Essen/Dortmund/Köln. Vom Musiklehrer zur EM-Kultfigur: Saxofonist André Schnura spricht über seine erste Tour, den Hype und warum einige Hochzeitspaare profitieren.
Er meditiert täglich 20 Minuten, lebt mit seinem Kater an einem Waldstück bei Düsseldorf, ein Kumpel managt seine Tour. André Schnura, bekannt als „der Typ mit dem Saxophon“, wurde zum Phänomen der EM in Deutschland. Drei Monate nach seinem Hype spricht der 31-Jährige bei einem Spaziergang durch den Wald über seine erste Tour und die bleibenden Eindrücke der EM.
Über Nacht wird Schnura zur Kultfigur der Fußballparty, nachdem er seinen Job als Musiklehrer verloren hat. Sein Hype beginnt mit Straßenauftritten in den Fanzonen der Spiele. Zu Songs von Nena, Shakira und Culcha Candela flippt eine hüpfende Masse um ihn herum aus. Sein Saxofon klingt aus der Menge heraus. Die Videos von dem Mann mit Sonnenbrille und Zigarette hinter dem Ohr, der sein mattschwarzes Saxofon auf einer kleinen Soundbox spielt – die er sich auch mal mit Ski Aggu in Dortmund teilt – gehen viral. Mittlerweile folgen ihm über 800.000 Menschen auf Instagram. Die Zigarette habe er vor einem Monat abgelegt, nachdem ein kleiner Junge gesagt hatte, er wollte jetzt auch mit dem Rauchen anfangen.
André Schnura: Das Unperfekte machte den Charme aus
Seine Auftritte waren oft chaotisch – er stolperte von der Box oder seine Technik fiel aus. „Mit einem Lautsprecher ist es für die Leute vorne viel zu laut und die hinten hören nichts mehr.“ Mehrere Male sei sein In-Ear ausgefallen, Schnura hörte nicht, was er spielte. „Da stirbt das Musikerherz.“ Doch gerade das Unperfekte machte den Charme aus. „Das Schönste waren immer die Leute, die sich in den Armen lagen“, reflektiert er. Für ihn gehe es in der Musik darum, Menschen zu verbinden.
„ Das Schönste waren immer die Leute, die sich in den Armen lagen.“
Doch fast wäre alles anders gekommen. Beim Eröffnungsspiel in München läuft einiges schief. Erst kurz vor Beginn kommt er an, erste Anläufe mit dem Saxofon misslingen. Polizisten bitten ihn aufzuhören, eine Frau rempelt ihn an. „Die Situationen waren nicht ideal“, sagt Schnura rückblickend. Als er nach dem Sieg gegen Schottland bereits auf dem Rückweg ist, gelingt ihm schließlich ein letzter Versuch. Um ihn herum ist alles dunkel, er im Scheinwerferlicht. „Plötzlich waren da 300 Leute.“
Als er das Video später anschaut, weiß er: „Wenn ich das hochlade, wird es abgehen.“ Drei Tage zögert er. „Ich wollte, dass der Fokus nicht auf mir liegt, sondern auf dem, was die EM ausgemacht hat“, sagt er bescheiden. Schließlich lädt er es hoch, die Reaktionen sind überwältigend. „Das war komplett surreal“, erzählt er. „Auf Social Media war zwar alles voll von mir. Auf der Straße hat mich aber trotzdem niemand erkannt.“ Die Sonnenbrille, sein Markenzeichen, ist sein Schutzschild.
Mit zwölf Jahren beginnt André Schnura Saxofon zu spielen
Sein Erfolg kam nicht aus dem Nichts: Mit zwölf Jahren findet er das Saxofon seines Vaters und fängt an zu spielen, erzählt er auf dem Waldweg, den er schon als Kind entlang gelaufen ist. Er nimmt Unterricht und hat mit 14 seinen ersten bezahlten Auftritt, bekommt 30 Euro. „An diesem Tag“, erinnert er sich, „haben mein Freund Marius und ich gesagt: Lass uns das Saxofon wieder cool machen.“ Später studieren beide in den Niederlanden an der ArtEZ Hochschule in Arnheim Jazz- und Pop-Saxofon und gründen 2018 das Unternehmen Stalaxy, das mattschwarze Saxofone anbietet.
