Hamburg. Hjalmar Stemmann über lange Wartezeiten für Kunden, den Fachkräftemangel und die Energiekrise.

Viele Hamburger sind genervt. Einen Termin für eine neue Heizung oder für Maler oder Klempner zu bekommen dauert gefühlt ewig. Da schwenken nicht wenige Kunden auf Schwarzarbeiter um. Das Problem wird kaum besser, denn auch die Zuwanderung kann den Fachkräftemangel im Handwerk kurzfristig nicht lindern.

Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, beschreibt im Interview mit dem Abendblatt die Nöte der Betriebe. Der 59 Jahre alte Vater von zwei Söhnen, der mit seiner Familie in Niendorf wohnt, warnt die Haushalte gleichzeitig vor gefährlicher Selbsthilfe in der Energiekrise

Hamburger Abendblatt: Kunden müssen oft monatelang auf einen Handwerkertermin warten. Ist Besserung in Sicht?

Hjalmar Stemmann: Nein, im Moment sind wir nach wie vor in einer angespannten Situation. Wartezeiten von neun Wochen sind bei vielen Gewerken verbreitet. Mit am größten ist die Wartezeit bei der Installation von Wärmepumpen. Aber nicht wegen der Handwerker, sondern wegen der Lieferzeiten der Geräte, das kann schon mal bis zu neun Monate dauern.

Dazu kommt, dass Handwerker oft nicht sagen können, ob sie morgens um 7 Uhr oder doch erst gegen Mittag zum Auftraggeber kommen. Ist das kundenfreundlich?

Sicher nicht, aber ich erlebe das meist auch anders. Ich kann nur an alle Kollegen appellieren, die Zeitfenster einzuhalten und die Kunden zu informieren, wenn der vorherige Einsatz deutlich länger dauert oder sie beim Kunden keinen Parkplatz finden. Servicetechniker haben ein Telefon im Auto und können die Haushalte zeitnah informieren.

Bergen die Wartezeiten nicht die Gefahr, dass sich mehr Kunden nach Schwarzarbeitern umsehen, zumal diese Aufträge auch abends oder am Wochenende übernehmen?

Schwarzarbeit ist ein Problem, sie hat auch zugenommen. Und wir wissen, dass es Gefahren gibt, denn Schwarzarbeiter können keine Gewährleistung abgeben. Es gilt aber nach wie vor: Die Absetzbarkeit von bis zu 6000 Euro Lohnkosten in der eigenen Steuererklärung ist möglich. Das wirkt sich unmittelbar mindernd auf das zu versteuernde Einkommen aus. Die vermeintliche Ersparnis bei Schwarzarbeit wird dabei in manchen Fällen wieder wettgemacht. Außerdem ist es ja auch Sozialbetrug, und das geht einfach nicht.

Die Fachbetriebe haben die Preise nach und nach erhöht. Eine Arbeitsstunde etwa bei Autowerkstätten kostet schnell 150 Euro. Auch deshalb kommen viele auf die Idee, sich nach Alternativen umzusehen.

Dass Handwerksbetriebe, wo sie es können und dürfen, gestiegene Kosten für Personal und Investitionen weitergeben müssen, ist doch nachvollziehbar. Allerdings ist es in manchen Gewerken auch gesetzlich untersagt. In meiner eigenen Branche, bei der Zahntechnik, gibt es gesetzlich vorgeschriebene Preise. Wir hatten zuletzt noch Löhne unter 12 Euro, diese sind alle heraufgesetzt worden durch den Mindestlohn. Zugleich muss es jetzt zwischen Hilfskräften und Jungtechnikern und besser Qualifizierten Lohn-Abstände geben, die wir nun wieder neu justieren müssen. Viele Gewerke können freier kalkulieren, müssen aber natürlich den Markt berücksichtigen. Ein Bäcker wird ein Brötchen für 2 Euro nicht verkaufen können.

Sind die Klimaziele etwa bei der energetischen Sanierung von Wohnungen überhaupt erreichbar, angesichts des Fachkräftemangels im Handwerk?

Nein, Stand heute können wir die Klimaziele nicht erreichen. Das liegt an den fehlenden Fachkräften, aber auch an Geräten wie Wärmepumpen, die nicht verfügbar sind. Es müssen auch mehr Handwerker ausgebildet werden. Wir gehen in Schulen und laden junge Menschen ein, bei Veranstaltungen, in Schnupperkursen und Praktika Handwerk kennenzulernen. Und wir gehen auch ganz neue Wege. So arbeitet etwa die Sanitärinnung mit der Hochschule HAW zusammen, um Studierende für sinnvolle Nebenjobs und Praktika im Klimahandwerk zu vermitteln, die zu ihrem Studium passen. Es braucht ja Ingenieure, die Anlagen etwa im Solarbereich planen, und bei den Behörden, die solche Anlagen genehmigen.

