In der Region. Nach dem erfolgreichen Klassik-Experiment kommt die Synthpop-Band nach Dinslaken. Im Interview blickt Marian Gold auf 40 Jahre zurück.

Alphaville erleben soeben ihren zweite Karrierefrühling. Exakt 40 Jahre nach dem Durchbruch mit dem Debütalbum „Forever Young“, dem Titelsong sowie weiteren Hits wie „Big In Japan“ und „Sounds Like A Melody“ ist die Band um Sänger Marian Gold wieder in aller Munde. Die im vergangenen Februar zu Ende gegangene Symphonic-Tour mit dem Berlin Orchestra war mit 48 zum Großteil ausverkauften Konzerten ein voller Erfolg. Am 27. September erscheint die Triple-CD-Compilation „Forever! Best Of 40 Years“, drumherum gibt es Open-Air-Termine im Rockband-Aufgebot. Über die Tournee im kommenden Jahr, Erinnerungen aus vier Jahrzehnten Alphaville und das Verhältnis zu früheren Bandkollegen sprach der 70-Jährige mit uns.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Alphaville plötzlich wieder so populär sind und große Theater und Hallen füllen? Die Tour 2019 ging noch durch kleine Clubs wie die Zeche Bochum, bald ist es der um ein vielfaches größere RuhrCongress ...

Da kann ich nur spekulieren. Es ist manchmal so als Musiker, der so lange im Geschäft ist, dass du mit 180 km/h ins Tal rauschst, aber dann auch genauso schnell wieder nach oben kommen kannst. Der Status der Band im Musikjournalismus hat sich mit der Zeit gewandelt, vielleicht liegt es auch daran, dass ich, mittlerweile älter, aber immer noch dabei bin. Diese Band veröffentlicht schon so lange neue Musik, wiederholt sich künstlerisch nicht, probiert ab und an auch zum Unwillen der Fans immer wieder Neues. Unsere Eigenwilligkeit wird manchmal vom Publikum goutiert, manchmal nicht.

Und die Orchestertour?

Es liegt sicher auch daran. Wir hatten so sehr an dieses Projekt geglaubt und dachten uns vorher schon, dass es erfolgreich wird. Aber so erfolgreich? 15 Konzerte hatten wir geplant, es sind dann fast 50 geworden. Wir sind sogar in der Elbphilharmonie gelandet, das war ein überwältigendes Erlebnis.

Lief bei der Orchestertour denn alles wie gewünscht?

So etwas Reibungsloses wie die Zusammenarbeit mit diesem Orchester hatte ich vorher noch nie erlebt. Eigentlich bilden viele Leute ein einziges vielstimmiges Instrument. Im Vergleich zu den klassischen Alphaville-„Rockshows“ laufen die Klassikkonzerte immer nach einem festen Schema ab. Das sind akademische Musiker, die spielen, natürlich mit viel Gefühl, exakt das, was auf dem Notenblatt steht. Interpretatorisch angeregt durch den Dirigenten, aber im Prinzip ist es immer das Gleiche. Wenn die anfangen, fühlt sich das für uns als Band an wie eine angeschaltete Spieluhr. Wir sind das improvisatorische Element der Show.

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Wie war es für Sie?

Die Kommunikation mit dem Publikum, die ja als Sänger hauptsächlich mein Job ist, war eine andere. Bei den normalen Konzerten powerst du direkt in die Fans und bekommst sofort ein „Woah“ zurück, das potenziert nochmal die Eigenenergie und schaukelt sich hoch. Bei sinfonischen Konzerten sitzen alle, es ist eine gediegene Atmosphäre, da kannst du auch mit Stille arbeiten und hörst eine Stecknadel fallen. Da gibt es extreme dynamische Sprünge, du kannst ganz leise, dann wieder ganz laut werden. Bei Poprock-Konzerten hast du im Großen im Ganzen meist ein Level.

Wäre eine weitere Orchestertour denkbar?

