Hünxe. Rechtsstreit: Familie Hennen wehrt sich gegen Kürzung der Intensivpflege durch AOK. Mehr zu den Hintergründen und wie es jetzt weitergeht.
- Die Krankenkasse AOK hat Noah Hennens außerklinischen Intensivpflegedienst gestrichen.
- Ohne medizinische Betreuung ist der Schulbesuch für den Jungen aus Drevenack nicht länger möglich.
- Die AOK sieht bei ihm keine Notwendigkeit für lebenserhaltende Maßnahmen und die ständige Anwesenheit einer Pflegekraft – obwohl Noah rund um die Uhr mit Medikamenten versorgt werden muss und unter anderem an einer Blutgerinnungsstörung leidet. Diese kann ihn bei Unfällen mit dem Katheter, der ihn versorgt, in ernsthafte Gefahr bringen.
- In seinem Namen wurde nun ein Eilantrag beim Sozialgericht Duisburg eingereicht.
Noah Hennen ist zwölf Jahre alt und schwerkrank. Sein Geburtstag, der 23. Dezember, war auch der Tag, an dem die Krankenkasse AOK offiziell den Intensivpflegedienst für ihn gestrichen hat – obwohl sein Pflegegrad schon im Oktober 2023 von vier auf fünf hochgestuft wurde.
Ohne eine medizinische Betreuung ist für den Jungen, der vier Monate zu früh geboren wurde und seit seiner Geburt an der unheilbaren Darm-Verschluss-Erkrankung CIPO (Chronische intestinale Pseudoobstruktion) leidet, ein Besuch der Gesamtschule Hünxe nicht länger möglich. Neben der Darmerkrankung leidet er unter anderem an einer Leberinsuffizienz und hat in seinem kurzen Leben schon eine Vielzahl von Operationen durchleben müssen. Noah wird künstlich ernährt, rund um die Uhr mit Medikamenten versorgt, die durch eine Pumpe gefördert werden, welche er ständig auf dem Rücken mit sich herumträgt. Auch in der Schule – was nur einer der Gründe ist, warum er nicht ohne Betreuung zur Schule gehen kann.
Noah braucht medizinische Betreuung
Dabei würde die Gesamtschule Hünxe Noah sehr gerne weiter beschulen, aktuell werden „alle Möglichkeiten geprüft“, wie sein Schulbesuch fortgesetzt werden könnte, teilt die Bezirksregierung Düsseldorf auf NRZ-Anfrage mit. „Ohne eine medizinische Betreuung in der Schule, wie sie bisher stattgefunden hat, kann die Schule jedoch die Beschulung nicht verantworten, da aufgrund des schweren Krankheitsbildes lebensbedrohliche Situationen nicht auszuschließen sind. Zudem ist die aktuell notwendige medikamentöse Versorgung des Jungen in der Schule durch das Schulpersonal nicht umsetzbar. Dafür ist eine medizinische Fachkraft erforderlich“, so eine Sprecherin der Bezirksregierung.
Neuregelung sorgt für Streichungen
Seit dem 18. März 2022 ist die Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL) in Kraft. Endgültig wirksam ist sie – wegen einer Übergangsregelung – erst seit dem 31. Oktober 2023. Die AKI-RL regelt unter anderem, in welchen Fällen eine außerklinische Intensivpflege ärztlich verordnet werden darf.
Für viele Patienten bedeutet das, dass ihnen – nach einer Einschätzung durch den medizinischen Dienst – die außerklinische Intensivpflege nicht länger bewilligt wird.
Denn die neue Regelung sieht vor, dass die Patienten zur Abwendung von lebensbedrohlichen Situationen auf die ständige Anwesenheit einer Pflegekraft angewiesen sein müssen. Die Streichungen betreffen beispielsweise auch Kinder mit Diabetes, Epilepsie oder Fälle wie Noah.
Das sieht die Krankenkasse jedoch anders. Nach Begründung der AOK bestehe bei Noah keine Notwendigkeit für lebenserhaltende Maßnahmen und es sei kein tägliches Intervenieren von Ärzten oder Pflegekräften vonnöten. Laut der AOK ergibt sich ein Bedarf an Außerklinischer Intensivpflege vor allem im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Atemfunktion und einer kontinuierlichen Überwachung der Vitalparameter.
Dass Noah nach den Weihnachtsferien dennoch wieder zur Schule gehen konnte, verdankt er dem Pflegedienst, der sich aus Kulanz und um ihn und seine Familie zu entlasten, im Januar noch um ihn kümmert. Ab dem 3. Februar endet aber auch das. „Dann kann Noah nicht mehr zur Schule“, sagt seine Mutter, Nadine Hennen, mit spürbarer Verzweiflung.
Zwischenzeitlich hat sie sich gemeinsam mit ihrem Sohn die nächstbeste Einrichtung als Alternative für die Gesamtschule Hünxe angesehen. Aber auch an der Christoph-Schlingensief-Schule, einer Schule für körperbehinderte Kinder, ist Noah fehl am Platz. Unter anderem, weil auch an dieser Schule eine Pflegekraft absolute Voraussetzung wäre, da das Personal weder mit dem Broviac-Katheter noch mit dem Stoma oder den Betäubungsmitteln umgehen darf, die Noah täglich benötigt.
