Hamburg. Modegeschäfte wie Policke und Outdoorspezialisten wie Globetrotter schöpfen wieder leise Hoffnung. Doch die City wird sich verändern.

Es gibt wohl Schöneres, als an diesem warmen Frühsommertag einen Anzug einzukaufen. Doch wer zu Policke kommt, hat etwas vor. Eine Konfirmation, eine Abifeier, und dafür muss „Mann“ auch einmal zum Shoppen ausrücken, egal, ob das Wetter eher zum Grillen einlädt.

Vor dem Eingang des Herrenausstatters in St. Georg mit seinen grauen Dreiteilern im Schaufenster bildet sich bereits eine Warteschlange, Autos rollen auf der Suche nach einem Parkplatz durch die Straße, lassen den Staub im Sonnenlicht tanzen, sodass die letzten Wartenden wie hinter einem Vorhang im Dunst stehen. „Ich gebe dir etwas dazu“, sagt eine ältere Frau zu einem jungen Mann in Shorts, der nicht mehr im Abialter ist, vielleicht schon eher als Bräutigam durchgehen kann.

Kunden kaufen in Hamburg derzeit anlassbezogen

„Derzeit kaufen die meisten Kunden anlassbezogen“, sagt ein Verkäufer in dem urigen, von engen Fluren durchzogenen Geschäft, und meint damit Familienfeste, die nach langer Zeit der strengen Corona-Regeln jetzt wieder in größerem Rahmen erlaubt sind. Verschobene Kommunionfeiern werden nachgeholt, auch Hochzeiten geben wieder Grund, sich aufzuhübschen.

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„Businessoutfits gehen dagegen gegen null“, weiß der smarte Hamburger, der bereits seit 40 Jahren in dem Kultladen in St. Georg die Kundschaft bedient und so etwas noch nicht erlebt hat. Zwar entfällt Ende des Monats die Pflicht zum Homeoffice, doch scheinen sich die Leute an die legeren Outfits gewöhnt zu haben und auch keine neuen Anzüge zu suchen, die dem zu Hause auf dem Sofa angegessenen Corona-Bäuchlein noch Luft zum Atmen lassen.

Zurückhaltung bei Büro-Bekleidung

Die Zurückhaltung bei Bekleidung für Banker und andere Büromenschen trifft auch Eterna. Der Hemdenhersteller ist in die roten Zahlen gerutscht. Recht bequem soll es stattdessen heute sein: Allein in Niedersachsen stieg die Importmenge von Jogginghosen in der Coronazeit um 21,3 Prozent auf mehr als 1,5 Millionen Stück.

Dass Corona die Lust zum ordentlichen Aussehen gedämpft hat, zeigen auch die Zahlen der Modebranche im Allgemeinen: Nur knapp die Hälfte der Deutschen habe in den ersten vier Monaten überhaupt Fashionartikel gekauft, berichteten Marktforscher.

Angst vor einem weiteren Lockdown

Claus Burchard, Inhaber von Po­licke, spricht von einem aktuellen Umsatzminus von knapp 50 Prozent. Vor allem die Begrenzung der Kundenzahl pro Quadratmeter, die Scheu mancher vor dem Einlass mit der Luca-App und das geänderte Kaufverhalten machten ihm auch noch nach dem Ende der Zwangsschließungen das Leben schwer. „Und wir wissen ja nicht, was jetzt kommt, vielleicht ein weiterer Lockdown?“, sagt Burchard, der nach dem Ausscheiden von einer Reihe von Verkäufern aus Altersgründen auch seinen Personalbestand weiter gering halten möchte.

Mit seiner Unsicherheit ist der 64-Jährige nicht allein, auch wenn er in einer speziellen Situation ist: Burchard setzt mit Policke auf ein umgebautes Wohnhaus in günstiger Lage, mit Anzügen auf mehreren Etagen. Die Tatsache, dass er keine hohen Mieten, dafür aber eine über mehrere Generationen reichende Stammkundschaft bedient, helfen ihm durch schwere Zeiten.

Umsätze der Innenstadt liegen im Vergleich zu 2019 bei minus 20 bis 30 Prozent

Doch die Hälfte der Betriebe im Bereich Mode/Bekleidung sehen ihre unternehmerische Existenz in akuter Gefahr, sagt Brigitte Nolte vom Handelsverband Nord, der Tausende Geschäfte in den norddeutschen Bundesländern vertritt.

Händler in der Hamburger City leiden ebenfalls noch unter den Auswirkungen der Pandemie. „Die Umsätze der Innenstadt liegen im Vergleich zu 2019 bei minus 20 bis 30 Prozent“, sagt Brigitte Engler. Die Geschäftsführerin des City Management will dennoch nicht klagen: „Damit sind wir derzeit zufrieden.“ Hoffnung macht den Geschäften in der City, dass die Hamburg Tourismus GmbH die Vermarktung der Stadt als Ziel für Gäste wieder aufgenommen hat. „Wir freuen uns, dass wir bald wieder Touristen und Tagesgäste begrüßen dürfen“, sagt Brigitte Engler. Diese Klientel sei für die Innenstadt von großer Bedeutung.