Eher nicht. In der Regel machen wir bei Alphaville alles nur einmal. Das wäre eine Masche, die du irgendwann tottrittst, was überhaupt nicht in unserem Interesse liegt. Wir versuchen, mit jedem Album, jedem Projekt, etwas für uns Neues, Eigenes zu machen. Was eben bei uns noch nachwirkt: Wir konnten die Tour aus logistischen Gründen nicht ins entfernte Ausland bringen. Normal fliegen wir mit elf Leuten, mal eben mit 40 oder 50 Leuten fliegen oder ins Hotel einbuchen ist schon ein riesiger Unterschied. Vielleicht machen wir aber mal einzelne Shows in den Staaten oder so, wenn man sich mit örtlichen Veranstaltern fair einigen kann.

Fiel die Umstellung zurück aufs „Rockband“-Aufgebot schwer?

Also ganz egal ist es nicht, ob du mit Orchester oder ohne spielst. Die Unterschiede habe ich gerade ja schon erklärt. Aber wir sind über den Zeitraum von 40 Jahren auch zu Profis geworden. Wobei ich mich gerne als Amateur bezeichne, der das, was er tut, aus Liebe tut. Ich habe als Dilettant in den 80ern angefangen und einen Anteil davon habe ich mir bis heute bewahrt. Das bringt auch eine gewisse Unvorhersehbarkeit und Naivität ins Songwriting ein, das finde ich wichtig. Naivität und Neugier sind die wichtigsten Komponenten für kreative Arbeit.

Alphaville
Die Band Alphaville um Marian Gold (Mitte vorne) in ihrer 2024er-Formation. © Themroc | Helen Sobiralski

Die Kartenpreise für die kommenden Konzerte beginnen bei knapp 60 und enden bei fast 120 Euro. Müssen Sie so viel nehmen, um die Kosten wieder reinzubekommen?

Das ist eine Frage, die Sie eher dem Management stellen müssten. Aber wir betrachten das aus realistischer Perspektive. Natürlich muss irgendwie Geld dabei rumkommen, aber wir sind sicher keine Band, die die Leute jetzt komplett ausnehmen will, nur weil es bei Alphaville gerade so gut läuft. Natürlich steigt der Kurs einer Band, wenn sie wieder populärer ist, aber auch die Ansprüche an die Bühnenshow, an die Technik während der Konzerte. Ich denke, das steht bei uns in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis.

Die Tour endet in Münster, wo 1983/84 alles anfing. Was verbindet Sie noch mit der Stadt?

Ich freue mich sehr darauf. Diese Tour ist für mich etwas Besonderes und hat große emotionale Bedeutung für mich, es ist die Zusammenfassung der Bandgeschichte, die trotz zahlreicher Besetzungswechsel die 40-Jahre-Marke erreicht hat. Ich verbinde mit Münster sehr gute Erfahrungen. Als wir 1982 aus West-Berlin dorthin kamen, bekamen wir endlich einen Proberaum. Da hatten wir in Berlin keine Chance drauf, wenn wir Vermietern sagten, dass wir Musiker sind, das ist heute sogar einfacher. Die Großmutter unserer ehemaligen Schlagzeugerin hatte in Münster zwei Mietshäuser und wir konnten dann da hin. Zuerst dachten wir, dass Münster so abgelegen und provinziell ist und sind nicht gerade mit Begeisterung hingezogen.

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Wie war es wirklich?

Total anders. Eine weltoffene, tolle, schöne Stadt mit offenen Menschen. Drei Viertel des Debütalbums haben wir dort geschrieben, inklusive „Forever Young“, ich kann der Stadt gar nicht genug danken für das, was sie Alphaville gegeben hat.

Vor der Tour erscheint eine 3CD-Best-of. Über die Tracklist durften die Fans entscheiden – waren Sie von der Songauswahl überrascht?

Im Großen und Ganzen eigentlich nicht. Mit den Songs an der Spitze der Abstimmung haben wir gerechnet. Einige Überraschungen gab es in der zweiten Hälfte.

Zum Beispiel?

Summer Rain“. Nicht unbedingt leicht konsumierbarer Pop. Das ist schon ein sehr eigenes Stück. Oder „Call Me“ vom Album „Catching Rays On Giant“. Obwohl …eigentlich ist dieser Song schon eine Art Retrospektive auf die Alphaville-Historie. Schön ist jedenfalls, dass die Lieder von den Fans so breit rezipiert werden. Die kennen sich mit unseren Alben meist besser aus als man selbst.

Das Coverartwork spielt auf das Artwork des 1986er-Albums „Afternoons In Utopia“ an, auf dem Bernhard Lloyd und Ricky Echolette zu sehen sind, die schon viele Jahre kein aktiver Alphaville-Teil sind. Warum dies?