Rechtsstreit steht noch am Anfang
Gegen den Entschluss der AOK hat Nadine Hennen rechtliche Schritte unternommen und ihre Anwältin beim Sozialgericht Duisburg ein Eilverfahren eingeleitet – gegen das die AOK Widerspruch einlegte und auf welches das Gericht schnell reagierte. Noahs Mutter hatte mit einer Gerichtsverhandlung gerechnet und damit, „dass es eine Gerichtsverhandlung geben würde, bei der man unsere Situation genauer beleuchtet und sich auch meine Seite der Geschichte anhört.“ Das ist jedoch bei einem gerichtlichen Eilantrag nicht der Fall. Das Eilverfahren unterscheidet sich vor allem durch seine Kürze von einem Klageverfahren. Im vergangenen Jahr betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer für Klagen am Sozialgericht Duisburg 14,8 Monate – die von Eilverfahren 1,6 Monate.
Während das Gericht im Klageverfahren vom Anspruch des Klägers überzeugt sein muss, genügt es bei einem Eilverfahren, wenn der Anspruch „überwiegend wahrscheinlich“ ist. Allerdings muss neben dem Anspruch auch eine besondere Eilbedürftigkeit belegt werden. Anders als bei Klageverfahren findet in Eilverfahren in der Regel keine mündliche Verhandlung statt, sondern die Entscheidung ergeht durch Beschluss im schriftlichen Verfahren. Wie das Sozialgericht Duisburg der Anwältin von Frau Hennen auf dem Schriftweg mitteilt, sei dem Gericht aus der bisherigen Aktenlagen nicht glaubhaft klargemacht worden, worin lebensbedrohliche Situationen in Noahs Alltag bestehen könnten.
Wegen Milchzahn: „Es war alles voller Blut“
Dabei ist es erst am vergangenen Samstag zu einer lebensbedrohlichen Situation für Noah gekommen. Nachdem er einen Milchzahn verloren hat – etwas, was normalerweise nicht der Rede wert wäre – wäre er in der Nacht darauf wegen der Blutgerinnungsstörung, an der er leidet, beinahe verblutet. „Es war alles voller Blut – ich dachte, er hätte sich den Broviac-Katheter herausgerissen“, erinnert sich seine Mutter an den Schreckensmoment. Mit Blaulicht wurde der Junge ins Josef Hospital nach Krefeld gefahren, wo er blutungsstillende Medikamente bekam. Und es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. In der Vergangenheit hat Noah schonmal wegen des herausgerissenen Katheters gefährlich viel Blut verloren. „Die Ärztin in Krefeld hat gesagt, wäre ich nicht um zwei Uhr nochmal in sein Zimmer gegangen, um das Fenster zu schließen, wäre er bis zum Morgen verblutet.“
Nadine Hennen solle sich nun um eine häusliche Krankenpflege-Verordnung bemühen, die ihr Hausarzt ausstellen könne. Dann wäre – sofern sich eine Pflegekraft für diese Aufgabe findet – medizinische Begleitung in der Schule gesichert. Das gilt jedoch ausschließlich für die Zeit, in der Noah in der Schule ist, nicht jedoch für den Fall, dass er krank wird oder beispielsweise für die Schulferien. Einen Pflegedienst zu finden, der sich so um Noahs Pflege kümmern kann, wird vermutlich schwierig. Nadine Hennen fürchtet die neuerliche Suche nach einer geeigneten Pflegekraft, die schon in der Vergangenheit zur Odyssee wurde.
AOK äußert sich nicht zum laufenden Verfahren
„Noah ist ein nervliches Wrack“, sagt Nadine Hennen. „Er weiß wie schlecht es um ihn steht, macht sich Sorgen um mich und darum vielleicht bald nicht mehr zur Schule gehen zu können.“ Die Art und Weise, wie mit seinem Fall umgegangen werde, fühle sich wie eine Bestrafung für sein ohnehin schon schweres Schicksal an. Der Schulbesuch ist für Noah eine Ablenkung von seiner Krankheit – ein Stück Normalität in einem alles andere als normalen Leben für einen zwölfjährigen Jungen.
Und bisher ist nichts entschieden, da das Verfahren noch läuft. „Bei einer Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren handelt es sich um eine Entscheidung auf erster Instanz, die – sofern der Beschwerdewert erreicht ist – von dem Landessozialgericht NRW (zweite Instanz) überprüft werden kann, wenn Antragsteller oder Antragsgegner Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen“, erklärt Kirsten Weis, Richterin und Pressesprecherin am Sozialgericht Duisburg.
Von Seiten der Versicherung wurde auf eine Stellungnahme zu Noahs Fall verzichtet. „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns mit Blick auf das laufende Verfahren und die in Kürze anstehende Entscheidung des Gerichts zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich äußern können“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg.