Hamburg. Immer weniger Männer tragen Schlips. Aber Hamburgs einzige Herstellerin verzeichnet Umsatzplus. Was am Männerhals im Trend ist

Als die Verantwortlichen für die Tagesschau im vergangenen Oktober die Krawattenpflicht für ihre Moderatoren in den Nachtsendungen kippten, war das kaum mehr als eine Randnotiz. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass ein Nachrichtensprecher ohne Schlips undenkbar gewesen wäre.

Inzwischen nimmt es auch niemand den Chefs von Großkonzernen und Banken, Politikern, selbst dem Bundeskanzler, mehr übel, wenn sie ohne oben erscheinen. Sogar im exklusiven Hamburger Übersee-Club müssen die Herren nur noch abends Schlips tragen.

Den letzten Krawattenmann des Jahres hat das Deutsche Modeinstitut vor vier Jahren gekürt. Das hat schon etwas von einer Emanzipation, der Befreiung vom kollektiven Zwang am Männerhals. Ist die Krawatte noch zu retten?

Mode Hamburg: Stirbt die Krawatte aus? Eine Frau will den Mode-Klassiker retten

Eine, die es wissen muss, ist Anja Kölln. Die Unternehmerin ist die einzige Krawatten-Herstellerin in Hamburg. Gestreift, gepunktet, kariert, einfarbig, mit Paisley-Muster, Ankern oder Elefanten – mehr als 1000 verschiedene Modelle hat sie in ihrem Showroom im ModeCentrum in Schnelsen, von ecru über dunkelblau bis orange.

Ihr Geschäft hat sich in den vergangenen Jahr stark gewandelt. Einfacher geworden ist es nicht. Klar: Sie hält wenig davon, dass kaum noch Schlips getragen wird. „Es ist ein Stilelement und eine Möglichkeit, sich von anderen zu unterscheiden“, sagt die Unternehmerin.

Krawatten-Zwang: Corona hat das Ende deutlich beschleunigt

Seit sie 1987 in den Familienbetrieb eingestiegen ist, den ihr Großvater Theo Kölln vor 90 Jahren in Wandsbek gegründet hatte, ist die Kleiderordnung immer lockerer geworden. Die Corona-Pandemie hat das noch mal beschleunigt.

In nur zwei Jahren hat eine Entwicklung stattgefunden, die unter normalen Bedingungen zehn Jahre gedauert hätte, heißt es bei den Trend-Experten vom Deutschen Modeinstitut. Wer sitzt schon mit Schlips im Homeoffice? Gerade mal 4,2 Millionen Krawatten wurden nach Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie 2022 in Deutschland verkauft.

Anja Koelln kämpft mit neuen Trends gegen das Aussterben der Krawatte an – und sie hat Erfolg dabei.
Anja Koelln kämpft mit neuen Trends gegen das Aussterben der Krawatte an – und sie hat Erfolg dabei. © FUNKE Foto Services | Andreas Laible

Die Kunden von Anja Kölln sind große Bekleidungsfirmen und Filialisten, aber auch kleine Boutique-Besitzer und Firmenkunden. Neben Krawatten, Fliegen und Einstecktüchern entwirft sie auch Tücher und Schals – alles individuell und in kleiner Serie.

Für den FC St. Pauli hat sie Schlipse und Fliegen mit Totenköpfen designt. Für das NDR Elbphilharmonie Orchester ist eine kleine Kollektion nach einem Ortstermin im großen Saal entstanden. „Abgestimmt in Muster und Farbe auf das Interieur der Elbphilharmonie“, sagt die Hamburgerin. „Jeder Musiker wählt seine Krawatte. Nicht unisono, sondern mehrstimmig, in Harmonie mit dem Raum.“

Krawatten-Herstellerin: Die letzten Jahre waren schwierig

Trotzdem waren auch für die Hamburger Krawatten-Herstellerin die vergangenen Jahre eine Herausforderung. Ihr Vorteil: Sie hat zahlreiche Stammkunden, mit denen sie schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Für den Sommer 2024 sind die aktuellen Kollektionen schon unter Dach und Fach, abgestimmt auf die Farbkonzepte und Themen der Unternehmen.

„Es sind florale Themen, Blüten und Blätter aus dem hiesigen, mediterranen und asiatischen Raum“, sagt sie und nimmt eine Musterkarte von einem der großen Entwurfstische im hinteren Bereich ihrer Geschäftsräume. Die Regale drumherum sind voll von Kisten mit Entwürfen und Mustern aus fast vier Jahrzehnten.

