Essen. Wenn selbst die Party-Metropole Berlin von „Clubsterben“ spricht, hat NRW erst recht ein Problem. Warum zwei Essener Clubs jetzt kooperieren.
„Das Clubsterben in Berlin erreicht wieder neue Dimensionen“, teilt das Netzwerk Berliner Clubs, die „Clubcommission“, mit. Von existenziellen Bedrohungen und Schließungen ist die Rede, die wirtschaftliche Prognose schlecht – und das in der Metropole der Clubszene. „Wenn die Berliner schon Probleme haben, ist es bei uns um ein Vielfaches schlimmer“, sagt der Essener Clubbetreiber Kay Shanghai. Immer weniger Besucherinnen und finanzielle Schwierigkeiten, damit kämpfen auch Spielstätten in NRW. „Viele Clubs blicken mit Sorgenfalten auf der Stirn in die Zukunft“, sagt Stephan Benn, Vorsitzender der Liveinitiative NRW, dem Verband der Clubs und Veranstalter (LINA).
„Selbst in den Clubs, in denen es gut läuft, ist die Situation schwierig.“
Ob Goethebunker, Oma Doris oder Freak Show, von Techno bis Jazz, von soziokulturellem Zentrum bis Musikbars, die hiesige Clubkultur habe mit schätzungsweise 400 bis 500 Spielstätten in NRW – die Benn übrigens von Discotheken abgegrenzt wissen will – einiges an Kulturprogramm zu bieten. Doch steigende Kosten, Fachkräftemangel, Umsatzrückgänge, niedrige Gewinnmargen und Bebauungs- und Lärmvorschriften machen auch vor Spielstätten keinen Halt. „Selbst in den Clubs, in denen es gut läuft, ist die Situation schwierig“, so die ernüchternde Bilanz von Benn. „Clubs werden verschwinden.“ Bislang seien auslaufende oder erhöhte Mietverträgen, bauliche, technische Mängel und Gentrifizierung Gründe für Schließungen gewesen. Das könnte sich bald ändern.
„Selbst in den Clubs, in denen es gut läuft, ist die Situation schwierig“
Warum geht es den Clubs so schlecht? Noch immer habe sich die Szene nicht vollständig von den Corona-Maßnahmen erholt. „Wenn wir viereinhalb Jahre zurückgehen, waren wir in einer Zeit, in der von heute auf morgen ein Punkt gemacht wurde“, erinnert sich Stephan Benn. „Clubs wurden als erste geschlossen und als letzte 2022 wieder geöffnet.“ Aushilfen und Fachkräften verließen die Branche. Nur Kredite, Darlehen und Coronahilfen hielten die Clubs über Wasser.
„Es wurde ein Boomerang geworfen, der nun zurückkommt“, sagt der LINA-Vorsitzende. Aktuell müssen sich viele Clubs externe – und teure – Arbeitskräfte suchen, die Kosten für Veranstaltungstechniker kletterten beispielsweise von rund 200 auf 350 bis 400 Euro – für kleine Clubs kaum bezahlbar. Auch Thekenpersonal war lange rar. Bis zur letzten Saison habe Arnesa Sisman daher selbst hinter der Bar gestanden, hatte kaum freie Tage. Mit nur 27 Jahren hat sie den Goethebunker in Essen-Rüttenscheid übernommen. Zwölf Jahre und hunderte exzessive Elektropartys später betreibt sie noch immer den Club im ehemaligen Luftschutzbunker.
„ Die Abrechnung mit den wirtschaftlichen Folgen von Corona ist noch nicht durch.“
Die finanzielle Situation spitzt sich zu: Kredite und Darlehen müssen zurückgezahlt werden, Zinsen und Tilgungen werden die Clubs noch das nächste Jahrzehnt verfolgen. „Die Abrechnung mit den wirtschaftlichen Folgen von Corona ist noch nicht durch.“ Für dringend notwendige Investitionen zum Beispiel in Technik, die gegenüber Hygienemaßnahmen das Nachsehen hatten, fehle schlichtweg das Geld. „Es ist viel liegen geblieben“, bedauert Benn.
Clubsterben NRW: Gäste können die steigenden Kosten nicht mittragen
Und während an der einen Stelle noch immer Geld abgezahlt wird, sind sämtliche Kosten gestiegen. Natürlich sei der erste Gedanke: Kosten sparen und Preise anheben. Doch auch das Besucherverhalten habe sich geändert. Durch Kriege und Inflation kämen weniger Menschen in die Clubs, sagt Benn: „Bei Kultur und Gastronomie wird gespart.“ Kay Shanghai, der bereits seit über 20 Jahren in der Club-Szene aktiv ist und sich selbst als „Dinosaurier“ bezeichnet, ist sich sicher: Höhere Preise für Eintritte und Getränke würden die Gäste nicht mittragen.
