Hamburg. Wie Moritz Schularick, der neue Präsident des IfW Kiel, die Zukunft der Globalisierung sieht und was er der Politik vorwirft.
Schon der Name legt es nahe: Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) mit rund 170 Beschäftigten, darunter 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, befasst sich ganz wesentlich mit den Auswirkungen und der Zukunft der Globalisierung – nicht zuletzt auch mit Blick auf Norddeutschland.
Doch durch die Corona-Krise und die jüngsten geopolitischen Spannungen ist erhebliche Bewegung in dieses Forschungsgebiet des Instituts gekommen. „Es gibt Bestrebungen, aus Gründen der Versorgungssicherheit die Globalisierung ein Stück weit zurückzudrehen“, sagt Moritz Schularick, der neue Präsident des IfW. „Die US-Amerikaner machen das gerade sehr stark vor“ – aber wohl mit der Absicht, mehr Jobs im eigenen Land zu schaffen.
„Damit wird Sand ins Getriebe des Welthandels gestreut“, sagt Schularick. „Und wir werden dadurch ein bisschen ärmer, weil es teurer ist, Güter in Regionen mit höheren Kosten zu produzieren.“ Der Volkswirt, der Anfang Juni die Leitung des Kieler Instituts übernommen hat, wertet die neuen Entwicklungen durchaus als einen Umbruch: „Die Phase der naiven Hyperglobalisierung endet jetzt.“ Das habe auch Auswirkungen auf den Hamburger Hafen: „Die fetten Wachstumsjahre sind vorüber.“
„Die fetten Jahre für den Hamburger Hafen sind vorüber“
Auf der anderen Seite biete die Energiewende gerade für den Norden erhebliche Chancen. Allerdings ist sich Schularick nicht sicher, ob das Potenzial vollständig genutzt wird, zumal sich nicht nur Deutschland auf diesen Weg gemacht habe: „Durch das von der Regierung in Washington beschlossene 738-Milliarden-Dollar-Investitionsprogramm entfaltet die Modernisierung der US-Wirtschaft und die verstärkte Ausrichtung auf Nachhaltigkeit dort eine unglaubliche Dynamik. Wir dagegen sind zu zaghaft und klagen nur darüber, wie viel das alles kostet.“
Tatsächlich sorgen sich derzeit viele Menschen, der Klimaschutz über eine Bepreisung der CO2-Emissionen könne die soziale Ungleichheit noch verstärken. Schularick kann diese Sorge nach eigenem Bekunden gut verstehen, denn „schließlich war man in den zurückliegenden Jahrzehnten auch nicht gut darin, die Früchte der Globalisierung gerecht zu verteilen.“
Gerade die Pläne der Bundesregierung für das sogenannte Heizungsgesetz machten die Problematik sehr deutlich, findet der IfW-Präsident: „Man will Haus- und Wohnungsbesitzern, also Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren durch den Immobilienpreisanstieg sehr viel reicher geworden sind, Steuergelder dafür geben, dass sie auf eine CO2-neutrale Heizung umsteigen. Aber viele aus dieser Personengruppe können die Kosten sehr wahrscheinlich auch selber tragen.“ Menschen mit niedrigen Einkommen dagegen hätten gar keine Immobilien.
Politiker sind immer weniger bereit, auf fachkundigen Rat zu hören
„Irgendwer muss den Klimaschutz am Ende bezahlen“, so Schularick. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der entsprechende Umbau der Wirtschaft auf etwas längere Sicht auch erhebliche Wachstumsimpulse geben kann.“ Um dieses Wachstum aber realisieren zu können, müssen genügend qualifizierte Arbeitskräfte da sein. „Aus meiner Sicht gehört es zu den vordringlichsten Aufgaben der Politik, die Einwanderung von netto einer halben Million dieser Fachkräfte zu ermöglichen.“
Eng verbunden damit seien Ziele für den Wohnungsbau. „Aber anstatt solche Zukunftsaufgaben anzupacken, streitet man sich lieber darum, ob der Spitzensteuersatz 47 oder 48 oder besser 49 Prozent betragen sollte“, sagt der Wissenschaftler, der auch Professor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist. „Dabei haben viele Menschen nicht ganz unberechtigt das Gefühl, die Zeit für tatsächlich wichtige Weichenstellungen laufe ab.“
Verschärft wird dies aus Sicht von Schularick noch durch die abnehmende Bereitschaft von Politikern, auf fachkundige Beratung zu vertrauen: „In der Debatte über den richtigen Umgang mit dem drastischen Gaspreisanstieg im vergangenen Jahr hat sich in der deutschen Politik leider eine gewisse ‘Bunkermentalität’ gezeigt – man war nicht gewillt, ohne Rücksicht auf Ideologien die besten Köpfe für die Lösung des Problems einzuspannen.“ Es gebe die Tendenz, „nur das hören zu wollen, was man ohnehin selber meint.“ Im angelsächsischen Bereich sei das anders.
