Was die Kirche vom Festival Parookaville lernen kann
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Weeze. Theologe Heuvelmann hat viele religiöse Strukturelemente bei Parookaville entdeckt - wie das christliche Motiv: “Du bist frei und wirst geliebt.“
Zum siebten Mal wird vom 21. bis 23. Juli die Party-Stadt Parookaville ihre Pforten öffnen. Und zum siebten Mal wird das Festival auf dem Gelände des ehemaligen Militärflughafens Weeze wohl ausverkauft sein. Täglich tanzen und feiern dort 75.000 Gäste und machen Parookaville damit für ein Wochenende zur größten Stadt im Kreis Kleve. Die Faszination so vieler Menschen für das größte Event für elektronische Musik in Deutschland weckt auch Neugier: So hat sich der Theologe Maximilian Heuvelmann zusammen mit dem Münsteraner Weihbischof Rolf Lohmann vor Ort ein Bild von der Atmosphäre gemacht. Seitdem beschäftigt sich Heuvelmann mit der Frage, was die Kirche von einem Festival mit so großer Strahlkraft lernen kann.
Klingt auf den ersten Blick etwas weit hergeholt, aber der Theologe entdeckte einige religiöse Strukturelemente bei Parookaville: „Auf der Mainstage ist das DJ-Pult der Altar. Die Leute reagieren auf den DJ mit einer gewissen Gestik – ähnlich wie die Besucherinnen und Besucher einer Messe auf den Priester. Und abends wird die Mainstage durch die Licht- und Pyro-Effekte zu einer Kathedrale des Lichts“, beschreibt Heuvelmann.
Parookaville: "Wie Weihnachten und Ostern in einem"
Das seien allerdings nur die äußeren Merkmale - die Analyse des Theologen geht tiefer: Die Art der Gemeinschaft bei Parookaville und die für jeden verständliche Sprache, in der die Story des Festivals erzählt wird, hebt der Emmericher als besondere Merkmale hervor. Für den Einlass erhält man kein Ticket sondern ein Visa – dadurch werden die Gäste zu Bürgerinnen und Bürger der Stadt und können sich jedes Jahr am dortigen Rathaus einen Stempel in ihrem persönlichen Parookaville-Pass geben lassen.
„Die Leute leben ein ganz Jahr auf dieses eine Wochenende in dieser Parallelwelt hin – für sie ist das Festival wie Weihnachten und Ostern in einem“, beschreibt Heuvelmann den Status. So entstehe eine enge Form von Gemeinschaft – aber aus Sicht des Theologen mit einem großen Unterschied zur Kirche: „Die Entscheidung zu Parookaville zu gehen ist freiwillig gewählt. Die Taufe in der Kirche ist in der Regel eine Entscheidung, die die Eltern für ihre Kinder getroffen haben. Das ist – ganz hart formuliert – eine Zwangsgemeinschaft, die heute auch nicht mehr trägt, weil die Leute mit den Füßen darüber abstimmen und nicht mehr so oft in die Kirche gehen oder gleich ganz austreten.“ Eine Entwicklung, die derzeit immer mehr an Fahrt aufnimmt: Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 in Deutschland aus der Kirche ausgetreten – so viele wie noch nie zuvor in einem Jahr.
Theologe: "Parookaville schafft eine Sinn-Tradition ohne Normierung"
Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig – mit Blick auf Parookaville gibt Heuvelmann allerdings zu bedenken: „Eine ganz große Stärke des Festivals ist ein christliches Motiv: Du bist frei und wirst geliebt. Damit schafft Parookaville eine Sinn-Tradition ohne Normierung. Ob man queer, bi oder was auch immer ist, ist überhaupt nicht relevant für Parookaville. Und was tut die Kirche? Wir können Bomben, Panzer und Autos segnen, aber nicht alle Menschen, die sich lieben. Die Kirche hat einen zu normierenden Blick“, befürchtet der 30-jährige Doktorant an der Uni Münster.
Derweil gibt es in Parookaville eine Kirche, in der die sexuelle Gesinnung keine Rolle spielt. Einmal im Jahr vollzieht dort die Weezer Standesbeamtin Birgit Thönnesen sogar eine echte Hochzeit. 2019 war es eine gleichgeschlechtliche Ehe-Schließung. „Hier finden die Brautpaare einen würdigen Rahmen und lassen sich gleichzeitig von dem Gefühl des Festivals voller Liebe, Glückseligkeit und positivem Wahnsinn inspirieren“, beschreibt die 51-Jährige die Atmosphäre. Im ursprünglichen Sinne eines Gotteshauses spiele die Parookaville-Kirche bei den Besuchern allerdings keine Rolle.
Eine Kirche ist fester Bestandteil der Festival-Stadt in Weeze
Dass es auf einem säkularen Fest trotzdem eine Kirche gibt, die neben Rathaus, Postamt und Gefängnis zu den wichtigen Elementen der fiktiven Stadt Parookaville gehört, findet Heuvelmann aus theologischer Sicht hochinteressant. Das Raum-Konzept ähnele mit dem Altar einer normalen Kirche, aber im Gegensatz zu einer kirchlichen Messe kommen und gehen die Leute, wann und wie sie es wollen. „Ich habe den Eindruck, die Steifheit der Kirche muss aufgebrochen werden, damit Dynamik entsteht und man sich überhaupt traut und Lust hat, ein Gotteshaus zu betreten.“ Eine Lehre, die Heuvelmann aus der Parookaville-Kirche zieht: „Mach die Türen auf, verurteilt niemanden, der nur einen Teil der Messe dableibt.“
An der Art der Vermittlung müsse die Kirche ebenso arbeiten: „Die religiöse Sprache wird nicht verstanden. Wenn über Auferstehung und Sünder geredet wird, können das viele Menschen nicht nachvollziehen.“ Dazu verweist der Theologe auf das Lied „Tired“ des DJs Alan Walker, der auch schon mehrfach in Weeze war. Dort gibt es die Vers-Zeile „Lass mich dich lieben, wenn dein Herz müde ist.“ „So eine Metapher kenne die Kirche auch“, betont der Theologe, „aber das Evangelium, was für mich die beste Botschaft der Welt ist, zieht nicht, weil Vermittlungsform und Strukturen ins Leere gehen.“
Theologe fordert von der Kirche einen Haltungswechsel
Dabei blickt Heuvelmann auf die Gottesdienste: „Die Liturgie ist sehr priester-zentriert. Am wichtigsten ist, dass die Messe gültig gefeiert wird, wodurch dem Priester eine Form von Immunisierung zukommt. Ein DJ muss Leistung bringen, sonst laufen ihm die Zuhörer weg – dieses Qualitäts- und Beurteilungsmerkmal gibt es so deutlich bei den von der Kirche eingesetzten Priestern nicht.“
Der Theologe fordert von der Kirche einen Haltungswechsel: „Die Kirche kann von Parookaville lernen, dass sie Menschen in ihrem Leben ernst und wahr nimmt, ohne zu sehr vorab zu normieren. Wir müssen Privilegien abgeben sowie sichere Orte der kirchlichen Verkündung in Teilen aufgeben und dorthin gehen, wo die Menschen sind,“ lautet das Fazit von Heuvelmann. Weihbischof Lohmann war jedenfalls sehr beeindruckt von der Stimmung auf dem Festival: „Ich spüre ein ganz starkes Gefühl von Gemeinschaft“, sagte Lohmann, der sich seit einem Jahr ebenfalls zu den Bürgern von Parookaville zählen kann – samt Pass mit Foto.
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