Betriebe klagen über Fachkräftemangel. Warum ist das Handwerk nicht attraktiver im Vergleich zum Studium?

In den Köpfen ist es nach wie vor verankert, dass du in Deutschland nur etwas werden kannst, wenn du studiert hast. Doch durch die Digitalisierung werden viele Jobs wegfallen, gerade in theorielastigen Bereichen. Auch das Handwerk wird digitaler, aber Menschen werden hier immer gebraucht.

Zum Verdienst: Kann das Handwerk denn mit Akademikern mithalten?

Ja, wenn ich die Lebensarbeitszeit nehme, habe ich am Ende im Handwerksberuf genauso viel oder mehr verdient wie als Akademiker. Das gilt auch schon für erfolgreiche Gesellen – und ein Meister ist ja eine Qualifikation wie ein Bachelor. Ein Beispiel: Ab April 2023 verdient ein Meister am Bau laut Tarif zwischen 5200 und 6300 Euro. In Hamburg dürften die Gehälter tendenziell sogar noch höher liegen. Ich denke, dass das im Rahmen eines Gehalts für einen angestellten Architekten liegen dürfte, der aber des Studiums wegen erst später in den Job einsteigt. Außerdem sehe ich beim Handwerk abends das, was ich tagsüber geschaffen habe, das ist auch sehr sinnstiftend.

Kann Zuwanderung das Problem lösen? In Deutschland werden ja nicht alle Qualifikationen aus dem Ausland anerkannt.

Die Zuwanderung ist nur ein Teil der Problemlösung, aber ein wesentlicher. In Hamburg haben wir jährlich etliche Menschen, die zugewandert sind und deren Qualifikationen wir prüfen. Es handelt sich oft um akademische Ausbildungen, weil andere Länder ja meistens nicht die duale Ausbildung haben wie wir in Deutschland. Wir prüfen, ob die Ausbildung die Leute so qualifiziert hat wie einen deutschen Gesellen. Wenn etwas fehlt, ermöglichen wir gemeinsam mit Innungen und Betrieben individuelle Anpassungsqualifizierungsmaßnahmen.

Wie viele Menschen bringen Sie auf diese Weise in die Betriebe?

In der Anerkennungsstelle der Kammer bringen wir weit mehr als 100 ausländische Fachkräfte pro Jahr zur vollen Gleichwertigkeit ihrer Abschlüsse. Dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen aber mehr: Denn manche sind bereits voll qualifiziert, wenn sie bei uns ankommen. Andere bringen Teilqualifizierungen mit und bilden sich dann in den Betrieben weiter. Nach den aktuellsten Zahlen hat der Service unserer Anerkennungsstelle 2021 insgesamt 788 Personen aus 73 Ländern beraten. Dabei wurden 149 Anträge auf Anerkennung gestellt, zumeist von Elek­tronikern, Friseuren und Kfz-Mechatronikern. Erstmals bildeten 2021 die Beratenen mit Abschlüssen aus der Türkei die stärkste Gruppe, gefolgt von jenen ausdem Iran, aus Polen, Syrien, aus Nordmazedonien und Serbien.

Das klingt nicht nach einer wirklichen Lösung des Fachkräftemangel

Das geht ja auch nicht alles von heute auf morgen. Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das es seit 2020 gibt, hat sich der Prozess bereits enorm beschleunigt. Danach ist Fachkraft, wer im Ausland eine staatlich geregelte Berufsausbildung durchlaufen hat. Ist diese anerkannt, kann man nach Deutschland einwandern. Fachkräfte aus dem Ausland können schneller nach Deutschland kommen, wenn sie einen Arbeitgeber gefunden haben. Die Fachkraft, deren ausländische Berufsqualifikation vollständig anerkannt wurde und die ausreichend gut Deutsch spricht, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis. Das gab es vorher nicht.

Und manche Betriebe nehmen die Suche selber in die Hand ...

Ja, eine neue Entwicklung ist, dass immer mehr Betriebe direkt im Ausland suchen. Sie lernen Fachkräfte über Videocalls kennen, stellen sie ein und kommen dann in Hamburg mit ihnen zu uns in die Anpassungsqualifizierung, falls erforderlich. Von den von uns im Jahr 2021 beratenen Personen befanden sich 232 noch im Ausland.

Würden Sie Ihren Kindern raten, einen Handwerksberuf zu erlernen?

Ja, denn das Handwerk bietet eine sehr schnelle Perspektive für junge Menschen, egal, ob sie Abitur haben oder nur den ersten Schulabschluss. Sie haben dann alle Möglichkeiten bis zur Gleichwertigkeit mit dem Bachelor oder Master im Handwerk Karriere zu machen. Denn die Meister entsprechen heute dem Bachelor – und der Betriebswirt des Handwerks ist dem Masterabschluss gleichgestellt. Das steht auch in den Berufsurkunden. Du musst dich als Meister nicht verstecken, das ist ein psychologisches Moment. Dazu kommt: Ich kann mich als Meister selbstständig machen und schnell Verantwortung übernehmen für den eigenen Betrieb.

