Hamburg. Präsident Hjalmar Stemmann legt Plan für mehr Nachwuchs im Handwerk vor. Warum Frauen dabei eine so wichtige Rolle spielen.
Hjalmar Stemmann steht am Fenster seines Büros in der Handwerkskammer am Holstenwall. Vor ihm auf der Fensterbank liegt eine Meisterurkunde, in der Hand hält er einen Füllfederhalter. In lesbarer Schrift setzt er seine Unterschrift links unten auf das DIN-A4-Papier. „Tausendmal mache ich das im Jahr“, sagt der Präsident der Handwerkskammer, inklusive Schmuckurkunden. Ob die Hand davon schon schmerzt? Stemmann schüttelt den Kopf, lacht. „Nein“, sagt er. „Alles Gewöhnung …“ Sorgen hat er dennoch – und zwar mit Blick auf den Nachwuchs.
Die Auszubildenden, die Gesellen, die Meister von morgen fehlen in Hamburg – und zwar vor allem in den Gewerken, die für die Energiewende benötigt werden. Stemmann will mit seinem Plan gegensteuern.
Handwerk Hamburg: Der Plan für mehr Nachwuchs
Er verweist auf aktuelle Zahlen für freie Ausbildungsplätze, die er auf dem Laptop präsentiert: 124 künftige Elektroniker der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik werden in Hamburg gesucht, 100 Stellen für junge Anlagenmechaniker der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sind unbesetzt, 56 junge Maurer könnten sofort beginnen. Tun sie aber nicht. Gesucht wird immer, gefunden immer seltener. Dazu kommen offene Ausbildungsplätze für Dachdecker, Zimmerer, Kältemechatroniker.
Die Liste der Berufe ließe sich lange fortsetzen, schließlich kann die Energiewende nicht allein durch den Austausch von Heizungen gelingen. Unzählige Gewerke werden über den Erfolg oder Misserfolg dieses Jahrhundertvorhabens mitentscheiden. Deutschland braucht moderne Dächer, besser gedämmte Fassaden, neue Wohnungen und vieles mehr. Doch es fehlen Personal, Material, Maschinen und innovative Ideen, wie der Mangel beseitigt werden kann.
Stemmann hat einen Plan, wie man gegensteuern könnte. Er ist kein Visionär, eher Realist, manche würden Pragmatiker sagen. Er weiß also, was geht und was nicht, hat schon viele Gespräche mit Politikern geführt, unzählige Ideen und Versprechen gehört, aus denen nichts wurde, die gebrochen wurden. Nun geht er selbst in die Offensive, präsentiert seinen Fünfpunkteplan für die Zukunft des Handwerks, den er nur zusammen mit Betrieben, Innungen, Politikern, der Gesellschaft insgesamt umsetzen kann. „Die Zeit drängt“, sagt er.
Handwerk in Hamburg sucht händeringend Personal
Stemmann will begeistern – für das Handwerk. Es ist ihm nicht verborgen geblieben, dass immer mehr junge Menschen lieber direkt nach dem Abitur studieren, statt eine mehrjährige Ausbildung in einem Handwerksbetrieb zu absolvieren. Doch er will das ändern, nicht nur, indem er die Arbeit mit Werkstoffen, mit den Händen in den Schulen etabliert: „Wir müssen Kinder schon früh an Werkzeug, Maschinen, Material wie Holz heranführen.“
Auch an die Studierenden appelliert er: „Raus aus der Kneipe, hin zum Klempner.“ Mit diesem Appell unterstellt er den jungen Akademikern nicht, dass sie den ganzen Tag lieber Bier trinken, statt zu lernen. Es geht ihm um ihre Nebenjobs. Statt in der Eckkneipe oder im Restaurant zu kellnern, sollen die Studierenden lieber in einem Handwerksbetrieb nebenbei arbeiten, dort auch ihre Pflichtpraktika absolvieren. Interessant ist das aus seiner Sicht insbesondere für Studierende in technischen Fächern.
Frauen ohne Berufsausbildung ins Handwerk holen
Doch der Kammerpräsident hat nicht nur Akademiker im Visier. Es möchte ebenso junge Menschen mit einem weniger geradlinigen Lebenslauf für das Handwerk gewinnen. „Wir müssen uns um die Frauen und Männer, die über 25 Jahre sind und keine Berufsausbildung haben, kümmern“, sagt er. Sie fortzubilden, ihnen eine Chance in einem Handwerksbetrieb zu geben, das ist seine Mission.
Und genau diese Gruppe ist gerade in Großstädten wie Hamburg oder Berlin vergleichsweise groß. Stemmann wendet sich auch an die Handwerker selbst, wirbt für „maximale Offenheit“ in den Betrieben. „Denn mit Blick auf die Nachwuchssorgen dürfen wir keinen jungen Menschen verloren geben“.
