Hamburg. Kreuzfahrt-Branche fühlt sich vom Senat schlecht behandelt. Michael Thamm, Chef der Marke Aida, über Krieg, Corona und Klimawandel.
Michael Thamm (59) ist der wichtigste Kreuzfahrt-Manager Deutschlands. Seit zehn Jahren CEO von Costa Crociere, der italienischen Tochter von Carnival Cruises, verantwortet er aktuell 25 Schiffe, die unter den Marken Aida und Costa auf den Meeren unterwegs sind. Aida, klarer Marktführer in Deutschland, hat Thamm mit aufgebaut, von 2004 bis 2012 war er dort dann President.
Es folgte der weitere Aufstieg im Carnival-Konzern, seit Januar 2017 ist Thamm auch CEO von Asia Carnival. Im Interview mit dem Abendblatt äußert sich der Manager, der in Hamburg lebt, über die Zeit der Corona-Pandemie, die Folgen des Krieges in der Ukraine und das Ziel, seine Schiffe bis 2040 klimaneutral fahren zu lassen. Von der Hamburger Politik, die früher als sehr kreuzfahrtaffin galt, zeigt sich Thamm inzwischen enttäuscht.
Hamburger Abendblatt: Das Coronavirus hat die Kreuzfahrtbranche stärker ausgebremst als jede Krise zuvor. Wie sind Sie durch die letzten zwei Jahre gekommen?
Michael Thamm: Wir haben starke Gesellschafter – und gute Nerven. 25 Schiffe stillzulegen geht schnell, sie alle wieder in Gang zu bringen dauert deutlich länger. In Asien war am 24. Januar 2020 Schluss, das letzte Schiff auf Weltreise ist bis April unterwegs gewesen. Im September haben wir mit Costa wieder vorsichtig angefangen, ein paar Wochen später mit Aida. Gar nicht gefahren sind wir nur vier Monate lang. Danach war es interessant zu sehen, wie sich die einzelnen Regierungen verhalten haben. Da gab es Licht und Schatten.
Wo war mehr Licht und wo mehr Schatten?
Thamm: Es gab eine Menge Licht in Italien. Der Premierminister ist persönlich zu uns gekommen und hat gesagt: Ich möchte, dass ihr fahrt. Ihr seid für Italien eine systemische Industrie, wir brauchen euch. Unser Unternehmen hat bislang mehr als 12 Milliarden Euro in die europäische Gesellschaft eingespeist, wir beschäftigen Zehntausende Mitarbeiter und sorgen in den Werften für gut gefüllte Auftragsbücher.
Und in Deutschland?
Thamm: Hier hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht. Und damit meine ich nicht Geld, das wir über die Börse aufnehmen können. Die Politik sollte sich durchaus etwas Zeit nehmen und mit uns erörtern, was ein Lockdown oder eine andere Restriktion für Konsequenzen hat. Einen Hamburger Bürgermeister interessiert es nicht so sehr, ob eine Familie in Manila ihr Kind nicht zur Schule schicken kann, weil der Vater oder die Mutter bei uns kein Geld mehr verdient. Mich beschäftigt das aber, denn ich bin für diese Familien mitverantwortlich. An uns hängen direkt und indirekt rund 150.000 Menschen.
Kreuzfahrten: Internationales Personal aus 65 Ländern
Auf Ihren Schiffen arbeiten die Menschen auf engstem Raum miteinander, oft sieben Tage die Woche, solange der Vertrag läuft. Die Bezahlung gerade einfacher Tätigkeiten klingt nach deutschen Maßstäben sehr bescheiden. Was entgegnen Sie Kritikern, die einen besseren Lohn fordern?
Thamm: Der große Unterschied etwa zu einem Hotel in Hamburg, an der Ostsee oder am Mittelmeer ist in der Regel, dass dort lokale oder regionale Kräfte arbeiten. Wir akquirieren unser Personal dagegen international, unser Arbeitsmarkt ist die ganze Welt. Wir haben Mitarbeiter aus etwa 65 Ländern, und die kommen nach einem Einsatz meistens gerne wieder zu uns an Bord.
Und wie sieht es in den Zentralen an Land aus? Glauben Fachkräfte, etwa aus der IT, noch an den Reiz der Touristik?
Thamm: Ja, das tun sie. In Hamburg betreiben wir mit Carnival Maritime die mit Abstand größte europäische Reederei für Kreuzfahrtschiffe, dieses Unternehmen ist nicht nur für die Marken Costa und Aida tätig, sondern auch für Cunard mit der „Queen Mary 2“. In der HafenCity arbeiten für uns 250 Menschen aus etwa 35 Ländern. IT-Spezialisten zu bekommen ist ein Problem, und zwar weltweit. Aber hier fällt auf, dass sich gerade Hunderttausende Fachkräfte aus Russland von ihrem Land abwenden und woanders ihr Glück suchen.
Damit kommen wir zum Angriff Russlands auf die Ukraine. Was mussten Sie umstellen, um auf diesen Krieg zu reagieren?
