Ruhrgebiet. Nach dem Attentat in Solingen fordern viele ein schärferes Messerverbot. Aber das allein wird nichts bringen. Es braucht neue Ideen.
Die Innenministerin will es, führende Politiker aller Parteien wollen es, über drei Viertel der Deutschen befürwortet nach Umfragen ein schärferes generelles Messerverbot. Nur noch Klingen bis sechs Zentimetern Länge sollen erlaubt sein, schlägt Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vor. Aber bringt das was? Ein Messer müsste ja erst mal gefunden werden bei einer Kontrolle. Abgesehen von den Kapazitäten der Polizei – ohne eine Reform der Regeln für Waffenverbotszone hat diese gar nicht erst die Möglichkeit in größerem Umfang zu kontrollieren. Oder doch?
Die Polizei im Land schaut auf Dortmund. Dort haben die Kollegen vor kurzem Messerverbote in großer Zahl verhängt. Rund 400 Personen aus Dortmund und Lünen hat die Polizei identifiziert, die für ein Waffentrageverbot infrage kommen. Sie alle sind Straftäter, von denen eine konkrete Gefahr ausgehen könnte. Mitführverbote sind nicht neu, aber noch nie hat eine Polizeibehörde in NRW und wahrscheinlich auch in Deutschland dieses Instrument so massiv und systematisch angewendet – denn das ist sehr arbeitsintensiv. Die Dortmunder Initiative könnte dennoch „zu einer Blaupause für andere Städte werden“, sagt Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Es könnte landesweit zum Einsatz kommen.“
Angriffe mit Messern haben stark zugenommen, um knapp die Hälfte in 2023. Auch gegenüber 2019, dem ersten Jahr der gesonderten Auswertungen zu Stichwaffendelikten, bedeutet die neue Zahl von rund 6200 Fällen einen Höchststand (plus 7 Prozent). Polizisten und Experten sind besorgt, auch weil gerade Jugendliche öfter Messern mitführen - und auch einsetzen.
„Das Messertragen ist auch ein herausragendes Thema in der Öffentlichkeit“, erklärt Mertens. „Oft haben wir es mit Wiederholungstätern zu tun. Und die Bürger fragen sich dann: Wie kann es sein, dass diese Person, die bereits bekannt ist, wieder eine Straftat verübt. Bei diesem Thema dürfen Gegenmaßnahmen keine Frage der Ressourcen sein. Es ist eine Frage der Schwerpunktsetzung ... Wenn eine Waffe mitgeführt wird, besteht immer die Gefahr, dass sie benutzt wird. Ich finde es richtig, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das einzudämmen. Auch darum ist das Dortmunder Modell extrem interessant, absolut schlüssig und nachvollziehbar. Man sollte genau beobachten, wie es sich entwickelt.“
Hohe Hürden für Verbotszonen
Aufmerksamkeit ist den Dortmundern gewiss, auch weil Polizisten und Lokalpolitiker in vielen Städten unzufrieden sind. Sie würden gerne Waffenverbotszonen einrichten, in denen das Tragen von „erlaubnisfreien Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen“ verboten ist: Äxte, Hämmer, Baseballschläger, was die Klientel so dabeihat. Auch darf die Polizei in einer Verbotszone ohne Anlass kontrollieren und muss nicht alles dokumentieren. Um das Schweizer Taschenmesser muss sich in der Regel niemand sorgen, Klingen bis vier Zentimeter Länge bleiben erlaubt.
Allerdings müssen an einem Ort wiederholt schwere Straftaten begangen worden sein, um ihn zur Verbotszone zu machen – und die Prognose muss düster ausfallen. Es scheint nicht viele Flecken in NRW zu geben, auf die dies zutrifft: Nur drei Waffenverbotszonen sind derzeit dauerhaft eingerichtet (Düsseldorfer Altstadt, Kölner Ringe und die Zülpicher Straße, ebenfalls in Köln). Alle weiteren Verbotszonen sind befristet auf wenige Tage, zum Beispiel an Hauptbahnhöfen. Man könnte besser von „Verbotsaktionen“ sprechen.
Der Solinger Angriff erinnert an den Anschlag in Mannheim Ende Mai. Hätte der Täter dort sich um ein Messerverbot geschert? Offenbar nicht. Der Mannheimer Marktplatz, wo er an einem Freitag bei einer islamkritischen Kundgebung zustach, liegt schließlich in einer Waffenverbotszone. Allerdings gilt diese nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Tagen. Am Freitagabend um 20 Uhr wäre sie in wieder Kraft getreten, ein paar Stunden nach dem Anschlag.
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Ist ein generelles Messerverbot möglich?
Dem Ruf nach einfacheren Voraussetzungen für Waffenverbotszonen erteilt Polizeigewerkschafter Mertens (befragt vor dem Solinger Anschlag) eine Absage. „Die Hürden haben in unserem Rechtsstaat einen Sinn. Und es ist ja möglich, bei Bedarf Waffenverbotszonen einzurichten. Wir sollten dieses Instrument ebenso wie die Trageverbote nutzen. Wir könnten natürlich in Deutschland das Waffengesetz ändern und das Tragen von Messern generell verbieten. Aber dann müssten wir auch den Kontrolldruck erhöhen. Das wäre ein ganz anderer Ansatz.“ Und natürlich brächte er eine Reihe von praktischen Schwierigkeiten mit sich, etwa die Abgrenzung zwischen verbotenen Messern und erlaubten, wie etwa Kochmessern.
