Hamburg. Hamburger Optikkonzern kauft zwei Unternehmen in Nordamerika. Aktienkurs steigt auf neues Zwölf-Monats-Hoch.

Wer es beim Lesen des Fielmann-Geschäftsberichts für das Jahr 2022 bis zum Anhang auf Seite 150 geschafft hat, konnte es schon ahnen. Unter den Beteiligungsunternehmen des Optikerkonzerns aus Hamburg taucht erstmals die Rivalto 1280 Inc. mit Sitz in Dover im US-Staat Delaware auf.

Gegründet worden war die 100-prozentige Fielmann-Tochter im August vergangenen Jahres, lässt sich einer Fußnote entnehmen. Knapp zehn Monate später gab das deutsche Familienunternehmen Anfang Juni die Übernahme von zwei US-Firmen bekannt – und damit den Sprung über den Atlantik.

Für Fielmann ist das 50 Jahre nach der Gründung eine gewaltige Sache. Und offenbar nur der Beginn eines größeren Plans. Die Hamburger übernehmen 100 Prozent der Anteile des Optikers SVS Vision mit mehr als 80 Geschäften in neun US-Bundesstaaten. Zudem erwerben sie Eyevious Style, ein US-Unternehmen, das die E-Commerce-Plattform Befitting betreibt, die sich auf den Online-Brillenkauf spezialisiert hat.

Fielmann plant weitere Übernahmen in den USA

„Mit der Kombination aus beiden Unternehmen legen wir das Fundament für unsere kundenzentrierte Omnichannel-Plattform in den USA“, heißt es zur Zukunft auf Anfrage aus der Firmenzentrale in Barmbek. Dafür will die börsennotierte Firma weiter investieren und expandieren. „In den nächsten Jahren wollen wir SVS Vision und Befitting weiter ausbauen. In Zukunft werden wir die organische Expansion durch weitere mögliche Übernahmen ergänzen.“

Dabei gestattete sich Fielmann mit dem Namen der US-Tochter Rivalto 1280, die zunächst als Vorratsgesellschaft ohne eigenen Geschäftsbetrieb gegründet worden war, einen direkten Fingerzeig auf die Geschichte des europäischen Abendlands: Zu den ältesten Hinweisen auf die Existenz der Brille gilt eine Predigt des Dominikanermönchs Giordano da Rivalto, in der er auf die Herstellung der ersten Sehhilfen im Jahr 1280 in Norditalien verweist. Mit dem Markteintritt wurde sie nach Angaben einer Firmensprecherin jetzt in Fielmann Inc. umbenannt. Das ist etwas profaner, aber macht die Verhältnisse klar.

Fielmann: Topmanagement spricht englisch

Die Expansionsstrategie bei Fielmann trägt deutlich die Handschrift der zweiten Generation an der Firmenspitze. Marc Fielmann, Sohn von Gründerlegende Günther Fielmann und seit 2019 alleiniger Vorstandschef des SDAX-Unternehmens, setzt seinen Kurs fort. Der zuletzt eher bieder wirkende Optikerkonzern mit Sitz in Barmbek-Süd, der mit dem Slogan „Brille zum Nulltarif“ groß wurde, soll digitaler und internationaler werden. Das hatte der heute 33-Jährige in seiner Vision 2025 postuliert.

Nach Markteintritten in Italien, Slowenien, Tschechien und Spanien sind die USA das fünfte Land, in dem die Fielmann-Gruppe mit europaweit inzwischen knapp 1000 Niederlassungen unter seiner Ägide aktiv geworden ist. Die Veränderung zeigt sich auch durch ein weiteres Detail: Die Unternehmenssprache im Topmanagement ist inzwischen Englisch.

Während sich Fielmann einen Sparkurs mit Umstrukturierungen und Personalabbau in den zentralen Bereichen verordnet hat, stellen sich die Deutschen in den USA von Anfang an breit auf. SVS Vision ist auf das stationäre Geschäft spezialisiert und nach Konzern-Angaben der marktführende Augenoptiker in Michigan. Im Jahr 2022 erwirtschaftete SVS Vision einen Umsatz von mehr als 105 Millionen Euro.

Das Unternehmen sei bekannt für einen „besonders freundlichen Service, großartige Mitarbeiter und langjährige Branchenerfahrung“, lässt sich Fielmanns Mann für Amerika, Lukas Rücker, zitieren, der an die Spitze der Fielmann Inc. berufen wurde. Die Transaktion soll bis Ende August vollzogen sein. Der Kauf von Befitting-Mutter Eyevious Style, bewertet mit etwa 35 Millionen Euro, soll bereits in diesen Tagen abgeschlossen werden.