Imagekampagne: „Klappern gehört zum Handwerk“
Stemmann weiß wie kaum ein anderer: Klappern gehört zum Handwerk. Und deshalb setzt der Kammerpräsident auch auf Werbung. Seit vielen Jahren stecken die Handwerkskammern in Deutschland viel Geld in eine Imagekampagne, die vor allem junge Menschen für das Schreinern, Backen und Installieren begeistern soll.
Rund eine Million Euro investiert alleine die Hamburger Handwerkskammer jährlich ins Marketing und in Veranstaltungen wie die Ausbildungsmesse Handwerkswelten in der Eisarena Planten un Blomen, auf der Jugendliche sich in verschiedenen Gewerken ausprobieren können. „Wir sehen, dass diese Maßnahmen fruchten, aber wir müssen noch mehr erreichen“, sagt Stemmann.
Handwerk Hamburg: Frauen gehören fast immer zu den besten Azubis
Des Weiteren will der 59-Jährige junge Frauen für das Handwerk begeistern. Schließlich sind nur rund 20 Prozent der Auszubildenden weiblich. Stemmann ist darüber besorgt, weil er weiß: „Junge Frauen gehören fast immer zu den besten Azubis ihres Jahrgangs.“ Erst letztens war er bei der Freisprechung der neuen Kfz-Mechatroniker und -Mechatronikerinnen nach Abschluss ihrer Ausbildung. Der komplette Jahrgang bestand aus 144 Frauen und Männern. Auf den ersten vier Plätzen? Drei Frauen!
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„Die weit verbreitete Vorstellung in unserer Gesellschaft, dass Mädchen bestimmte praktische Tätigkeiten nicht können, die muss endlich verschwinden!“ Stemmann weiß, dass die Prägung früh beginnt. Spätestens dann, wenn der kleine Thomas zum Geburtstag einen Baukasten geschenkt bekommt und die gleichaltrige Sabine einen Puppenwagen. Um dieses Rollenverständnis zu ändern, ist aus Stemmanns Sicht die Gesellschaft insgesamt gefordert. Schulen und Kindertagesstätten können diesen Prozess lediglich flankieren.
Handwerker aus dem Ausland: Fachkräfte aus Nordafrika gefragt
Als letzten, aber sicherlich nicht unwichtigsten Punkt in seinem Zukunftsplan benennt Stemmann die Rekrutierung sowohl junger als auch bereits ausgebildeter Fachkräfte aus dem Ausland. Hier setzt er unter anderem auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus dem Jahr 2020, das nach der Corona-Pandemie endlich zu wirken beginnt. Im Zentrum der Paragrafen steht das Ziel, ausgebildete Fachkräfte aus anderen Ländern möglichst schnell fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu bekommen.
Das Prozedere: Ein Handwerker aus dem Ausland meldet sich zum Beispiel bei einem Anerkennungsberater der Handwerkskammer. Der checkt dessen Zeugnisse und Ausbildungspapiere. Dann geht es für drei bis sechs Monate in einen Fachbetrieb oder in eine Ausbildungswerkstatt, wo bestimmte Qualifikationen nochmals überprüft und gegebenenfalls verbessert werden. Im Anschluss gibt es ein Zertifikat, das bestätigt, dass die Qualifikation der Fachkraft aus dem Ausland gleichgestellt wird mit dem deutschen Gesellenbrief. 187 Abschlüsse dieser Art gab es 2022 in Hamburg – ein deutliches Plus zu den Vorjahren.
Handwerk Hamburg setzt auf Zuwanderung aus dem Ausland
Und auch bei Auszubildenden blickt das Handwerk zusammen mit der Arbeitsagentur ins Ausland – und zwar ins weit entfernte: So gibt es bundesweite Aktionen, mit denen junge Menschen aus Nordafrika (Tunesien, Ägypten) und Kolumbien nach Deutschland gelotst werden sollen. Hamburg ist mit dabei und voller Ehrgeiz. „Die qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland muss eine noch viel größere Rolle spielen“, sagt Stemmann.
Allerdings sind sich die Beteiligten an diesem Prozess einig: Die Zuwanderung muss für alle Seiten Vorteile haben, also auch für die Länder, die junge Arbeitskräfte abgeben. Zudem darf nicht vergessen werden: Die bürokratischen Hürden bei der Zuwanderung sind noch sehr hoch.
Stemmann hofft nun auf die konkrete Umsetzung der verschiedenen Einzelmaßnahmen. Denn sein Ziel ist klar: wieder eine größere Zahl von Azubis zu begrüßen – und in den kommenden Jahren immer mehr Meisterbriefe zu unterschreiben. Nicht weniger!