Die Stadtspitze von Essen etwa versucht schon länger, Waffenverbotszonen anzustoßen an „bekannten Treffpunkten“ – wohl wissend, dass die Polizei keinen Ort als geeignet einstuft. Mit anderen Worten: Straftaten mit Messern oder andere schwere Straftaten werden in Essen – wie in Dortmund – nicht geballt begangen, sondern verteilen sich über das Stadtgebiet. Man ist dennoch „weiter im Gespräch“, heißt es. Eben weil die Erfolgsaussichten von Waffenverbotszonen so bescheiden sind, lässt der Dortmunder Vorstoß aufhorchen.
Die meisten Straftäter sind jung
„Auch wir beim Polizeipräsidium Essen befassen uns mit der immer häufiger festzustellenden Problematik, dass Messer bei Tatbegehungen verwendet werden“, erklärt Sprecher Thomas Weise. „Im besonderen Fokus stehen dabei junge Tatverdächtige ... Bei der Erarbeitung von Strategien spielen auch Best-Practise-Beispiele eine Rolle. So werden wir uns natürlich auch die Erfahrungen der Dortmunder Kollegen anschauen und in unsere Bewertung einfließen lassen.“ Gelsenkirchen ist ebenfalls zuversichtlich. Hier hält die Polizei individuelle Messerverbote für „ein weiteres, gutes Instrument“, das „ergänzend sehr sinnvoll sein“ kann – auch wenn es „personalintensiv und in der Umsetzung herausfordernder“ ist.
Kann dies ein Modell für das ganze Land werden? Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums erklärt: „Die Kontrollen der Adressaten der Mitführverbote sind personalaufwändig und auch in der Logistik herausfordernd. Insofern ist von jeder Behörde, die entsprechende Grundverfügungen erlässt, auch ein sachgerechtes Kontrollkonzept zu fordern.“ Die Polizei Dortmund antwortet auf die Frage nach dem Arbeitsaufwand, dass es für eine genaue Kalkulation zu früh sei. Man habe die Aufgabe, gefährliche Entwicklungen wie die zunehmenden Gewaltstraftaten mit Messern zu erkennen und die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. „Das bedeutet, dass die Polizei ihre Ressourcen immerwährend bündelt, um solche Schwerpunkte bearbeiten zu können.“
Viel Arbeit für die Taskforce
Die Dortmunder „Taskforce“ musste zunächst die Personen identifizieren, die überhaupt infrage kommen – und prüft nun jeden der rund 400 Einzelfälle. Denn die Gründe müssen rechtssicher und individuell dargelegt werden in der Verfügung und sie müssen verhältnismäßig sein – so haben es bereits Gerichte in anderen Bundesländern entscheiden. Ein Betroffener hat zum Beispiel mit einem Holzstock zugeschlagen, Pflastersteinen auf Menschen geworfen, hat in der Bande andere Menschen erpresst und dabei auch ein Messer benutzt und einiges mehr. Prognose: Wiederholungstäter. Einen Automatismus gibt es allerdings nicht, erklärt die Polizei Dortmund: Drei Straftaten bedeuten nicht automatisch ein Trageverbot.
Schon dieser Teil ist aufwändig, doch nachdem die Polizei die rechtlich vorgeschalteten Anhörungen verschickt hat, stellt sie die Verfügungen auch persönlich zu, um Gefährderansprachen zu halten. Da Jugendliche (unter 21 Jahren) im Fokus stehen, versuchen die Beamten auch mit den Eltern zu reden – in hunderten von Fällen. Aber das alles hilft wenig ohne Kontrollen. Auch die sollen verstärkt erfolgen, begleitet von erhöhter Präsenz und Ermittlungen im Hintergrund.
So gab es in Dortmund im vergangenen Jahr „vier Schwerpunkteinsätze zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“, der Wachdienst spricht auffällige Jugendliche an, aber auch die „strategische Fahndung“ kommt zum Einsatz, also die gezielte Kontrollen von Personen und Fahrzeugen. Die Polizei nennt ein Beispiel: Mehrere Raubstrafdaten und Körperverletzungen gingen auf das Konto eines Kindes im Stadtteil Scharnhorst. Als der Junge 14 wurde, nahm die Polizei ihn fest. Aus ihrer Sicht „ein klares Zeichen an Jugendgruppen, die in dem Stadtteil wieder auffielen. Hatte es in Scharnhorst vor der Festnahme sieben Raubdelikte durch diese Klientel gegeben, war es im restlichen Jahr nur noch eins.“
Ein Trageverbot gilt zunächst für drei Jahre. Beim ersten Verstoß werden 250 Euro Strafe fällig, beim zweiten 500, danach droht „Erzwingungshaft“. Aber was, wenn eine in Dortmund mit Messerverbot belegte Person nun in Gelsenkirchen auffällt? – Momentan nichts. Rechtlich „dürfte ein Verbot wohl auf das ganze Land bezogen werden können“, heißt es aus dem Innenministerium. Pilotgebiet sind allerdings zunächst nur Dortmund und Lünen. „Die Messer müssen von der Straße!“, erklärt der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange, der die Initiative angestoßen hat. „Dass viele meinen, man müsse jetzt ein Messer wie sein Handy mit sich führen, führt in eine gefährliche Spirale.“