Was tun Sie als Kammer für das Image der Branche?

Vor 13 Jahren haben wir unsere Imagekampagne gestartet: Das Handwerk ist die Wirtschaftsmacht von nebenan. Damit verfolgen wir bis heute das Ziel, Menschen in die Ausbildung zu bekommen.

Denn die geburtenstarken Jahrgänge scheiden jetzt aus ...

Und wir wollen vom kleiner werdenden Kuchen keine Krümel, sondern ganze Stücke. Wir brauchen dann aber auch Flächen für Handwerksbetriebe. Am besten nach dem Vorbild der Meistermeile am Offakamp, die jetzt zu 90 Prozent belegt ist. Und wir sind auch mit der Stadt im Gespräch über weitere ähnliche Projekte.

Zurück zur Ausbildung: Sie bekommen zu wenige Bewerber?

Ja, leider. Im ablaufenden Jahr 2022 sind wieder viel zu viele Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben, das ist ein Drama. Die Ausbildungsbereitschaft unserer Betriebe ist enorm. So verzeichneten wir im Oktober, kurz nach Ende des Ausbildungsbeginns 2022, bereits weit mehr als 1000 freie Lehrstellen für 2023, das ist ein Plus von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Damit haben wir fast schon wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Leider schlägt sich dies aber noch nicht in einem Plus an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen nieder. Sicher ist, dass das Hamburger Handwerk jedem, der sich für einen Handwerksberuf interessiert, einen Praktikumsplatz oder eine Lehrstelle anbietet. Daran sieht man ganz deutlich, dass wir eine Ausbildungsgarantie, wie manche sie immer wieder mal fordern, in Hamburg sicher nicht brauchen. Ich drehe den Spieß um: Unsere Betriebe bräuchten eher eine Auszubildendengarantie.

Wie leiden die Hamburger Betriebe unter den hohen Energiekosten?

Wir schätzen, dass unter den 15.000 Handwerksbetrieben in Hamburg rund 2300 einen besonders hohen Bedarf an Gas, Strom und Wasser haben. Das sind Lebensmittel-Handwerker wie etwa Bäcker oder auch Fleischer, denn sie müssen ihre Produkte kühlen. Hinzu kommen Metallbauer, die schweißen müssen, aber auch Textilreinigungen, Wäschereien und auch Maler sowie Lackierer, die Trocknungsanlagen haben. Weitere 3600 Betriebe haben einen hohen Bedarf an Prozessenergie, höher als der Durchschnitt, etwa Friseure und Kosmetiker. Sie können in ihren Betriebsräumen die Temperatur nicht nach unten regulieren, denn dann kommen die Kunden nicht mehr.

Härtefallhilfen des Bundes lassen auf sich warten. Müssen Firmen deshalb aufgeben?

Wenn der Senat die Härtefallhilfen nun nicht schnell und zielgruppengerecht konkretisiert und die Auszahlungen nicht spätestens im ersten Quartal auf den Weg gebracht werden, ist die Existenz der 2300 besonders stark betroffenen Betriebe gefährdet. Niedersachsen hat bereits kurzfristig einen eigenen Härtefallfonds aufgesetzt. Hamburg muss dringend nachziehen. Mittelständische Handwerksstrukturen, die einmal zerstört werden, sind unwiederbringlich verloren. Wie viele und welche Betriebe aufgeben, können wir nicht zuverlässig beantworten. Denn wir bekommen dazu sehr wenige Rückmeldungen. Das haben wir auch in der Corona-Zeit erlebt. Letztlich sehen wir es häufig erst dann, wenn unsere Mitgliederschreiben mit dem Hinweis „Betrieb aufgegeben“ zurückkommen. Das versetzt uns jedes Mal einen Stich.

Gibt es Positivbeispiele, also Betriebe, die auf energiesparende Lösungen setzen?

Ja, etliche. Gerade habe ich von einem Orthopädie-Techniker gehört, der eine Fotovoltaikanlage auf seinem Dach installiert hat. Er bezieht nun 85 Prozent des Stroms aus eigener Produktion. Und eine Wäscherei hat durch Wasserrückgewinnung im Prozess 70 Prozent des Wassers eingespart und den CO2-Verbrauch um zwölf Prozent reduziert.

Privathaushalte kaufen nun Notstrom­aggregate – aus Sorge vor Stromausfällen.

In diesen Fällen weise ich ganz dringlich darauf hin, dass Notstromversorgungs­anlagen, die für die Einspeisung von Energie in den Hausstromkreislauf genutzt werden sollen, von einem Fachelektriker installiert werden müssen. Eine Inbetriebnahme ohne Abnahme durch einen Elek­trofachbetrieb ist nicht zulässig. Es kann etwa zu Kabelbränden kommen, das Gefahrenpotenzial ist immens.