Fielmann-App: Aktuell nur für Kontaktlinsen

Zu den Verkaufszahlen bei beiden Zukäufen äußerte sich die Fielmann-Gruppe auf Nachfrage nicht. Dabei könnte Online-Händler Befitting für den Optiker aus Hamburg besonders interessant werden: Die Firma hat den Ruf, mit „herausragender Technologie-Expertise“ den Online-Brillenverkauf deutlich zu vereinfachen. In den USA steigt der E-Commerce-Anteil in der Branche nach Angaben von Marktforschungsinstituten deutlich. In Deutschland kaufen Kunden dagegen ihre Brille nach wie vor überwiegend im Geschäft. Über das Internet werden vor allem Sonnenbrillen und Kontaktlinsen verkauft.

Der Anteil der Brillen mit Korrekturgläsern im reinen Online-Handel war nach jüngsten Angaben des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen zuletzt sogar wieder rückläufig: von vier Prozent im Corona-Jahr 2021 auf zwei Prozent im Jahr 2022. Der sogenannte Multichannelanteil lag bei sieben Prozent. Auch die Ende 2021 gestartete Fielmann-App kommt beim Thema Korrektionsbrillen nicht aus dem Nischen-Dasein. Aktuell gibt es dort nur noch Kontaktlinsen. Der Online-Kauf von Brillen soll komplett in den Online-Shop auf Fielmann.de überführt werden, heißt es auf Anfrage.

Fielmann investiert zweistellige Millionensumme in Digitalisierung

Denn: Trotz Investitionen im zweistelligen Millionenbereich in Messverfahren und digitale Technologien ist ein Online-Sehtest bislang nicht möglich. Das wird sich ändern, ist Firmenchef Marc Fielmann sicher. Er erwartet langfristig einen E-Commerce-Gesamtumsatz von 400 Millionen Euro im Jahr und einem Marktanteil von 15 Prozent, hatte er bei der Bilanzpressekonferenz Ende April gesagt.

Klar ist, dass Fielmann entscheidende Fortschritte durch die Investitionen im amerikanischen Markt erwartet. Wie das konkret aussieht, lässt die Gruppe allerdings offen „Wir werden die Stärken von Fielmann, SVS Vision und Befitting so nutzen, dass wir unseren Kunden das richtige Angebot machen können“, heißt es.

Nachdem das Unternehmen für das Geschäftsjahr 2022 erstmals einen Gewinneinbruch verkünden musste, der in der Folge zu einer Halbierung der Dividende und einem Sparprogramm mit Personalabbau führt, wurde diese Entwicklung im ersten Quartal 2023 gestoppt. Nicht nur Umsatz und Absatz sind von Januar bis Ende März deutlich gestiegen, unter dem Strich stand beim Vorsteuergewinn (Ebt) wieder ein dickes Plus von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Für das laufende Quartal wird erwartet, dass sich der Trend fortsetzt. „Unsere Investitionen (...) werden das Wachstum weiter befördern“, heißt es selbstbewusst aus der Zentrale.

Fielmann: Aktie verdoppelt Wert

An der Börse kommt der Kurs von Gründersohn Marc Fielmann an. Die Talfahrt des Aktienkurses seit Beginn der Corona-Pandemie ist gestoppt. Inzwischen liegt der Wert des Papiers wieder rund um 50 Euro und damit fast doppelt so hoch wie Ende vergangenen Jahres. Tendenz steigend.

Neben der positiven Geschäftsentwicklung ist der Start des US-Geschäfts ein Grund. „Insgesamt ist die Ankündigung aus unserer Sicht keine Überraschung, denn Fielmann hat erst kürzlich betont, dass es sich stark auf weitere Akquisitionen konzentriert, um neue Märkte zu erschließen“, schreibt Thilo Kleibauer von Warburg Research in einer ersten Analyse. Auch wenn die Bewertung der US-Akquisition deutlich niedrigere Gewinnspannen im US-Einzelhandelsgeschäft als in der Fielmann-Kernregion Deutschland, Österreich, Schweiz impliziere, sieht er die Transaktion positiv. Damit wird der Konzern weitere internationale Erfahrungen sammeln, insbesondere in der Kategorie E-Commerce. Er stuft die Aktie bei einem Wert von 44 Euro auf Halten. Andere Analysten etwa von der Baader Bank raten zum Kauf.

Wer allerdings damit rechnet, beim nächsten USA-Tripp die neue Brille in einer Niederlassung namens Fielmann zu kaufen, hat kein Glück. „Es gibt derzeit keine Pläne, die Marken zu ändern“, so eine Firmensprecherin.