Für den Fall, dass der Abend nicht läuft wie erhofft, habe er einen Trick. „Wenn nur 40 Leute bei einer Band sind, gehe ich ganz nach vorne. Dann kann ich nicht sehen, wie viele Gäste da sind und habe das Gefühl, die Band spielt nur für mich.“ Der Mikrokosmos Club sei auch ein Ventil, eine Flucht aus dem Alltag. „Wir machen Kultur, die nicht an der Wand hängt“, so Shanghai und zieht an einer Zigarette.
Von Deichkind über Boy George bis DJ Koze: Clubs leben von ihrem Kulturprogramm
Doch auch sein Optimismus kann die Realität nicht ändern. Die aktuelle Situation mache es herausfordernder, ein anspruchsvolles Programm zu kuratieren, das die Gäste bezahlen. Denn wären die genannten Punkte nicht genug, reihen sich auch gestiegene Gagen, Reise- und Hotelkosten, in die Liste ein – sofern die Acts überhaupt noch touren. Hohe Tour-Kosten für Personal, Reise und Technik sowie die Tendenz zu Krankheitsfällen in der feucht-kalten Konzertsaison, die klassisch zwischen September und April liegt: Wer Tourneen plant und vorfinanziert, trägt ein Risiko, ein Ausfall bedeute Verluste im sechsstelligen Bereich. Acts verschieben ihren Fokus daher auf die Festival- und Open Air-Saison im Sommer.
Das treffe auf eine allgemeine Entwicklung, die Shanghai und Sisman in der Musikszene beobachten: Menschen verschreiben sich nicht mehr Musikclubs oder Künstlern, sondern feiern einzelne Singles. Und während viele kleinere Bands und Clubs kämpfen müssen, Tickets zu verkaufen, sind die Konzerte der Weltstars wie Taylor Swift binnen Sekunden ausverkauft.
Dabei spielen auch große Acts der Elektro- und Hiphop-Szene, die eigentlich Tausender-Hallen füllen, im Hotel Shanghai – Deichkind, Peaches, Ellen Alien, DJ Koze, Marc Almond, Boy George, T-Low und Clueso. Die Liste ist lang. Viele haben in kleinen Locations angefangen und kommen zurück, weil sie es lieben, nah am Publikum zu sein, die Intensität und Unmittelbarkeit zu spüren, erklärt Sisman. Genau das mache den Charme kleiner Clubs aus. Dafür sehen sie über die geringere Gage hinweg.
Clubs zurück aus der Sommerpause: „Frag in drei Monaten nochmal, wie es läuft“
Um diesen Charme zu erhalten, blickt Benn in die Zukunft: „Es ist gute Zeit, sich zu vernetzen, über Probleme zu reden und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir sind darauf angewiesen, uns am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen.“ Genau das machen Hotel Shanghai und der Goethebunker. „Früher“, erzählt Kay Shanghai, „war die Musikbranche wie ein Haifischbecken.“ Doch der Konkurrenzgedanke sei obsolet, denn alle haben die gleichen Sorgen, so Sisman. Die beiden Clubs teilen sich daher mittlerweile ein Büro, um Kosten zu sparen, sprechen ihr Programm ab, damit sie sich ergänzen und keine Gäste wegnehmen und planen gemeinsame Partyreihen wie „Passion du dancefloor“.
Beide Clubs sind seit Anfang September aus der Sommerpause zurück. „Ich hoffe auf eine gute Saison“, sagt Shanghai und freut sich auf Acts wie Haiyti am Samstag, 14. September, die er als „unangefochtene Rap-Queen“ bezeichnet, und vor zehn Jahren ihren ersten Auftritt außerhalb Hamburgs im Hotel Shanghai hatte.
„Der Hunger ist da, frag in drei Monaten nochmal, wie es läuft.“
Und auch Benn, der selbst Clubbetreiber in Köln ist, betont: „Die Grundstimmung ist: Das packen wir.“ Gleichzeitig häufen sich die Gründe, das Handtuch zu schmeißen. Auch Sisman habe zig Läden schließen sehen. Doch ihr Optimismus und die Leidenschaft für die Musik- und Clubszene überwiegen. „Wir versuchen einfach ein gutes Programm auf die Beine zu stellen“, sagt sie und blickt vorfreudig auf die Saison: „Der Hunger ist da, frag in drei Monaten nochmal, wie es läuft.“