Köln. Kochlöffel statt Drumsticks: Gustav und Georg von Tokio Hotel werben für Aldi und bekochen Fans. Sie sprechen über ihren Hype und neue Projekte.
Seit ihrem Durchbruch vor fast 20 Jahren ist die Band Tokio Hotel nicht mehr aus der deutschen Musiklandschaft wegzudenken. Der Song „Durch den Monsun“ lief 2005 im Radio rauf und runter. Bilder kreischender Fans gingen durch die Medien. Als Teenie-Band räumten die vier Magdeburger unzählige Preise ab, spielten weltweit Touren und verkauften Millionen CDs. Sei es die Beziehung von Tom mit Heidi Klum, der erfolgreiche Podcast „Kaulitz Hill“ oder zuletzt die Netflix-Doku „Kaulitz und Kaulitz“: Vor allem die Zwillinge Tom und Bill Kaulitz (34) sind häufig in den Schlagzeilen. Deutlich weniger im Rampenlicht stehen der Schlagzeuger Gustav Schäfer (35) und der Bassist Georg Listing (37). In einer aktuellen Werbekampagne von Aldi Süd wird ihr Image als „Beilage“ selbstironisch inszeniert, um für mehr Gemüse und Obst auf den Tellern zu werben.
Mit ihrem Restaurant „RoyAldi“, das am Montag, 22. Juli, einen Abend für Fans geöffnet hatte, tritt das rhythmische Rückgrat der Band aus dem Schatten ins Scheinwerferlicht, so die Geschichte der Kampagne. Unsere Redaktion hat mit den beiden gesprochen.
Ihr präsentiert euch in der Werbekampagne „Alles außer Beilage“ selbstironisch als „die Stars aus der zweiten Reihe“. Fühlt ihr euch wirklich als Bassist und Drummer übersehen, zumal Bill und Tom medial derzeit sehr präsent sind?
Georg: Ich glaube nicht, dass wir das negativ sehen. Wir haben die zweite Reihe in der Band bewusst gewählt und uns dahin entwickelt. Wir verbinden das vielmehr mit positiven Eigenschaften, dass wir ein normaleres Leben führen, selbst in den Supermarkt gehen können, um uns einen Joghurt kaufen zu können, wenn wir möchten.
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Ihr seid nicht häufig zu zweit als Werbegesichter zu sehen. Was hat euch dazu bewogen, bei der Kampagne mitzumachen?
Georg: Als die Anfrage kam und wir das Konzept zur Kampagne von Aldi Süd gesehen haben, fanden wir es einfach smart, witzig und selbstironisch. Es war auch etwas Neues für uns, wir haben sowas noch nie gemacht. Wir sind neugierig und gespannt darauf gewesen, deswegen haben wir „ja“ gesagt.
Inwieweit habt ihr mit Bill und Tom über eure Werbekampagnen gesprochen? Man könnte ja jetzt sagen: Während die Kaulitz-Brüder für das vegetarische Angebot der Fastfood-Kette McDonalds werben, macht ihr euch für das gesunde Gegenstück stark.
Georg: Da habe ich noch nicht darüber nachgedacht, aber das stimmt wahrscheinlich schon. Es ist die andere Hälfte der Band, aber ich finde unsere Kampagne besser (lacht). Wir hatten großen Spaß bei der Kampagne. Als wir das mit Tom und Bill geteilt haben, fanden die das auch mega witzig.
Plant ihr generell andere Soloprojekte, vielleicht auch einen Podcast oder eine Doku-Reihe wie Tom und Bill?
Georg: In konkreter Planung ist nichts, aber wir verwehren uns auch nicht.
Gustav: Vielleicht hat ja einer von uns beiden nochmal einen Hirnfurz und wir machen tatsächlich sowas wie einen Podcast, das „Listige Schäferstündchen“ zum Beispiel.
Georg: Die Namen gehen uns nicht aus. Wir haben schon häufiger darüber nachgedacht und gesprochen. Ich glaube, ein Podcast ist eine riesige Aufgabe. Wir sehen auch bei Bill und Tom, wie viel Arbeit die beiden hineinstecken. Jede Woche bereiten sie sich thematisch vor, um so viel Output zu genieren. Wir sind nicht umsonst die Beilage von Tokio Hotel. Wir konzentrieren uns auf das Musizieren und sind nicht immer die, die in Interviews die meisten Fragen beantworten und die meiste Redezeit haben. Deswegen haben wir noch keinen konkreten Plan für einen Podcast. Nun freuen wir uns erstmal darauf, heute Abend das RoyAldi zu eröffnen.
