1000 Schiffe, 120 000 Beschäftigte in 130 Ländern - gesteuert von der Zentrale in Kopenhagen. Das Abendblatt war da - im “Haus mit den blauen Augen“.

Kopenhagen. Herr Moeller ist heute nicht im Haus. Die kleine Rezeption vor seinem Büro im sechsten Stock steht leer. Nur im Sekretariat mit der englischen Aufschrift "Secretariat MMM" arbeiten fleißig seine Assistentinnen. Maersk Mc-Kinney Moeller geht nicht mehr jeden Tag zur Arbeit. Das muss er auch nicht, denn er ist 95 Jahre alt und der reichste aller Dänen.

Die Menschen, die für Herrn Moeller arbeiten, strömen aber schon wieder zahlreich zu ihren Schreibtischen, morgens um halb neun in der Konzernzentrale von A.P. Moeller-Maersk in Kopenhagen. Sie gehen durch die Drehtür in die helle Eingangshalle, Frauen und Männer aller Hautfarben. Die nüchtern wirkende Halle könnte auch der Eingang zu einer Behörde oder Sparkasse sein. "Das Haus mit den blauen Augen" nennen die Kopenhagener das Gebäude, weil die Fensterscheiben draußen im Sonnenlicht so schön blau schimmern. Hier wird das größte Reedereiimperium gesteuert, das es je gab.

Michel Deleuran ist bester Dinge an diesem Morgen, obwohl am Himmel über dem alten Hafen dicke graue Wolken hängen. Und obwohl die Nachrichten zur Krise der Weltwirtschaft mit jedem Tag bedrohlicher klingen. Der Endvierziger mit dem französischen Namen - seine Vorfahren waren Hugenotten - ist als Vorstand zuständig für die Strategie von Maersk Line, der größten Containerreederei der Welt, dem Herzstück der maritimen Weltmacht von A.P. Moeller-Maersk. Auch die Großreederei leidet unter der Wirtschaftskrise, auf vielen Linienverbindungen fährt Maersk mit seinen Frachtern derzeit Verluste ein. Aber der Konzern will seine Flotte nicht, wie manche Konkurrenten, verkleinern, sondern sie sogar noch ausbauen. Wenn irgendein Schifffahrtsunternehmen diese Krise gut überstehen kann, meint Deleuran, dann sein Arbeitgeber: "Wir sind das globalste Unternehmen der Branche", sagt er.

Zu Deleurans Aufgaben zählen die Planung der Flotte, von Linienverbindungen rund um die Welt, Preisvorgaben für den Transport der Container auf den Schiffen. Das hat Gewicht am Markt. "Die Verkaufs- und Marketingabteilungen in unseren weltweiten Niederlassungen bestimmen dann die genauen Preise, je nach Lage", sagt der Manager. A.P. Moeller-Maersk ist einer der führenden Transporteure der Weltwirtschaft und zweifellos der größte auf den Meeren - der Konzern gebietet über 550 Containerfrachter.

Ohne Frachtschiffe gäbe es keine Globalisierung, keine industrielle Arbeitsteilung, die heutzutage bis in die hintersten Winkel der Welt reicht. Ohne Globalisierung wiederum hätte ein Reedereiriese wie A.P. Moeller-Maersk nie entstehen können, unter dessen Regie mehr als 1000 Schiffe fahren - Containerfrachter, Tanker, Versorger, Hafenschlepper. Praktisch alles was schwimmt, darunter die größten Containerschiffe, die bislang gebaut wurden, die 398 Meter lange "Emma Maersk" und ihre sieben Schwestern.

Vielleicht ist es ja nun vorbei mit der Globalisierung, vielleicht war es nur eine Illusion, dass der internationale Handel grenzenlos wächst, dass immer mehr und immer größere Schiffe den Weltmarkt zu einem einzigen Supermarkt machen. Die Krise wird zeigen, was übrig bleibt von all den Verheißungen der vergangenen Jahre. Michel Deleuran jedoch glaubt nicht an die Apokalyptiker, die derzeit auf der Flutwelle reiten. Am Fensterbrett seines Büros steht er vor einem Maersk-Frachter aus Lego-Bausteinen, auch dies eine Weltmarke aus Dänemark, und blickt auf den alten Hafen: "Ich habe 16 Jahre lang für Maersk in Asien gearbeitet", sagt er. "Wenn man längere Zeit dort gelebt hat, wird einem deutlich, welche immense wirtschaftliche Kraft und Dynamik im pazifischen Raum in den vergangenen Jahren zur Entfaltung gekommen ist. Allein deshalb glaube ich nicht an ein Ende der Globalisierung. Im Gegenteil."

Maersk und die Globalisierung der Wirtschaft, das ist ein und dieselbe Geschichte. So, wie aus den Märkten der Welt ein Weltmarkt wurde, so wurde aus einem dänischen Familienunternehmen ein Konzern von Weltrang. Gegründet hatten es zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Vater und der Großvater von Maersk Mc-Kinney Moeller. Der machte daraus ein Unternehmen mit heute 120 000 Mitarbeitern in 130 Ländern. Für die Öffentlichkeit ist Moeller seit Jahrzehnten so gut wie unsichtbar, obwohl sein Vorname auf so vielen Schiffen steht. Ein operatives Amt im Konzern bekleidet er seit seinem Abschied aus dem Aufsichtsrat im Jahr 2003 nicht mehr, aber er gehört noch immer einem einflussreichen "Beirat" an. Und seine Familie hält die Mehrheit der Stimmrechte bei A.P. Moeller-Maersk.