Thamm: St. Petersburg in Russland ist zwar nicht offiziell gesperrt, aber natürlich würde keiner auf die Idee kommen, jetzt dorthin zu fahren. Ein Land, das einen aus unserer Sicht total ungerechtfertigten Krieg führt, werden wir nicht anlaufen, das ist völlig klar. Jeder Gast, der die Eremitage sehen wollte und jetzt nicht mit der Umroutung in der Ostsee einverstanden ist, kann stornieren. Das betraf immerhin 75 Kreuzfahrten von uns. Im Moment gibt es keinerlei Geschäft mit Russland.
Und was wird 2023 sein?
Thamm: Das werden wir in den nächsten Wochen entscheiden. So, wie es gerade läuft, sehen wir kein 2023 in Russland. Wir können dem Land nur sagen: Ihr müsst euch zurückziehen und aufhören, in der Ukraine Menschen zu töten. Da geht Ethik klar vor Gewinn.
Thamm Angebot: Schiff als Flüchtlingsunterkunft
Wie wirkt sich der Krieg auf das Leben an Bord aus?
Thamm: Wir haben auch Russen und Ukrainer auf den Schiffen, die arbeiten und leben vernünftig zusammen. Wenn jetzt bei jemandem der aktuelle Vertrag ausläuft, könnte das Problem bestehen, dass eine erneute Ausreise später nicht mehr möglich ist. Dann bringen wir diesen Menschen auf Wunsch woanders unter. Wir haben schon Mitarbeiter mit ihren Familien aus der Ukraine herausgeholt, damit sie in einem sicheren Umfeld sind.
Costa hat Italien ein Schiff als Flüchtlingsunterkunft angeboten. Wurde das genutzt?
Thamm: Drei Tage nach Kriegsbeginn habe ich Premierminister Draghi geschrieben, dass wir eine Notunterkunft innerhalb von 48 Stunden aktivieren könnten. Die Regierung hat sich bedankt, aber geantwortet, dass sie es mit den bestehenden ukrainischen Familienstrukturen in Italien hinbekommen. Dabei ist es geblieben.
Auch für Deutschland gab es ein Angebot, aber man scheint hier ebenfalls ohne uns zurechtzukommen, und nun sind auch fast alle Schiffe wieder im regulären Dienst. In den Niederlanden hingegen wird tatsächlich ein Schiff der Carnival-Gruppe als Unterkunft genutzt, es ist aber nicht von Costa oder Aida, sondern von Holland America.
Welche Rolle spielt Hamburg als Abfahrtshafen für Sie? Aida kommt recht oft und mit verschiedenen Schiffen, Costa gar nicht, sondern nur nach Kiel und Bremerhaven. Warum?
Thamm: Das ist ein wenig historisch bedingt. Costa mit seiner internationaleren Gästestruktur braucht ein Routing, bei dem mehrere Häfen für den Zustieg genutzt werden können, also etwa neben Kiel auch Kopenhagen. Ansonsten gilt: Hamburg ist im Prinzip ein guter Platz, aber nicht ohne Alternativen. Wir versuchen deshalb, das Deutschlandgeschäft auf verschiedene Häfen zu verteilen. Dabei stimmt man sich mit den jeweiligen Landesregierungen ab.
Wie läuft dabei die Zusammenarbeit mit der Hamburger Politik?
Thamm: Hamburg hat zwar einen sehr eloquenten Hafenchef, aber der Hamburger Senat leistet in Sachen Kreuzfahrt keine gute Arbeit. In Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern sind die jeweiligen Landesregierungen viel aktiver gewesen, die haben sich wirklich um die Kreuzfahrt gekümmert. Hamburg kann da noch eine Menge lernen. Wir kommen zwar gerne an die Elbe, aber von der Politik hier bin ich zurzeit enttäuscht.
Was meinen Sie konkret?
Thamm: Allein 2018 haben wir rund 600 Millionen Euro in die Hamburger Wirtschaft gespült, doch das wird nicht mehr so richtig wahrgenommen. Im Senat hat offenbar niemand Interesse an uns und unserer Branche, mein letztes Gespräch ist lange her. Die Stadt könnte wesentlich mehr Anläufe haben, wenn man sich richtig bemühen würde. Hamburg ist inzwischen der einzige große deutsche Kreuzfahrthafen, der keine Landstromversorgung am Hauptliegeplatz hat. Unsere Schiffe könnten das nutzen, aber in Steinwerder gibt es das bislang nicht.
Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg zur Klimaneutralität
2011 wurden Sie gemeinsam mit Richard J. Vogel von TUI Cruises vom Nabu mit dem „Dinosaurier des Jahres“ ausgezeichnet. Damals galten Kreuzfahrtschiffe noch durch die Bank als riesige Umweltverschmutzer. Was hat sich seitdem geändert?
Thamm: Was der Nabu damals angestoßen hatte, entbehrte meiner Meinung nach der entsprechenden Grundlage, denn es gab auch sehr fragwürdige Aussagen, etwa dass ein Kreuzfahrtschiff so viele Schadstoffe produziert wie fünf Millionen Autos. Das ist ganz großer Quatsch.
