Hamburg. Versicherung geht in Hamburg neue Wege, um Fachkräfte zu gewinnen und aus dem Homeoffice zu holen. Dazu soll auch ein Umzug beitragen.

Noch vor wenigen Jahren hat der VersicherungskonzernSignal Iduna wie in der Branche üblich ein Sparprogramm nach dem anderen aufgelegt, um sich zu verschlanken. Inzwischen aber steht das Unternehmen vor einer ganz anderen Herausforderung – es gehen mehr Beschäftigte, als dem Management lieb ist. „In den nächsten zehn Jahren werden uns jährlich 250 Kolleginnen und Kollegen aus Altersgründen verlassen“, sagt Ulrich Leitermann, der Vorstandsvorsitzende des Versicherers mit Doppelsitz in Dortmund und Hamburg. Der Fachkräftemangel macht es schwer, dies durch Neuzugänge auszugleichen.

Zudem gehe wertvolles Know-how verloren, so Leitermann. „Darum versuchen wir nun häufig, die Menschen, die das Rentenalter erreichen, noch ein Jahr oder zwei Jahre länger im Unternehmen zu halten.“ In einzelnen Fällen gelinge es sogar, erfahrene Mitarbeiter, die vor nicht allzu langer Zeit in den Ruhestand gegangen sind, wieder zurückzuholen. „Außerdem beschäftigen wir fünf Recruiter, die nichts anderes tun, als in den sozialen Medien für uns um junge Nachwuchskräfte zu werben“, sagt Leitermann.

Versicherung Signal Iduna: Was die Kooperation mit Google bringen soll

Dabei will das Unternehmen auch mit Arbeitszeitflexibilität punkten. So kann man freiwillig am Sonnabend arbeiten und dafür an einem Wochentag freinehmen. Diese Möglichkeit wurde von rund 60 Beschäftigten in den zurückliegenden neun Monaten rund 90-mal genutzt. „Das ist kein Flächenphänomen, aber für junge Menschen ohne Familie kann es interessant sein“, sagt der Signal-Iduna-Chef.

Nach seiner Einschätzung kann auch die im Dezember beschlossene Kooperation mit dem US-Technologiekonzern Google dazu beitragen, das Image des Versicherers als attraktiver Arbeitgeber bei Jüngeren zu heben, zumal Signal Iduna das erste Unternehmen der Assekuranz-Branche in Deutschland sei, mit dem die Kalifornier eine solche strategische Partnerschaft vereinbarten.

Signal-Iduna-Chef will weniger Homeoffice

In erster Linie geht es da zwar um die Verlagerung von IT-Diensten in die sogenannte „Cloud“ – gewissermaßen ein virtuelles Rechenzentrum – von Google. Doch Leitermann verspricht sich auch Ansätze für neue Geschäftsmodelle. Ein Beispiel: Aus dem Satelliten- und Luftbildbestand von Google lasse sich ableiten, welche Hausdächer für die Ausstattung mit Photovoltaik-Anlagen besonders gut geeignet seien.

„Durch unseren Kundenfokus auf das Handwerk haben wir eine besondere Nähe zu Betrieben, die solche Anlagen auf Kundenwunsch installieren können – und die dann von uns versichert werden“, erklärt Leitermann. Zudem hofft er, dass sich eine gewisse „Innovationskultur“ von Google auf Signal Iduna überträgt, die dem Unternehmen im „Kampf um Talente“ Vorteile bringen kann.

Allerdings gibt es im Hinblick auf die Verbreitung einer solchen Kultur ein Hindernis – das Homeoffice. Zu Beginn der Corona-Pandemie war es noch ein Vorteil: Eine Versicherung ist kein Produktionsbetrieb, die Beschäftigten konnten relativ problemlos auch von zu Hause aus arbeiten. Doch bei der Signal-Iduna-Gruppe, mit 3500 Stellen in Hamburg (einschließlich knapp 900 bei Finanztöchtern) der größte Arbeitgeber dieser Branche in der Hansestadt, liegt der Homeoffice-Anteil noch immer bei 65 Prozent. Anders ausgedrückt: Gerade einmal 35 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den Büroräumen anzutreffen.

