Hamburg. Die Wirtschaftsbehörde prüft derzeit den Einbau von Schiffsroboter in Fähren, der die Aufgaben des Kapitäns im Notfall übernehmen kann.

Antriebslos dümpelt die „Nellie Bly“ mitten in der Kieler Bucht. Das Steuerrad des 10,70 Meter langen Schleppers ist unbemannt. Kaum Wellengang. Ein paar Wolken ziehen herauf. Plötzlich erwacht die Maschine zum Leben. Der Propeller dreht auf, das Schiff beschleunigt und setzt wie von Geisterhand Kurs auf einen bestimmten Punkt, der in einen Computer eingegeben worden war.

Ein Kapitän steht nicht am Ruder. Der sitzt gut 100 Kilometer entfernt in einem Büro in Hamburg-Hammerbrook und hat die „Nellie Bly“ mittels Knopfdruck auf einer normalen Computertastatur zum Leben erweckt. Ein großer Bildschirm, auf dem mehrere Fenster sich öffnen, dient ihm zur Überwachung. Eines zeigt den Kamerablick vom Bug voraus, ein anderes nach achtern. Ein drittes den Blick ins Ruderhaus, das weiterhin unbemannt zu sein scheint. Dazu kommen ein Radarbild, dass die Bewegung der „Nellie Bly“ in ihrem Umfeld zeigt sowie kleinere Fenster zum Kurs und der Geschwindigkeit des Schleppboots.

Selbstfahrende Schiffe: Schiffsroboter unterstützt Kapitän

„Das ist ja sagenhaft“, murmelt ein Mann, der neben dem Überwacher in Hamburg sitzt. „Das ist mehr als eindrucksvoll.“ Wie gebannt starrt er auf den Bildschirm, weit vorgebeugt, damit ihm nichts entgeht. Es ist Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos), der gerade die kleine Firma Sea Machines Robotics an der Wendenstraße besucht. Der kleine Betrieb ist Ableger eines im US-amerikanischen Boston ansässigen Unternehmens, dass auf autonom fahrende Schiffe spezialisiert ist.

Westhagemann besucht häufig Unternehmen in der Hansestadt, um sich ein Bild über die Lage der Wirtschaft zu machen. An diesem frühen Morgen hat er sich bei Sea Machines angemeldet, nicht ahnend, welche besondere Wendung dieser Besuch noch nehmen wird. Ihm zur Seite sitzt der Europachef der Fiirma, der Däne Peter Holm, der dem Senator das Produkt erklärt.

Peter Holm ist Europa-Chef des Unternehmens Sea Machines.
Peter Holm ist Europa-Chef des Unternehmens Sea Machines. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

„Man könnte das Schiff von hier aus steuern, oder man lässt es einen zuvor einprogrammierten Kurs abfahren“, sagt Holm. Und endlich tritt auch ein Mann auf der Brücke des Boots vor die Kamera. Es ist natürlich ein Kapitän an Bord. Der Schiffsroboter macht derzeit nur dessen Arbeit. „Wir könnten das Schiff auch ganz allein fahren lassen, dürfen es aber nicht. Solange ein Kapitän mit an Bord ist, haben wir freie Hand.“

Selbstfahrende Schiffe: Wirtschaftssenator begeistert

Dass die „Nellie Bly“ es kann, hat sie im September vergangenen Jahres eindrucksvoll gezeigt, als das Schiff autonom fahrend mehr als 1000 Seemeilen rund um die dänische Südsee bis nach Hamburg absolvierte. Begleitet wurde das Programm von der US-Küstenwache, die ein starkes Interesse an dem System hat. Wirtschaftssenator Westhagemann kommt jedenfalls an diesem Morgen aus dem Staunen nicht mehr heraus, vor allem
als er erfährt, dass das System von Sea Machines bereits an verschiedenen Stellen der Welt im Einsatz ist.