Zehn Jahre lang spielt er auf Hochzeiten – mehr als 350 Veranstaltungen. Sechs Jahre arbeitet er als Musiklehrer, kurz vor der EM verliert er den Job. Die Idee zum Auftritt bei dem Turnier hat er bereits ein Jahr zuvor, als er in einem Kölner Stadtpark spielt. „Innerhalb von 20 Minuten waren 300 Leute da.“ Am nächsten Tag kommen sie wieder.
Was hat sich seit der EM verändert?
Drei Monate nach dem EM-Hype habe sich sein Leben kaum verändert. „Das Einzige, was anders ist, ist, dass ich viel unterwegs bin und immer Nachbarn fragen muss, ob die sich um meinen Kater kümmern können“, sagt er lachend. Nach einem Unfall zog der bekannteste Saxofonist Deutschlands von der Großstadt nach Haan, wo er mit seinem Kater lebt, den er in Kroatien aus einer Mülltonne gerettet hat.
„Das Einzige, was anders ist, ist, dass ich viel unterwegs bin und immer Nachbarn fragen muss, ob die sich um meinen Kater kümmern können.“
Zurzeit habe er teilweise elf Auftritte an einem Wochenende – von Firmenevents über Konzerte von dem Rapper Finch bis zu Wacken. Aber auch die Hochzeiten, die er vor dem Turnier angenommen hat, spiele er noch. „Die haben meinen Auftritt jetzt für einen schmalen Taler bekommen.“ Bei dem Trubel helfe es, in einem Dorf zu wohnen. „Musik ist wie eine Sucht“, erklärt er, während der Wind durch die Laubdächer weht. „Weil wir die Stille im Alltag nicht aushalten können, hören wir Musik.“ Doch Ruhe sei wichtig. „Du brauchst Langeweile im Leben, um frei zu denken.“
Und gleichzeitig muss er nachziehen. Während seine Videos mindestens zehn Millionen Aufrufe hatten, sind es mittlerweile im Schnitt eine Million. Enttäuscht sei er nicht. „Der EM-Hype ist weg und jetzt muss ich kämpfen, um mir eine Musikkarriere aufzubauen.“ Druck verspüre er trotzdem nicht. „Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass ich das, was ich vorher gemacht habe, wieder mache. Daran ist nichts auszusetzen“, erzählt er. Auch wegen dieser Bodenständigkeit feiern ihn seine Fans.
Im Oktober geht der EM-Saxofonist auf Tour
Im Oktober startet André Schnura seine Tour „Love Is The Answer“ in Hamburg. Insgesamt sind sieben Konzerte in ganz Deutschland geplant. Auf der Tour wird Schnura auf große Bühnen verzichten, setzt stattdessen auf die Nähe zum Publikum. „Ich möchte das Unmittelbare, das meine Auftritte während der EM so ansteckend gemacht hat, beibehalten“, betont er. Es gehe darum, Menschen zusammenzubringen, sei es Familien, Paare oder 16-Jährige mit ihren Freunden. Neben einem Resident-DJ (außer in Dortmund) wird es zwei Instrumentalisten geben. „Ich halte das puristisch.“
Eine „fette Anlage“ soll die technischen Probleme lösen, die es während anderer Auftritte gab. „Der Großteil des Konzerts wird eine komplette Party, bei der man zu bekannten Liedern abgeht. Aber ich hatte auch ein Leben vor der EM. Auf Hochzeiten habe ich Balladen gespielt, bei denen Menschen weinen mussten.“ Vielseitig soll es werden, „eine Mischung aus Party-Songs und persönlicheren Stücken.“ Inklusive eines Liedes von Travis Scott, so viel verrät er. Schnura arbeite auch an eigenen Liedern, möchte Hymnen schreiben, die das Publikum mitreißen – wie die Songs, die er während der EM gespielt hat.
„Der Großteil des Konzerts wird eine komplette Party, bei der man zu bekannten Liedern abgeht. Aber ich hatte auch ein Leben vor der EM. “
Ob es für die erste Tour auch ein uriger Club mit Platz für 300 Gäste getan hätte oder Schnura direkt die Tausender-Hallen füllt, wird sich in Kürze zeigen. In Dortmund tritt er am 11. Oktober im FZW auf, am 17. Oktober in der Stadthalle Köln. Tickets sind ab 39,90 Euro auf der Webseite von MPM Music erhältlich. Offen bleibt, ob er an seinem Markenzeichen, der Brille, festhält. „Sie schafft auch eine Distanz.“ Und genau diese möchte er eigentlich vermeiden.