„Die Kunst ist, den Dessins einen neuen Twist zu geben. Es muss immer etwas anders sein als vorher, gerade wenn die Nachfrage sich ändert“, sagt Anja Kölln. Produziert wird in ausgewählten Webereien in Norditalien. Sie entwirft auch eigene Kollektionen, die sie unter der Marke Anja Kölln und Royal Ties verkauft. „Ich habe das Unternehmen verschlankt.“

Schon vor Corona hatte sie ihre Firmenfläche mit großem Lager im ModeCentrum reduziert und Mitarbeiter, die gingen, nicht ersetzt. „Seitdem arbeite ich mit dem kleinen Team sehr effizient, aber nicht mit weniger Freude.“

Herrenausstatter Policke verkauft deutlich weniger Schlips und Fliege

Dass viele Männer lieber auf den Halsbinder verzichten, macht sich auch bei den Modehändlern in der Hansestadt bemerkbar. „Wir verkaufen noch Krawatten, aber deutlich weniger“, sagt Benjamin Burchard, Juniorchef beim Herrenausstatter Policke in St. Georg.

Waren es vor Corona noch mehr als 12.000 Schlipse im Jahr, ist die Zahl auf rund 8000 gesunken. Vor allem die typische Bürokrawatte werde kaum noch nachgefragt. Auch Peek & Cloppenburg hat auf die sinkende Nachfrage reagiert und die Fläche für Krawatten im Kaufhaus an der Mönckebergstraße deutlich reduziert. Aktuell gibt es dort noch etwa 700 Modelle. Verkaufszahlen nennt das Unternehmen nicht.

Krawatten bei besonderen Anlässen – Hochzeit, Abitur oder großem Fest

Das Modecenter Nortex in Neumünster ist bekannt für eine besonders große Auswahl des Männer-Accessoires. Mehrere Tausend Modelle mit unterschiedlichen Designs, Breiten und Längen sind in der Oberwarengruppe 35 gelistet, unter der Krawatten und Fliegen bei dem Textilhändler fallen. „Wir nähern uns inzwischen wieder Verkaufszahlen wie vor Corona“, sagt Dirk Dellweg, Leiter und Einkäufer des Herrenmodebereichs. Nach dem Tiefpunkt 2021 konnten die Neumünsteraner schon im vergangenen Jahr deutlich mehr Schlipse an den Mann bringen. Im ersten Halbjahr sind die Absatzzahlen nochmals gestiegen.

„Bei besonderen Anlässen wie Hochzeit, Abitur oder großen Festen wird auch weiterhin Krawatte getragen“, sagt der Herrenmoden-Experte. Ehrensache, dass Dellweg nie ohne Krawatte in den Laden kommt. An diesem Tag ist sie dunkelblau mit klein gemusterten roten Kreisen. Dabei setzt er beim Einkauf vor allem auf kleine Manufakturen mit hochwertigen und individuellen Sortimenten. Am liebsten sogar „Made in Germany“. Das hat seinen Preis. Bei Nortex kosten die Binder von 60 Euro an aufwärts. Für die Zukunft ist der überzeugte Schlipsträger Dellweg optimistisch. Auch wenn die Zeit der Büro-Krawatte wohl unwiderruflich vorbei sei, „die Krawatte als Modeaccessoire kommt wieder.“

Fliegen – oder im Fachjargon Schleifen – sind im Trend

Ähnlich sieht es Benjamin Burchard von Policke Herrenkleidung. Er beobachtet aktuell, dass die Männer mehr Farben tragen. „Wir verkaufen Anzüge in Hellblau, Grün und in Beerentönen.“ Auch bei den Halsbindern zeichne sich ein Wandel ab.

Fliegen oder Schleifen, wie es im Fachjargon heißt, sind gerade ein Trend. „Wenn es wieder mehr Muster bei Krawatten gibt, wird das für die Herren wieder interessanter. Als Hingucker“, prognostiziert er. Auch bei Peek & Cloppenburg verkaufen sich florale Muster und glänzende Stoffstrukturen. „Allzu streng dürfen Krawatten-Dessins aktuell nicht sein. So haben etwa Streifen-Dessins keine Bedeutung“, heißt es.

Krawatten-Herstellerin will noch bis zum 100-jährigen Firmenjubiläum weitermachen

Ist die Krawatte also doch zu retten? Die Hamburger Unternehmerin Anja Kölln hat da keinen Zweifel. Im Moment gelte leider fast einstimmig: ohne Krawatte ist modern, mit Krawatte gestrig. „Aber das ist viel zu einseitig“, sagt sie. Gerade jüngere und modebewusste Männer zeigten wieder mehr Interesse an Schlips und Schleife.

Auch bei ihr steigen die Umsätze. Im ersten Halbjahr 2023 um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Deshalb ist es für sie auch keine Frage, dass sie weitermacht: „Mindestens bis die Firma 100 Jahre alt wird.“