Berlin. Immer wieder versuchen Forscher herauszufinden, wieviel Sex in einer Beziehung normal ist. Dabei ist eine andere Frage viel wichtiger.
- Während eine Beziehung über die Jahre immer enger wird, nimmt die Leidenschaft meist parallel dazu ab
- Paare schlafen dann viel weniger miteinander als noch zu Anfang
- Wie viel (oder wie wenig) Sex ist eigentlich normal?
Beziehungen sind dynamisch und ganz unterschiedlich. Was für ein Paar funktioniert, kann in einer anderen Partnerschaft eine rote Linie darstellen. Genauso ist es mit körperlicher Nähe und Sex. Darum vorab: Wieviel Sex in einer Ehe oder Beziehung normal ist, lässt sich kaum bestimmen. Dennoch gibt die Häufigkeit der körperlichen Nähe durchaus Aufschluss darüber, ob eine Beziehung gesund ist.
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An der Frage, wieviel Sex normal ist, haben sich bereits viele Forschende versucht. Manche davon haben Studienteilnehmende über Jahre beobachtet und zu ihrem Sexualverhalten befragt, um daraus eine Norm oder ein durchschnittliches Sexleben abzuleiten.
Studie: Menschen haben immer weniger Sex – aus diesem Grund
So haben Forschende aus Großbritannien für eine der größten Sexualstudien der Welt 34.000 Männer und Frauen zwischen 16 und 44 Jahren über einen Zeitraum von 20 Jahren begleitet. Dabei haben sie herausgefunden, dass alle Altersgruppen – mit Ausnahme von Männern zwischen 16 und 24 Jahren – weniger Sex hatten als noch zu Anfang des Studienzeitraums.
Im Befragungsjahr 2012 hatten jeweils rund 29 Prozent beider Geschlechtsgruppen angegeben, im Vormonat gar keinen Sex gehabt zu haben. Die Chance auf Sex soll dabei mit dem Alter und dem Beziehungsstatus gesunken sein: Sowohl Teilnehmende ab 25 als auch verheiratete Personen hatten generell weniger Sex als junge Singles.
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Aber auch das generell beschleunigte Leben machten die Forschenden für den Rückgang des Sex verantwortlich. Zu dem Schluss kam auch eine Studie aus dem Jahr 2017, nach der die Teilnehmenden durchschnittlich 54 mal Sex im Jahr hatten – also etwa ein Mal in der Woche.
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Sex hat einen wichtigen Vorteil für die Beziehung
Doch wie wirkt sich das auf die jeweiligen Partnerschaften aus? Fest steht: Sex ist in einer Beziehung nicht nur ein netter Zeitvertreib, sondern auch ein wichtiger Teil der emotionalen Bindung. "Nähe und Bindung sind menschliche Bedürfnisse", erklärt der New Yorker Psychologe Sam Hafeez gegenüber "NBC".
Besonders in einer Langzeitbeziehung sei es wichtig, die Verbindung über die körperliche Nähe immer wieder neu zu festigen, so Hafeez: "Die Botenstoffe, die dabei im Gehirn freigesetzt werden, vertiefen die Bindung." Gleichzeitig kann eine solche Bindung auch durch anderen Körperkontakt hergestellt werden – etwa Umarmungen, Kuscheln, Küsse.
Wieviel Sex in einer Beziehung "normal" ist, hängt also von den individuellen Bedürfnissen des Paares ab; eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht. Das bedeutet aber nicht, dass ausbleibender Sex nicht auch zum Problem werden könnte.
Beziehung: In diesen Fällen ist fehlender Sex ein Problem
Denn die fehlende Lust auf Sex kann auch ein Ausdruck anderer Unregelmäßigkeiten sein – etwa der körperlichen oder mentalen Gesundheit, einem zu hohen Stresslevel oder einem ungesunden Lebensstil. Fehlender Sex in einer Beziehung kann aber auch aus einem generellen Problem mit Nähe resultieren. Daraus kann sich eine Beziehungsdynamik entwickeln, in der sich ein Part immer weiter zurückzieht, während beim anderen parallel dazu das Bedürfnis nach Nähe wächst.
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Manchmal spiele dabei Bindungsängstlichkeit eine Rolle, erklärt die Psychologin Stefanie Stahl: "Gerade wenn [eine Person] eher auf dem bindungsängstlichen Pol unterwegs ist, geht das in der Regel nicht nur mit dem Verlust von Lustgefühlen einher, sondern öfter auch mit dem Verlust von Liebesgefühlen", sagt Stahl in ihrem Psychologie-Podcast "So bin ich eben".
Oft käme dann die Frage auf, ob der vermeidende Part den Partner oder die Partnerin überhaupt noch will – gerade, weil diese in solchen Fällen auch als invasiv wahrgenommen wird. Stahl rät in solchen Fällen dem bindungsängstlichen Part dazu, sich sein eigenes Innenleben anzuschauen und eine Entscheidung zu treffen: Warum will ich keinen Sex? Will ich diese Beziehung? In einem zweiten Schritt müsse die Entscheidung mit dem Partner oder der Partnerin kommuniziert werden.
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Was Ihr Sexleben über Ihre Beziehung verrät
Wenig oder kein Sex ist also nur dann "normal" – also: nicht besorgniserregend – wenn beide Parts der Beziehung keine Lust haben oder die Gründe zusammen ausgehandelt und abgesegnet wurden. Wie hoch eine Person Sex priorisiert, ist individuell unterschiedlich. Genauso ist es auch für jede Beziehung anders.
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So kann Sex durchaus Aufschluss darüber geben, ob eine Partnerschaft funktioniert, ob darin emotionale und körperliche Nähe existieren und ob beide offen und ehrlich miteinander kommunizieren, wenn dem nicht so ist. Sind Paare folglich also glücklicher, wenn sie regelmäßig miteinander Sex haben? Vielleicht.
So oft haben Menschen in glücklichen Beziehungen Sex
Forschende aus Kanada wollen in einer Studie herausgefunden haben, dass ein Mal Sex in der Woche optimal für das Glück von Beziehungen sei. Gleichwohl seien Paare nicht glücklicher gewesen, wenn sie mehrmals in der Woche Sex hatten. Wer allerdings seltener intim wurde, habe mehr Frust in der Beziehung erlebt.
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Ob all das wirklich darauf zurückzuführen ist, dass die Paare häufiger oder weniger oft Sex hatten, ist fraglich: Selbst die Forschenden hoben hervor, dass eine Korrelation zwischen Sex und Glück erst näher untersucht werden müsse. Ganz zu schweigen von der Kausalität – also ob der Sex das Glück überhaupt verursacht hat.
Wenn sich Menschen in einer Partnerschaft also fragen, wieviel Sex normal ist, eröffnen sich wahrscheinlich mehr neue Fragen als Antworten. Stattdessen sollten Sie sich fragen, ob sie mit Ihrem Sexleben zufrieden sind. Und zwar unabhängig davon, wie oft ihr Nachbar, ihre Kollegin oder ein fremder Mensch im Internet Sex haben.