Mittlerweile lebt ihr als Tokio Hotel in Los Angeles, Magdeburg und Berlin. Wie arbeitet ihr heute trotz der räumlichen Trennung als Band an neuen Songs, Alben und anderen Projekten?
Gustav: Es ist wirklich nur eine räumliche Trennung. Eine visuelle Trennung findet höchstens mal über einen Tag statt. Wir telefonieren sehr viel, sind im stetigen E-Mail-Austausch, weil viele Dinge entschieden werden müssen. Wenn es Songs gibt, haben wir unsere Studio-Zeit miteinander. Durch Internet und Co. ist das mittlerweile alles sehr einfach. Dieses Bild, wie es in den 70er Jahren war, dass sich alle in den Proberaum eingesperrt haben und die Aufnahme unbedingt funktionieren muss, weil nur noch ein Band übrig ist, hat sich geändert.
Georg: Wir sind auch ab und zu in Los Angeles, und die Jungs sind sehr viel in Deutschland.
Ein Grund, warum Bill und Tom 2010 nach Los Angeles gezogen sind, waren die negativen Auswirkungen des Hypes um Tokio Hotel wie Stalking durch Fans. Wie blickt ihr heute auf die frühe Phase eures Erfolgs zurück?
Georg: Wir sind dankbar für alles, das wir erleben durften. Gleichzeitig war es zu viel für diese fünf Jahre. Deswegen mussten wir auch den Stecker ziehen und eine Pause machen. Es war einfach ungesund. Wir konnten es gar nicht mehr genießen. Wir waren damals sechs bis acht Wochen auf US-Tour, haben uns durch die kleinen Clubs gespielt und am Ende der Tour den „Moonman“ gewonnen. Das hätte der Start für eine riesige US-Karriere sein können. Aber wir haben alle gesagt: „Wir fahren nach Hause“, weil wir durch waren. Damals war das definitiv eine gesunde Entscheidung und deswegen können wir auch heute das machen, was wir machen. Jetzt mit einem bewussteren Umgang mit den Projekten und einem gesunden Level an Arbeit, das man sich zumuten sollte.
Der „Moonman“ bei den MTV Music Awards
Im September 2008 gewann Tokio Hotel bei den MTV Video Music Awards in der Kategorie „Best New Artist“ eine der „Moonman“-Trophäen. Sie setzten sich damit mit ihrem Song „Ready, Set, Go!“ unter anderem gegen Miley Cyrus, Katy Perry und Taylor Swift durch und waren die erste deutsche Band, die diesen Preis gewonnen hat.
Ihr beide seit in langjährigen Beziehungen. Gustav, du bist sogar Vater. Wie balanciert ihr euer Privatleben mit den Anforderungen als Bandmitglieder?
Georg: Unsere Frauen kennen das, weil sie uns bereits während der Bandzeit, mit der Arbeit kennengelernt haben. Es ist ein Spagat und wird es auch immer bleiben, aber unsere Frauen unterstützen uns da voll und ganz.
Gustav: Gerade auf Terminen in Deutschland während der Sommerferien ist meine Familie auch mit dabei. Meine Tochter ist jetzt acht Jahre alt. Sie versteht das zwar irgendwo, aber natürlich ist das Vermissen auch immer groß. Wenn es möglich ist, kommen sie und meine Frau daher mit und halten sich im Hintergrund auf. Wir machen dann mehr Familienprogramm. Das klappt ganz gut. Schwierig wird es, wenn wir die Lateinamerika-Tour machen. Wir arbeiten daher an einem Plan, dass sie für einen Teil der Zeit mitkommen können.
Fast 20 Jahre nach eurem Durchbruch mit Tokio Hotel habt ihr nicht nur zahlreiche Preise bekommen, weltweit getourt und unzählige Konzerte auch auf großen Festivals gespielt, zuletzt als Überraschungsakt auf dem Parookaville Festival. Gibt es noch musikalische Ziele, die ihr erreichen möchtet?