So will die Versicherung Mitarbeiter zurück ins Büro locken

Leitermann ist damit nicht zufrieden. „Unternehmenskultur bildet sich nicht zu Hause, sondern im Unternehmen“, sagt er. Auch die Kreativität leide ohne den direkten persönlichen Austausch. Sein Ziel: „Wir hätten gern 60 Prozent der Beschäftigten wieder zurück im Büro.“ Diese Quote möchte der Vorstandschef noch vor den Sommerferien erreichen.

Er setzt dazu nicht zuletzt auf ein hochmodernes Büroumfeld. Denn bis zur Jahresmitte werden rund 1100 Personen, die zuletzt noch in Gebäuden aus den 1950er- bis 1970er-Jahren am Dammtor tätig waren, an Schreibtische in der City Nord umziehen. Dort hat der Konzern am Kapstadtring einen bis zu 16-stöckigen Gebäudekomplex neu errichten lassen. Von der Eröffnung einer Kantine „mit attraktivem Angebot“ erhofft sich Leitermann eine „gewisse Sogwirkung zurück ins Büro“. Vorgesehen ist auch ein „Gesundheitszentrum“, in dem man Yoga- und Pilates-Kurse belegen und Tischtennis spielen kann.

Die alte Hamburg-Zentrale am Dammtor wird bald abgerissen

Verteilt auf den Etagen finden sich 31 „Coffee-Points“, die die Kommunikation fördern sollen. Leitermann: „Zu Beginn meiner Berufslaufbahn hieß es, wenn sich mehr als ein Kollege in der Teeküche aufhielt, regelmäßig: Habt ihr nichts Besseres zu tun? Heute fördern wir gezielt den Austausch und Gespräche. Das zeigt, wie sich die Sicht auf Teamarbeit verändert hat.“

Hintergrund des Umzugs vom Dammtor in die City Nord sind die Immobilienpläne der Signal Iduna. Der Versicherer will das Quartier zwischen der Neuen Rabenstraße und der Warburgstraße komplett neu entwickeln. An die Stelle der bisherigen Bürohäuser, deren Abriss Ende 2023 oder Anfang 2024 beginnen soll, tritt bis 2027 ein neuer, von dem britischen Stararchitekten David Chipperfield entworfener Gebäudekomplex. Von den bisher dort von Signal Iduna genutzten Objekten soll lediglich eines in der Warburgstraße erhalten werden, aber mit veränderter Nutzung – dort sind rund 30 Wohnungen geplant.

Versicherung Signal Iduna: Anfang 2023 bestes Vertriebsergebnis der Firmengeschichte

Allerdings will der Konzern von den neu entstehenden Flächen am Dammtor künftig nur 20 bis 25 Prozent wieder selbst nutzen, was rund 400 Arbeitsplätzen entspricht. Leitermann sieht das nicht als Problem: „Wenn man sich an das Arbeitsumfeld in der City Nord erst gewöhnt hat, wird der Drang, zum Dammtor zurückzukehren, nicht so groß sein.“

Unter der hohen Homeoffice-Quote hat das Geschäft offensichtlich nicht stark gelitten: Im vorigen Jahr haben die Beitragseinnahmen der Signal Iduna um 2,3 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro zugelegt, während der Gesamtmarkt in Deutschland um 0,7 Prozent geschrumpft ist. Und im ersten Quartal 2023 erzielte man nach Angaben von Leitermann sogar das beste Vertriebsergebnis der Unternehmensgeschichte, „obwohl wir gerade in der Lebensversicherung, wo man sich für lange Zeit festlegt, die Verunsicherung der Menschen spüren.“

Auf der Ertragsseite sieht es dagegen weniger erfreulich aus. Weil der rasante Zinsanstieg zu Abschreibungen auf festverzinsliche Papiere führte, sind die Erträge aus den Kapitalanlagen um 22 Prozent gesunken. „Wir haben uns immer einen Zinsanstieg gewünscht, es hätte nur nicht so stark sein müssen“, sagt Leitermann. „Aber natürlich können wir Kundengelder nun zu höheren Zinsen neu anlegen.“