„Wir haben das Produkt mehr als 100-mal verkauft“, sagt Holm. „Wie das“, antwortet der Senator – „Man hört immer von selbstfahrenden Schiffen, aber eigentlich geht es doch kaum voran.“ Aber Holm schüttelt den Kopf und zeigt Beispiele von Schiffen, die bereits mit dem Sea-Machines-System fahren: in Australien, in Alaska und zum Teil auch in Europa. Meist handelt es sich um Boote, die eng umrissene Flächen abfahren, etwa zu hydrografischen Untersuchungen des Meeresbodens oder zum Aufspüren von Altmunition. Die Boote fahren ohne Mannschaft und sind auch als solche gekennzeichnet. Überwacht werden sie per Bildschirm von Land aus. Die Daten werden per Satellit übertragen.

Autonomes Fahren: Noch nicht für große Containerschiffe

Auch das US-amerikanische Unternehmen Harbor Harvest hat den Schiffsroboter auf einem Katamaran eingeführt, der landwirtschaftliche Erzeugnisse von den Feldern über die Long-Island-Bucht zu den Märkten in New York transportiert. „Es wird vermutlich noch lange dauern, bis große Containerschiffe ohne Besatzung auf den Meeren unterwegs sein werden“, fügt Holm hinzu. „Es wird aber schon sehr bald passieren, dass solche Systeme als zusätzliche Sicherheit auf den Schiffsbrücken installiert werden.“

Der Schiffsführer der „Nellie Bly“ in der Kieler Bucht zeigt, was Holm meint. Er greift kurz ins Ruder, um sein Boot vom eingespeicherten Kurs abzubringen. Das Boot kehrt sofort auf seine ursprüngliche Linie zurück. Greift der Bootsführer stärker ins Ruder ein, erkennt der Autopilot, dass damit kein versehentlicher, sondern geplanter Richtungswechsel stattfindet und schaltet sich ab. „Das System ist eine redundante Unterstützung für den Kapitän“, sagt Holm.

Wirtschaftssenator lässt Eignung für Fähren prüfen

Und das ist der Moment, an dem irgendwas bei Westhagemann Click im Kopf macht und der Unternehmensbesuch besonders wird. Er dreht sich um zu seinen Mitarbeitern, die ihn an diesem Morgen begleiten, zeigt auf den Bildschirm und sagt: „Das wäre doch etwas für unsere Hafenfähren.“ Westhagmanns Begleiter schauen verblüfft, dann hellen sich ihre Mienen auf und einer sagt: „Ja das stimmt. Wir könnten es mal versuchen.“

Holm zugewandt erläutert der Senator: „Seit die Fahrgastbrücken auf unseren Fähren automatisch bewegt werden, befindet sich nur noch ein Schiffsführer an Bord. Was aber ist, wenn er alle Hände voll zu tun hat, weil ein Fahrgast einen Schwächeanfall erlitten hat? Da könnte so ein System doch unterstützend helfen.“ Holms Antwort ist knapp: „Ja, könnte es.“ Und dann folgt eine Reihe von Anweisungen. „Ich möchte, dass das mal geprüft wird, und ich möchte, dass ihr die Firma mit dem Chef der Hadag, Tobias Haack, zusammenbringt“, sagt Westhagemann.

Um ein selbstfahrendes Schiff auch durch einen engen Hafen zum Liegeplatz zu bugsieren, hat Sea Machines ein weiteres Produkt entwickelt: eine von Hand betriebene Fernsteuerung, die ähnlich funktioniert wie bei Modellbauschiffen. Sie sei per Funk mit dem Schiffsroboter verbunden und habe eine Reichweite von 1000 Metern, sagt Holm. Ein Kapitän kann damit das Boot also von der Kaikante aus zum Anleger bugsieren. Einige Hochseeschlepper in den USA würden das verwenden, weil die Kapitäne beim Anlegen von der Brücke aus schlecht die Kaikante überblicken könnten. Sie würden dann das tragbare Pult mit runter an die Rehling nehmen, um den Vorgang per Hand zu steuern.

Dann ist die Zeit um. Westhagemann, dem die Begeisterung noch immer anzusehen ist, wird gedrängt, zum nächsten Termin zu rauschen. Später verlautet aus der Wirtschaftsbehörde: Die Prüfungen, ob sich ein System für autonomes Fahren in Hafenfähren einbauen lässt, haben bereits begonnen. Das war ein Unternehmensbesuch, der sich wirklich gelohnt hat, sagen alle Beteiligten.