Trotzdem hat die Debatte Fragestellungen aufgeworfen, denen wir uns stellen mussten. Inzwischen ist dieses Thema abgeräumt, es gibt keine Schwerölverbrennung mehr, es gibt Scrubber, die das Abgas reinigen, und es gibt Landstrom. Zudem haben wir als weltweit erste Reederei LNG-Kreuzfahrtschiffe wie „AidaNova“ und „Costa Smeralda“ in Dienst gestellt, aus deren Schornsteinen wirklich nicht viel mehr als heiße Luft kommt. Allerdings ...
... ist LNG, also verflüssigtes Erdgas, immer noch ein fossiler Brennstoff und trägt somit zur Klimaerwärmung bei.
Thamm: Richtig. Aber wir sind hier ebenfalls auf dem Weg. Unser Ziel: Bis 2030 wollen wir mit einem ersten Schiff und 2040 dann komplett klimaneutral unterwegs sein, und das schaffen wir auch. Dazu brauchen wir sowohl bei Systemtechnologien wie auch bei der Entwicklung von synthetischen, CO2-neutralen Kraftstoffen noch mehr Forschung und Entwicklung.
Eine erste Brennstoffzelle mit Methanol-Reformer werden wir in Kürze auf der „AidaNova“ einbauen, den Verbrennungsmotor würde ich aber dennoch nicht abschreiben. Großanlagen, wie wir sie haben, besitzen eine hohe Effizienz. Und die kann man so weiterentwickeln, dass sie mit karbonfreien Treibstoffen gut funktionieren.
Es besteht zudem die Möglichkeit, direkt an der Maschine CO2 zu binden und das dann woanders wiederzuverwenden, statt es in die Umwelt abzugeben. Manches, was wir heute noch als Abfall betrachten, kann morgen schon ein Rohstoff sein. Bei Lebensmittelrückständen machen wir das schon. Das nennt sich dann Cradle to Cradle, auf Deutsch: Kreislaufwirtschaft.
Wie viel Strom muss eine Brennstoffzelle produzieren, um ein klimaneutrales Schiff betreiben zu können?
Thamm: Wir brauchen für ein Schiff der Aida-Sphinx-Klasse mit rund 2000 Betten insgesamt eine Kapazität von rund fünf Megawatt, bei größeren Schiffen wie „AidaPerla“ oder „AidaCosma“ einiges mehr. Das Konzept, eines der kleineren Schiffe zumindest im Hotelbetrieb auf Brennstoffzellenversorgung umzurüsten, wollen wir schon in den nächsten Monaten umsetzen.
Eine Zeit lang werden wir an Bord der Schiffe wahrscheinlich einen Technik-Mix haben, also einerseits den Verbrenner für den Antrieb und zusätzlich eine Brennstoffzelle für den Rest. Der Platz dafür ist da.
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Hamburg will Moorburg zum Wasserstoffzentrum ausbauen und setzt große Hoffnung auf diesen Energieträger. Auf was setzen Sie?
Thamm: Wir glauben, dass Methanol für Brennstoffzellen die besten Chancen hat. Würde es heute mehr klimaneutrales Biofuel geben, würden wir auch das natürlich sofort kaufen. Ich habe dem Bürgermeister und dem Wirtschaftssenator vorgeschlagen, dass wir Hamburg als Hub für klimaneutralen Biotreibstoff entwickeln wollen, als Laboratorium für CO2-freie Treibstoffe. Allerdings habe ich dazu bislang von der Landesregierung keine Antwort erhalten.
Die „Costa Venezia“, das größte Kreuzfahrtschiff, das je die Türkei angelaufen hat, fährt seit Montag von Istanbul aus Routen im östlichen Mittelmeer. Eigentlich war sie für den Einsatz in Asien gebaut worden, mit Gästen aus Peking, Chongqing oder Shanghai. Sind diese Pläne erst mal ad acta gelegt?
Thamm: Ich bin zunächst mal sehr froh, dass wir wieder ab Istanbul fahren. Der neue, stadtnahe Galataport ist beeindruckend und setzt weltweit Maßstäbe, was die Verbindung von Erlebnis und Logistik angeht. Der Ausbau hat allerdings zwei Milliarden Euro gekostet, und bei der Bürokratie gab es sicher weniger Schwierigkeiten, als man etwa in Hamburg bei so einem Großprojekt hätte.
Was das China-Geschäft angeht: Wir hatten dort vor der Pandemie 800.000 Gäste pro Jahr, jetzt keine mehr. Die von den chinesischen Behörden propagierte Null-Covid-Strategie mit einem Lockdown nach dem anderen wird die Situation auf absehbare Zeit nicht verbessern. In Shanghai unterstützen wir unsere Leute gerade mit Lebensmittelpaketen, damit die überhaupt durchkommen. Mit China rechne ich im Laufe der nächsten zwölf Monate nicht.