Hamburg. Die sündige Meile auf St. Pauli kennt wohl jeder. Doch auch in Hausbruch gibt es eine Reeperbahn. Ein Ortsbesuch.
Die Reeperbahn liegt auf St. Pauli. So weit klar. Einen knappen Kilometer zieht sich Hamburgs sündige Meile, deren Ruf weit über die Grenzen der Stadt reicht. Weniger bekannt ist, dass es auch eine Reeperbahn in Hausbruch gibt. Man könnte auch sagen, eine echte Reeperbahn.
Auf einer Länge von 342 Metern produziert die Seilerei Lippmann dort Tauwerk. Das ist handfestes Handwerk, wie es die Reepschläger seit Jahrhunderten machen. Drehen und flechten statt feiern und tanzen. Auch auf dieser Reeperbahn werden gute Geschäfte gemacht. Die Produkte des alteingesessenen Familienbetriebs gehen in die ganze Welt.
Von wegen St. Pauli – die echte Reeperbahn ist ganz wo anders
Ortstermin auf der Reeperbahn mittags um 12 Uhr: Sergej Heinze ist seit 6 Uhr bei der Arbeit. Jetzt steht er an einer Maschine und fädelt Schnüre in sehr kleine Löcher einer sehr schweren Lochscheibe. Mehr als 150 Fäden sollen hier zusammenlaufen. Kollege Vassilij Janitschkin steht dahinter und versucht, die Rollen, von denen das Garn abläuft, in die richtige Ordnung zu bringen. Das sieht nicht nur kompliziert aus. Es ist kompliziert.
Schon ein kleiner Fehler kann dazu führen, dass sich die Garne während des Betriebs der Reeperbahn verheddern. Einziges Hilfsmittel ist ein handgeschriebener Zettel mit Zahlen, die den Seilern die Maße für das bestellte Tau vorgeben: eine Scheuerleiste zum Schutz des Rumpfs eines niederländischen Bootes – mehr als 200 Meter lang, dick wie ein Baumstamm und knapp eine Tonne schwer. Preis: etwa 8000 Euro.
„Die Reeperbahn funktioniert noch genauso wie vor mehr als 170 Jahren, als das Unternehmen gegründet wurde“, sagt Tom Lippmann. Er ist gerade mal 26 Jahre alt und der Juniorchef des Familienbetriebs in sechster Generation. Was sich geändert hat, sind die Anwendungen der Seile und Taue. „Für den Hafen und die Fischerei machen wir kaum noch was. Die bekommen ihr Tauwerk günstiger in Asien“, sagt Lippmann, der nach einer kaufmännischen Ausbildung im Schnelldurchlauf noch eine Seilerlehre gemacht hat. Gemeinsam mit seiner Mutter Stefanie führt er seit zwei Jahren die Geschäfte der Lippmann German Ropes GmbH.
St. Pauli? Die Reeperbahn in Hausbruch ist eine der letzten in Europa
Wer allerdings glaubt, Seil ist gleich Seil, der ist schief gewickelt. „Die Arbeit ist sehr vielseitig und komplex“, sagt Tom Lippmann. Hightech-Seile für die Forstwirtschaft, Windenseile für Segelflugzeuge, Festmacher für Luxus-Yachten, Spezialanfertigungen für Seiltänzer, Klettertaue und -netze für Spielplätze, Kratzbäume für Katzen und Beißwürste für Hunde gehören zum Repertoire der Seilerei genau wie die Seile, an denen Spidercams in Fußballstadien hängen, bis zu Angelschnüren – etwa 3000 Produkte insgesamt. „Im Prinzip können wir alles herstellen, wo Tauwerk gebraucht wird“, sagt der Juniorchef. Kleinster Durchmesser der Produkte ist 0,1 Millimeter, der größte 30 Zentimeter.