Die mittelfristigen Perspektiven für die Wirtschaft trüben sich ein
In der Frage, wie es mit der deutschen Wirtschaft weitergeht, ist jedoch die Fachwelt selbst tief gespalten. Während manche Volkswirte einen drastischen Abschwung befürchten, sehen andere keine Anzeichen dafür. „Nach meiner Einschätzung stehen wir nicht vor einer schweren Rezession“, sagt Schularick dazu. „Aber im Hinblick auf die mittelfristigen Perspektiven der deutschen Wirtschaft sind die Wolken dunkler geworden.“
Aufgrund der Krisen der vergangenen Jahre habe sich in der Gesellschaft ein „Gefühl der Ungewissheit“ breit gemacht, das lähmend wirke. Gleichzeitig hätten diese Krisen den Blick darauf gelenkt, dass nicht wirklich konsequent daran gearbeitet worden sei, die seit längerem bestehenden Defizite zu beseitigen. Abgesehen von dem noch immer fehlenden Konzept für die gezielte Zuwanderung von Fachkräften hinke Deutschland bei der Digitalisierung „hoffnungslos hinterher“, findet Schularick: „Für die Einstellungsunterlagen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel musste ich gerade noch 40 Seiten auf Papier ausfüllen.“ Und auch was die Infrastruktur angehe, sei Deutschland nicht mehr wirklich gut. „Dazu muss man sich nur ansehen, wie zuverlässig die Bahnverbindung zwischen Hamburg und Kiel ist.“
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In ihrem Bemühen, für Zukunftssicherheit zu sorgen, schießt die Politik nach Auffassung des Wirtschaftsexperten manchmal aber auch über das Ziel hinaus. Er denkt dabei die Gewährung sehr hoher Subventionsbeträge, die in den vergangenen Monaten bekannt geworden sind. „Investitionshilfen lassen sich rechtfertigen, wenn es darum gehen soll, langfristig wichtige Technologien im eigenen Land zu fördern“, sagt Schularick. „In vielen Einzelfällen kann man aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit und der Höhe haben. So scheint mir bei einer Subvention von zehn Milliarden Euro für eine Chip-Fabrik von Intel nahe Magdeburg der Preis doch sehr hoch zu sein.“
„Die Immobilienpreise dürften sich jetzt stabilisieren“
Zu der von Schularick angesprochenen Verunsicherung in der Gesellschaft dürften auch die Auswirkungen der im vorigen Jahr auf zeitweise fast neun Prozent hochgeschossenen Inflation – also der kräftige Zinsanstieg und damit der Einbruch der Immobilienpreise – beigetragen haben. „Nach dem rapiden Zinsanstieg liegen die Immobilienpreise in den Metropolen nun vielerorts um gut 20 Prozent unter den Höchstständen, wenn man die Inflation mit berücksichtigt“, so Schularick.
Im zweiten Quartal sei es mit den Verkaufserlösen aber „schon wieder leicht aufwärts gegangen, Ausreißer nach unten ist Hamburg“. Hier sanken die Preise für Eigentumswohnungen laut einer Studie der IfW Kiel noch einmal um fast vier Prozent. Nachdem sich derzeit aber abzeichne, dass die Zinsen nicht mehr deutlich weiter steigen, ergebe sich „wieder so etwas wie Planungssicherheit für den Immobilienmarkt“, sagt Schularick. „Vor diesem Hintergrund dürften sich die Preise jetzt stabilisieren.“
„In Berlin herrscht in Fragen der Globalisierung ein intellektuelles Vakuum“
Zu den Zielen des neuen IfW-Präsidenten gehört es, dem Institut künftig mehr Gewicht zu verschaffen. „Wir müssen in unserer wissenschaftlichen Arbeit noch besser werden“, sagt er. „Aber wir sehen auch die Notwendigkeit, in Berlin sehr viel präsenter zu sein, zumal dort im Hinblick auf Fragen der Globalisierung, von denen unser Wohlstand massiv abhängt, ein intellektuelles Vakuum herrscht.“ Daher werde man einen „schlagkräftigen Ableger“ des IfW in Berlin aufbauen. Die Kieler sind eines der fünf Institute, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums eine Gemeinschaftsdiagnose zur Konjunktur erarbeiten.
Während man im Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), das über nur ungefähr ein Zehntel der Stellenzahl des IfW verfügt und nicht zu diesem Kreis gehört, offen für eine etwas stärkere Kooperation der Norddeutschen bei Themen von gemeinsamem Interesse ist, klingt Schularick in dieser Beziehung eher zurückhaltend: „Sicher ist es sinnvoll, mit dem HWWI an der einen oder anderen Stelle zusammenzuarbeiten. Was ihre jeweilige Aufgabe auf der nationalen Ebene angeht, unterscheiden sich die beiden Institute aber recht klar.“