Mitte der 60er-Jahre übernahm Moeller die Führung des Unternehmens allein, und er führte es an die Spitze der maritimen Wirtschaft. Nicht nur Schiffe und Containerterminals gehören zum Konzern, auch eine eigene Werft in Odense und eine florierende Konzernsparte für die Förderung von Öl und Erdgas auf See. Dass Dänemark seinen Anteil am Energieboom in der Nordsee hatte und hat, verdankt das Land auch der Arbeit von A.P. Moeller-Maersk. Nicht unbedeutend für den Konzern ist schließlich dessen Präsenz im Einzelhandel, mit Bilka-Kaufhäusern und mit Supermärkten, auch in Deutschland.

Seine Macht zur See gründet Maersk ganz wesentlich auf seine Schlagkraft an Land. Keine andere Linienreederei hat ein Schwesterunternehmen mit Containerterminals in mehr als 20 Ländern, wie sie APM Terminals betreibt. "Die Entwicklung dieses Unternehmens ist bemerkenswert", sagt Detthold Aden, der Chef des Bremer Logistikkonzerns BLG Logistics. Dessen Tochterunternehmen Eurogate betreibt gemeinsam mit APM Terminals Containeranlagen in Bremerhaven und im italienischen Gioia Tauro. Dass die Bremer heute der wichtigste Partner von A.P. Moeller-Maersk in Deutschland sind, hatte für Hamburg seinen Preis: Im Jahr 2000 nahm Maersk Hamburg aus dem Liniendienst für seine großen Schiffe heraus. Den Dänen passte nicht, dass sie sich am neuen HHLA-Terminal in Altenwerder nicht beteiligen durften. So zogen sie an die Weser. Mittlerweile fahren die großen Maersk-Frachter aber auch wieder an die Elbe.

Hart und zielstrebig hat Maersk Mc-Kinney Moeller sein Unternehmen ausgebaut. Niemand beherrschte das Geschäft mit der Schifffahrt in den vergangenen Jahrzehnten so wie er. Ende der 90er-Jahre übernahm Maersk die amerikanische Reederei Sealand. Sie war Ende 50er-Jahre das erste Unternehmen überhaupt, das Container in der Frachtschifffahrt eingesetzt und damit die Transportwirtschaft revolutioniert hatte. Für die Schifffahrt war die Übernahme von Sealand durch Maersk so symbolträchtig, als hätte der finnische Handyhersteller Nokia von Bill Gates den Softwarepionier Microsoft gekauft.

Maersk ist eine Supermacht, auf den Weltmeeren und erst recht in Dänemark. Der Umsatz, den der Konzern für das Jahr 2008 mit umgerechnet 61 Milliarden Dollar angibt, entspricht mehr als einem Viertel der gesamten dänischen Wirtschaftsleistung. Diese ökonomische Wucht warf die Frage auf, wer im Lande der wahre Monarch sei. Neben der Konzernzentrale steht der Hauptpalast des Königshauses, der Anlieger der königlichen Yacht befindet sich unterhalb des Firmenparkplatzes von Maersk. "Herr Moeller", wie er in Dänemark schlicht genannt wird, stiftete Kopenhagen vor einigen Jahren für umgerechnet 335 Millionen Euro eine Oper, die 2005 eingeweiht wurde. Damit flankierte er die andere Seite des Hafenbeckens, in Sichtweite des Konzerns und des Palastes.

Eine öffentliche Figur wurde der Patriarch aber auch damit nicht. Michael Storgaard geht durch die Konzernzentrale von A.P. Moeller-Maersk in einen Kongresssaal mit Videowand. Storgaard, einer der Sprecher des Konzerns, zeigt einen Film über die Geschichte des Unternehmens. Der Film dauert gut 15 Minuten. Die Familie Moeller und ihr Oberhaupt kommen kaum eine Minute lang vor. Auch Storgaard mag die Rolle des großen Alten nicht weiter kommentieren: "Natürlich redet er noch mit. Es ist ja auch sein Unternehmen."

Aber die Kultur in diesem Unternehmen ist es immer weniger. "A.P. Moeller-Maersk hatte in rund 100 Jahren nur vier Vorstandsvorsitzende", sagt Storgaard. "In den vergangenen zehn Jahren ist die Gruppe im Umsatz um das Zehnfache gewachsen. Viele Positionen im Topmanagement wurden neu besetzt. Die Kultur des Unternehmens verändert sich deutlich."

Ende 2007 trat Nils Smedegaard Andersen an die Spitze des Unternehmens. Er kam vom Bierkonzern Carlsberg und war der erste Topmanager überhaupt, der nicht bereits in jungen Berufsjahren durch A.P. Moeller-Maersk geprägt worden war. Der gute Rat und das Erbe das alten Herrn Moeller sind noch da. Doch der Konkurrenzkampf um die Zukunft des Konzerns wird nicht nur mit Schiffstonnage und Terminalflächen geführt werden. Mehr denn je geht es in dieser riesigen Organisation nun darum, den besten Nachwuchs aus den Schulen und den Universitäten der Welt zu bekommen. "Wir müssen junge, talentierte Menschen für dieses Unternehmen gewinnen", sagt Storgaard. "Denn dem Nachwuchs ist völlig egal, welche Tradition dieses Haus hat." Auch dann, wenn es ein Haus mit blauen Augen ist und wenn darin die größte Reederei aller Zeiten residiert.