Hamburg. Direktor der Hamburger Denkfabrik kritisiert die Energiepreisbremsen. Was er bei der Inflation und für Hamburgs Wirtschaft erwartet.

Der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Klima ist ein Spezialgebiet der Forschungsarbeit von Michael Berlemann. Aus dieser Fachkenntnis heraus kann der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) der Politik für ihren Umgang mit dem Klimawandelkeine gute Note ausstellen. „Die Corona-Pandemie und vor allem die Krise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine waren der Lackmustest für die Frage, wie wichtig uns das Klima ist“, sagt Berlemann. Aus seiner Sicht sind seitdem große Chancen vertan worden.

„Die steigenden Energiepreise waren eigentlich das Signal, dass wir dauerhaft unser Verhalten verändern müssen. Die Maßnahmen der Bundesregierung haben die Preissignale hingegen zu unterdrücken versucht. Das ist kein geeigneter Weg, um den CO2-Ausstoß in dem erforderlichen Ausmaß zu begrenzen“, urteilt der Wissenschaftler. „Das stimmt mich nicht optimistisch.“ Es werde Deutschland künftig immer noch schwerer fallen, die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen. „Den Preis dafür zahlen wir nicht heute, aber morgen und übermorgen.“

HWWI-Chef: Die Politik tut zu wenig für den Klimaschutz

Schon die Benzin- und Gaspreisbremsen waren aus Sicht von Berlemann ein Fehler. „Das Signal der deutlich erhöhten Energiepreise hätte dazu führen können, dass sich viel mehr Menschen fragen, ob sie wirklich ein so großes Auto brauchen, ob sie damit nicht zu viel fahren oder ob sie auf die richtige Weise heizen.“

Natürlich hätte die Politik gezielt denen helfen müssen, die zum Beispiel durch den Gaspreisanstieg in finanzielle Not geraten, sagt der Ökonom, der seit März 2022 wissenschaftlicher Leiter des HWWI ist. „Aber stattdessen hat man entschieden, in die Preise einzugreifen, weil man aus parteitaktischen Gründen möglichst niemandem etwas zumuten wollte.“ Von der Benzinpreisbremse hätten dann vor allem die Vielfahrer und die Besitzer PS-starker Fahrzeuge profitiert.

„Es ist unehrlich, nicht zu sagen, dass Klimaschutz uns etwas kosten wird“

Berlemann hält es für „unehrlich“, den Menschen nicht sagen zu wollen, dass Klimaschutz uns etwas kosten wird: „Wir werden keine Lösung finden, bei der niemand mehr zahlt. Aber langfristig werden wir auch etwas davon haben“ – zum Beispiel angenehmere Temperaturen, weniger Extremwetterereignisse, mehr Biodiversität und eine auch in unseren Breiten noch funktionierende Landwirtschaft.

Kritisch setzt sich Berlemann auch mit öffentlichen Subventionen wie den zehn Milliarden Euro auseinander, die der US-Konzern Intel für den Bau eines Chip-Werks nahe Magdeburg erhalten soll. „Man kann schon Zweifel haben, ob Staatshilfen in dieser Größenordnung sinnvoll sind und ob das Geld nicht in Infrastrukturprojekten oder in der Bildung besser angelegt werden könnte“, findet der HWWI-Direktor – zumal angesichts des ohnehin angespannten Arbeitsmarkts die Beschäftigten für das neue Werk von anderen Unternehmen „abgesaugt“ würden: „Viele Mittelständler werden leiden.“

Der Experte erwartet für 2023 ein Schrumpfen der Wirtschaft – auch in Hamburg

Allenfalls könne man argumentieren, dass Staaten wie die USA, Frankreich und Großbritannien ja nun einmal systematisch Industriepolitik betreiben und Deutschland daher ebenfalls zu Subventionen gezwungen sei, um zukunftsfähige Arbeitsplätze im Land zu halten und am technischen Fortschritt teilzuhaben.

Nachdem Deutschland schon im Winterhalbjahr in eine leichte Rezession gerutscht ist, erwartet Berlemann auch für das Gesamtjahr eine Abnahme des Bruttoinlandsprodukts um real 0,5 Prozent. „Das hat auch mit den Zinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank zu tun“, sagt der Experte. Er erwartet, dass es in diesem Jahr noch eine oder zwei Leitzinserhöhungen geben wird.

„Zwar bremst das die Wirtschaft noch mehr, aber das soll es ja auch, um der Inflation entgegenzuwirken“, sagt Berlemann. Weil Geldpolitik aber nur mit langer Verzögerung wirke, müsse man für 2023 immerhin noch mit einem Verbraucherpreisanstieg von etwa sechs Prozent im Jahresschnitt rechnen. Erst im kommenden Jahr werde sich die Inflationsrate mit voraussichtlich 2,8 Prozent wieder der Zielrate der Notenbank von 2,0 Prozent annähern. Das bedeutet allerdings auch, dass die Preissteigerungen bis Jahresende abermals höher liegen werde als der Zins und Sparer damit noch einmal Vermögenseinbußen erleiden.

Die Arbeitslosenzahl wird trotz der Rezession nur leicht zunehmen

Trotz schrumpfender Wirtschaftsleistung wird der Arbeitsmarkt nach Einschätzung von Berlemann recht robust bleiben: „Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr nur leicht von 2,4 Millionen auf 2,6 Millionen erhöhen wird.“ Denn der demografische Wandel habe den Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren „weitgehend geräumt“. Unternehmen seien daher bestrebt, ihre Beschäftigten zu halten, soweit es geht, weil es sonst absehbar sehr schwer werde, Lücken in der Belegschaft später wieder zu füllen. „Vor zehn Jahren hätte sich eine Rezession ganz anders auf die Arbeitslosenzahl ausgewirkt“, sagt der HWWI-Chef.

Während Hamburgs Wirtschaft in der Corona-Krise deutlich stärker litt als das übrige Deutschland und sich dafür wegen des hohen Dienstleistungsanteils im vorigen Jahr erheblich kräftiger erholte, dürfte sich die Wirtschaftsleistung in der Hansestadt in diesem Jahr ganz ähnlich entwickeln wie in der Bundesrepublik insgesamt, so Berlemann. Auch der Außenhandel sei mengenmäßig betrachtet nicht so stark, dass es für einen deutlich positiven Impuls für Hamburg reiche.

Ob die Energiepreise zum Jahreswechsel noch einmal so drastisch hochschießen werden wie im vergangenen Jahr, hängt nach Auffassung des Wissenschaftlers vor allem davon ab, ob der Winter diesmal strenger ausfällt als der zurückliegende, der vergleichsweise mild war. „Auf der einen Seite ist LNG teurer als das Gas, das wir früher in Russland gekauft haben“, sagt Berlemann. „Aber andererseits haben wir gesehen, wie groß die Einsparpotenziale der Haushalte und der Wirtschaft sind, und viele Unternehmen sind auch nicht mehr so sehr von einem einzigen Energieträger abhängig wie früher.“ Vor diesem Hintergrund bestehe Grund zu der Hoffnung, dass die Energiepreise nicht abermals so heftig hochschnellen wie im Herbst 2022.