Während Lippmann entlang der Reeperbahn durch die große Produktionshalle führt, rattert und sirrt es an mehr als 150 Maschinen. Bis zu 15 Arbeitsschritte sind notwendig, bis ein Seil oder Tau fertig ist. Der Unterschied: Seile werden – zumeist maschinell – geflochten, Taue gedreht. Oder, wie man früher sagte, ausgetrieben und geschlagen. Damit hatte 1850 alles angefangen, als Seilermeister Friedrich Lippmann in Altenwerder seinen Betrieb gründete. 1982 musste die Seilerei den Stammsitz im Zuge der Hafenerweiterung verlassen. Klaus Lippmann, ein studierter Textilingenieur, baute die Fabrik auf 14.000 Quadratermetern samt 342 Meter langer Reeperbahn. „Das war sehr vorausschauend“, sagt Enkel Tom Lippmann heute. „In Europa sind wir einer der letzten Betriebe, die noch eine Reeperbahn haben.“
Reeperbahn mit ihren 342 Metern zählt zu den größten ihrer Art
Ein weiterer ist fast in direkter Nachbarschaft, die Firma Lohmann Tauwerk. Deren Reeperbahn sei sogar noch ein bisschen länger, weiß Tom Lippmann. Dafür sei ihre größer. Ganz dicke Seile und Taue in XXL-Länge bis 220 Meter lassen sich darauf produzieren. „Das geht mit den Maschinen nicht“, sagt Tom Lippmann. An diesem Tag steht der schwere Wagen mit rotierenden Haken still, der die Seilstränge ineinander verdreht. Es dauert mehrere Stunden, bis Sergej Heinze und Vassilij Janitschkin alles eingerichtet haben. Dann geht es auf dem Gleis über die Reeperbahn. Fünf Männer braucht man, damit das reibungslos läuft. In mehreren Arbeitsschritten werden die Seilstränge, die sogenannten Litzen, gedreht, die dann zu dicken Tauen weiterverarbeitet werden können.
Solche, auf denen Kinder auf dem Spielplatz balancieren lernen. Der Outdoor-Bereich ist ein wichtiges Standbein für den Traditionsbetrieb. In der Taklerei hängen Rollen mit den dicken Tauen in verschiedenen Größen – und mit einer Besonderheit. „Faserseile für Spielplätze haben einen Kern aus Drahtseilen, damit sie robuster sind. Außerdem dient das Drahtseil meistens als Aufhängepunkt an den Spielgeräten“, sagt Tom Lippmann. Ein Mitarbeiter steht vor einem roten Netz. In der Hand hat er einen sogenannten Hohlspieker, mit dem er die Seile verspleißt. Auch das ist weiterhin reine Handarbeit. Und eine körperlich anstrengende dazu.
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Reeperbahn in Hausbruch: Familienbetrieb kämpft um Personal
„Seiler gibt es heute kaum noch“, sagt Tom Lippmann. Auch der Familienbetrieb hat schon seit Jahren keine neuen Lehrlinge mehr ausgebildet. „Meine Mutter hat es versucht, aber es hat nicht geklappt.“ Die einzige Berufsschule ist in Bayern. Bei Lippmann German Ropes sind der Juniorchef und seine Mutter die Einzigen der 40 Beschäftigten mit einer Fachausbildung. Alle anderen sind angelernt. Zu den Geschäftszahlen will er sich nicht äußern. „Das Geschäft läuft“, sagt Lippmann junior. Das Hauptproblem sei, Personal zu finden.
Dass er selbst inzwischen so fürs Seilemachen brennt, hat auch mit seiner Leidenschaft fürs Segeln zu tun. Seine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann hatte Tom Lippmann bei einem Yachtausrüster gemacht. Inzwischen entwickelt er selbst spezielles Tauwerk für Segelboote, das auch Hochleistungsansprüchen genügen soll. Als Tester hat er die beiden jungen deutschen Profi-Segler Melwin Fink und Lennart Burke gewonnen. Aktuell verkauft er seine Produkte schon an Segelmacher und Yachtausrüster. Auch im firmeneigenen Laden im Yachthafen Finkenwerder, den sein Vater betreibt, gibt es die Entwicklungen des Juniors. Mittelfristig will er den Bereich zu einem größeren Geschäftsfeld ausbauen. Sicher ist: Auf der größten Reeperbahn Deutschlands ist noch lange nicht Schluss.