Ich bin da erst auf großes Unverständnis gestoßen. Dieses Cover wirkt aber ikonografisch, wie ein Symbol für Alphaville. Diese Dreier-Konstellation war so bedeutsam für die Band. Alle wissen, wenn sie es sehen, wer das ist. Inspiriert ist es aber auch von David Bowie, der bei seinem vorletzten Album „The Next Day“ einfach das alte „Heroes“-Cover nahm, die Titel durchstrich und die des neuen Albums darüber platzierte. Eine der genialsten Ideen aller Zeiten in Sachen Gestaltung, finde ich. Auf der Tour werden wir das Cover so nicht nutzen, ich will nicht den falschen Eindruck erwecken, dass die beiden wieder dabei sind. Die Lichtshow wird aber in dem farblichen Kontext des Covers stehen.

Lang ist‘s her: Alphaville mit Bernhard Lloyd (links) und Frank Mertens (rechts), aufgenommen im Dezember 1984.
Lang ist‘s her: Alphaville mit Bernhard Lloyd (links) und Frank Mertens (rechts), aufgenommen im Dezember 1984. © picture alliance / dpa

Wie ist aktuell Ihr Verhältnis zu den beiden? Und gibt eine Chance auf eine Überraschung in Münster?

Da müsste ich dann Frank Mertens dazuholen, unser drittes Gründungsmitglied. Ihn habe ich leider aus den Augen verloren. Er lebt ein sehr zurückgezogenes Leben, quasi als eine Art „Syd Barrett von Alphaville“. Mit Bernhard habe ich ein gutes Verhältnis. Ricky lebt in seiner Familie in Frankreich, (....), mit ihm habe ich nicht mehr so viel zu tun. Die Veränderungen in der Bandbesetzung waren aber immer undramatisch und freundschaftlich. Es musste nie jemand gehen, alle hatten jeweils eigene Pläne. Alphaville war auch nie ein zusammenrekrutierter Haufen, ich wollte nie eine Legionärsmannschaft zusammenstellen. Mittlerweile sind ja auch alle schon länger dabei, unser Gitarrist David seit fast 30 Jahren.

Wie steht es um neues Material? Wir sprachen vor zwei Jahren über eine geplante LP namens „Thunderbaby“

Tja, da kam was dazwischen. „Eternally Yours“, unser Orchesteralbum, war ja überhaupt nicht geplant. Die Idee kam, als wir pandemiebedingt in die Privatheit geworfen wurden. Eine Zeit lang konnten wir ja nicht mal ins Studio gehen. Dann nahm die Idee plötzlich Gestalt an. Jetzt sind wir aber dran und hoffen, dass das Album 2025 im Kasten ist und es Ende des Jahres rauskommt. Während der Orchestertour fehlte einfach die Zeit zum Songwriting. Wenn wir nach den Konzerten nach Hause kamen, brauchten wir zwei, drei Tage zum Durchschnaufen. Aber wir sind jetzt auf einem ganz guten Weg. Ob es „Thunderbaby“ heißen wird …mal sehen. Namen entscheiden sich bei Alphaville immer erst auf den letzten Metern. Wie auch der Bandname.

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Was war denn damals noch in der Verlosung?

Recht originell fand ich „Chinchilla Green“. Später gab es eine Mädchenband in unserem Umfeld, die so hieß und Ende der 80er ziemlich erfolgreich war. „Melody Nelson“ gab es noch, nach dem sehr spannenden Album von Serge Gainsbourg. Und das Künstlerkollektiv, aus dem sich Alphaville entwickelte, hieß auch Nelson. Und dann gab es noch „Dancing Silhouettes“. Um Himmels Willen ... Wenn ich etwas nicht kann, dann tanzen. Gut, dass es Alphaville geworden ist.

Alphaville live in der Region: Die Termine

18.8. Dinslaken (Freilichtbühne Burgtheater, Karten ab ca. 52 €), 6.2.25 Düsseldorf (Mitsubishi Electric Halle, Karten ab ca. 65 €), 7.2.25 Bochum (RuhrCongress, Karten ab ca. 62 €), 30.5.25 Münster (MCC Halle Münsterland, Karten ab ca. 64 €).