Shopping findet jetzt in der Nähe des Wohnorts statt

Der Outdoorausrüster Globetrotter, der neben seinem Stammhaus in Barmbek auch einen Laden in der City betreibt, spricht von einem „tollen Gefühl, wieder Kunden begrüßen zu dürfen, nach über fünf Monaten eines kaum existierenden Geschäftes“, sagt Andreas Bartmann. Der Geschäftsführer des Anbieters für Freizeitkleidung verbucht wieder „nennenswerte Umsätze, auch wenn diese noch nicht das Niveau der Vorjahre erreicht haben“.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

So hat Corona auch dazu geführt, dass speziell in Großstädten die Kundschaft ausbleibt: Sie profitieren normalerweise davon, dass tagsüber zahlreiche Menschen von ihren Wohnorten in den Vorstädten oder im Umland zu ihren Arbeitsplätzen in den Metropolen pendeln und dort dann auch Geld ausgeben. Durch den Boom des Homeoffice sei die Zahl dieser Pendler deutlich gesunken, berichten Marktforscher. Die Betroffenen hätten ihre Einkäufe stattdessen häufig an ihrem Wohnort erledigt, sodass die coronabedingten Umsatzeinbrüche dort deutlich geringer ausgefallen seien. Davon hätten Mittel- und Kleinstädte im Umfeld der Metropolen profitiert.

Leerstände an der Mönckebergstraße

Wie 2020 blieben die Einheimischen zum Einkaufen zudem eher in ihren eigenen Stadtteilen, berichtet Brigitte Engler über die veränderten Shoppinggewohnheiten. Beim Bummeln durch die Umgebung der Spitalerstraße bestätigt sich, dass hier noch nicht wieder das große Gedränge herrscht. Vereinzelt stehen Grüppchen von Kunden vor den Eingängen von Zara, C&A oder Görtz und aktivieren am Smartphone ihre Luca-App. Viele Geschäfte aber sind fast leer. Auch große Flächen mit nicht abverkaufter, reduzierter Ware aus dem vergangenen Jahr, wie bei P&C, zeigen den Kunden, dass die Zeit des normalen Shoppens noch nicht wieder angebrochen ist.

Dabei machen den Kaufleuten nicht nur die Leerstände etwa an der Mönckebergstraße mit den aufgegebenen Flächen von Kaufhof und Karstadt Sport, sondern auch Lücken in anderen Einkaufsstraßen zu schaffen. Policke-Inhaber Burchard nennt Bergedorf als Beispiel, dort stünden in der Fußgängerzone Sachsentor etliche Geschäfte leer.

Vielfalt des stationären Handels in Gefahr

Fraglich ist auch, inwieweit der stationäre Handel in seiner bisherigen Vielfalt überhaupt noch eine Zukunft hat. Insolvenzen wie von Tally Weijl, Esprit, Adler oder Hallhuber haben die Überkapazitäten in der Mode zum Teil schon vor Corona zutage treten lassen. Marktforscher rechnen zudem damit, dass sich Onlineshopping auf Dauer auf ein deutlich höheres Niveau einpendeln wird als vor Corona. Amazon baut bereits vor und stellt in Deutschland 5000 neue Mitarbeiter ein.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Trotz dieser Hemmnisse siedeln sich in etlichen Einkaufsmeilen auch neue Shops an. Etwa der skandinavische Anbieter von Funktionsbekleidung „Rains“ in der Europa Passage, ein neues Lacoste-Geschäft im AEZ oder ein Shop von Scotch & Soda im Levantehaus.

Neuer Mietermix

Handelsexperten gehen nun davon aus, dass nicht automatisch immer neue Textilhäuser nachrücken. Es etabliere sich eher ein neuer Mietermix. „Mit der Neueröffnung von Hardeck am Gänsemarkt zeigt sich ein Wandel im innerstädtischen Einzelhandelsangebot“, sagt etwa Brigitte Nolte über den Einzug eines Möbel- und Küchenstudios in der Bestlage. In Zukunft werde die Dominanz von Mode und Bekleidung durch andere Angebote – auch außerhalb der Handelsnutzung – durchbrochen.

Beispiel Überseequartier: In der neuen Erlebnis-Meile in der HafenCity, die 2023 an den Start geht, sollen auch Freizeitangebote die Menschen anlocken. Policke-Inhaber Burchard hofft, dass Hamburg die Baustellen besser koordiniert und es Autofahrern nicht allzu schwer macht, zum Shoppen in die City zu kommen. Auch für die leer stehende Immobilie von Kaufhof hat der kreative Kaufmann eine Idee: „Vielleicht könnten Markthallen wie in Spanien hier für eine neue Belebung sorgen.“