Georg: Total. Wir haben jetzt gerade erst eins erreicht, auf das wir lange hingearbeitet haben. Während der Pandemie waren wir auf Lateinamerika-Tour, die wir dann leider absagen mussten. Wir haben lange daran gearbeitet, das nachzuholen und gehen nun Ende des Jahres wieder auf Lateinamerika-Tour, um unsere Fans dort zu besuchen. Es gibt immer weitere Ziele, wie die Europa-Tour im nächsten Jahr. Wir arbeiten auch gerade an Musik für ein neues Album.
Gustav: Da ist man als Musiker auch nicht satt zu kriegen, man möchte sich immer weiterentwickeln. Es fließen neue Einflüsse mit rein. Jeder bringt sich auch durch seine Fähigkeiten am Instrument auf eine andere Weise mit ein. Von daher entsteht auch mal Musik mit kleinen Ausreißern, auch was das Genre angeht. Da wird noch viel passieren in der Zukunft.
Im Laufe der Jahre wart ihr ja wirklich in verschiedenen Genres unterwegs. Gibt es ein Genre, das ihr gerne in der Zukunft noch ausprobieren möchtet?
Gustav: Ich bin noch immer nicht abgeneigt von der Idee, ein bisschen Country mit reinzubringen. Da sehe ich uns.
Georg: Das sehe ich auch. Aber bei uns gibt es keine Konzept-Alben oder langfristig geplante Themenblöcke, die wir verarbeiten. Es passiert im Moment. Das sind oft Geschichten aus dem Leben von Bill und ist eine natürlich entstandene Musik, die unsere Leben begleitet. Ich glaube, genau das macht am Ende auch den Podcast und die Netflix-Doku der Jungs so erfolgreich. Es ist das Leben, es ist nicht konzipiert. Das sind wir.
Ihr beide kocht privat selbst gern, Gustav hat auch an der Kochshow „Grill den Henssler“ teilgenommen, insofern ist die Idee von der Kampagne, ein Restaurant zu eröffnen, gar nicht so abwegig. Podolski hat es mit Mangal Döner, Daniel Brühl und Til Schweiger haben mit eigenen Restaurants vorgemacht. Hättet ihr Lust auf Gastronomie?
Georg: Als Team auf jeden Fall. Gustav kümmert sich um die Küche, ich kümmere mich um alles andere. Das ist die perfekte Synergie.
Gustav: Aber man darf so ein allgemeines Projekt „Restaurant“ nicht unterschätzen. Du musst arbeiten, wenn alle andere freihaben, kümmerst dich um den Einkauf, während alle anderen schon bei ihren Familien am Abendbrottisch sitzen. Das ist schon ein Hardcore-Programm, das ist 24/7 arbeiten.
Was wäre die Richtung, in die eure Küche geht?
Georg: Da wir mit Aldi Süd zusammen eine tolle Kampagne haben, die großen Andrang findet und das RoyAldi eröffnen, würden wir das Konzept beibehalten. Wir haben nur positives Feedback erhalten, Beilagen um Obst und Gemüse in den Vordergrund zu rücken.
Wie ernährt ihr euch denn privat?
Gustav: Ich bin der klassische Allesfresser, man sieht es. Ich versuche, gesund und frisch zu kochen, aber ich esse einfach viel zu viel. Ich liebe Essen. Von Fisch über vegan: Ich finde es interessant, verschiedene Dinge auszuprobieren und nicht direkt auszuschließen, weil man es einmal nicht mochte. Es gibt immer Mittel und Wege, coole Ergänzungen zu machen und aus drei, vier Zutaten Synergien zu erzeugen. Das ist das Coole am Kochen.
Georg: Ich bin seit acht, neun Jahren vegetarisch und esse daher meistens nur die Beilagen. Ich bin ein großer Freund davon, wenn mich Leute zum Essen einladen und sie das kochen, was sie kochen wollen. Wenn sie Schnitzel mit Bratkartoffeln machen, bin ich auch glücklich, nur die Bratkartoffeln zu essen. Ich konzentriere mich schon immer nur auf die Beilagen und mag nicht die vegetarische Extrawurst. Deswegen umso witziger, dass die Kampagne von Aldi Süd genau darauf geht.
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