleiben.
Im Augenblick interessiert mich das Dorfleben um 1900, geografische Einschränkung: am Niederrhein. Wie gestaltete sich das Zusammenleben der Menschen damals, als (fast) alle noch Platt sprachen? Vorstellen – im wahrsten Sinne des Wortes – kann sich das heute niemand mehr. Ich möchte, soweit möglich, diese Sprachsituation rekonstruieren. „Segg“ („Sag mal“ oder: „Sagen Sie mal“): So fingen damals ganz viele Gespräche im Ort an. Was heute auf „Samma“ hinausläuft.